«Und ich wurde sie lieben, hatte ich nur ein Herz», seufzte der Eiserne Holzfaller.
«Ich hab mit den Blumen immer Freundschaft gehalten», sagte der Feige Lowe. «Diese lieblichen, harmlosen Geschopfe uberfallen nie einen aus dem Hinterhalt wie die schrecklichen Sabelzahntiger. In meinem Wald hab ich freilich solche gro?en, leuchtenden Blumen nicht gesehen.»
Je weiter sie kamen, desto zahlreicher wurden die Mohnblumen auf dem Felde, die alle anderen Blumen uberwucherten. Bald sahen sich die Gefahrten mitten in einem uferlosen Mohnfeld. Der su?liche Duft des Mohns schlafert ein, doch das wu?te Elli nicht, die ihn sorglos einatmete und sich uber die gro?en roten Blumen freute. Doch dann wurden ihr die Lider schwer, und sie fiel vor Mudigkeit fast um. Der Eiserne Holzfaller gestattete ihr jedoch nicht, sich hinzulegen.
«Wir mussen uns beeilen, damit wir noch vor Abend auf den gelben Backsteinweg kommen», sagte er, und der Scheuch stimmte ihm zu.
Nach ein paar hundert Schritten konnte sich Elli des Schlafs jedoch nicht mehr erwehren: Sie sank hin, schlo? seufzend die Augen und schlief ein.
«Was fangen wir nun mit ihr an?» fragte der Holzfaller besorgt.
«Wenn Elli hier bleibt, wird sie so lange schlafen, bis sie tot ist», sagte der Lowe, tief gahnend. «Der Duft dieser Blumen ist todlich. Auch mir fallen die Augen zu, und das Hundchen schlaft schon.»
Totoschka lag auf dem Mohnteppich neben seiner kleinen Herrin. Nur dem Scheuch und dem Eisernen Holzfaller konnte der todliche Duft nichts anhaben; sie waren munter wie immer.
«Lauf!» sagte der Scheuch zum Lowen. «Mach, da? du von diesem gefahrlichen Ort fortkommst! Das Madchen konnen wir forttragen, wenn du aber einschlafst, werden wir dir nicht zu helfen wissen. Du bist doch zu schwer!»
Der Lowe sturzte davon und war im nachsten Augenblick verschwunden. Der Eiserne Holzfaller und der Scheuch verschrankten die Hande zu einem Kreuzgriff und setzten Elli, der sie Totoschka in die Arme gelegt hatten, darauf. Das schlafende Madchen klammerte sich unbewu?t an das weiche Fell des Hundchens. Der Scheuch und der Eiserne Holzfaller gingen die breite Spur der zerdruckten Blumen entlang, die der Lowe hinterlassen hatte, und es schien ihnen, als ob das Feld kein Ende nehmen werde.
Als sie schlie?lich Baume und grunes Gras in der Ferne erblickten, atmeten sie erleichtert auf, denn sie hatten schon befurchtet, da? der lange Aufenthalt in der vergifteten Luft Elli toten wurde. Am Rande des Mohnfeldes gewahrten sie den Lowen. Der Duft hatte das machtige Tier nach der letzten Anstrengung, die rettende Wiese zu erreichen, uberwaltigt, und jetzt schlief es, die Tatzen ausgestreckt.
«Wir werden ihm nicht helfen konnen», sagte der Holzfaller betrubt. «Er ist zu gro? fur uns, jetzt schlaft er seinen letzten Schlaf und traumt vielleicht davon, da? er endlich Mut bekommen hat…»
«Er tut mir schrecklich leid», erwiderte der Scheuch. «Er war trotz seiner Feigheit ein guter Kamerad, und es tut mir weh, ihn auf diesem verfluchten Mohnfeld liegenzulassen. Aber komm, wir mussen Elli retten.»
Sie trugen die Schlafende auf eine grune Wiese, legten sie am Ufer eines Flusses, weit von dem todlichen Mohn, ins Gras und setzten sich neben sie hin. Sie beschlossen abzuwarten, bis Elli von der frischen Luft erwacht.
Wahrend die Freunde so dasa?en und um sich blickten, raschelte es plotzlich im Gras, und auf die Wiese sprang eine gelbe Wildkatze. Die spitzen Zahne gefletscht und die Ohren an den Kopf gedruckt, jagte sie einem kleinen Tier nach. Der Holzfaller sprang auf und sah, da? es eine graue Feldmaus war. Schon erhob die Katze ihre Pfote mit den scharfen Krallen uber der wimmernden Maus, die die Augen schlo?. Der Holzfaller bekam Mitleid mit dem wehrlosen Geschopf und hieb der Wildkatze den Kopf ab. Als die Maus die Augen offnete und den toten Feind vor sich liegen sah, sagte sie zum eisernen Mann:
«Ich danke Euch. Ihr habt mir das Leben gerettet.»
«Nicht der Rede wert», wehrte der Holzfaller ab. Es tat ihm aufrichtig leid, da? er die Katze hatte toten mussen. «Wissen Sie, ich hab zwar kein Herz, aber ich bin immer bereit, einem Schwachen in der Not zu helfen, sei es auch nur eine gewohnliche Maus.»
«Eine gewohnliche Maus?» piepste das Tierchen emport. «Was wollt Ihr damit sagen, mein Herr! Wi?t Ihr, wer vor Euch steht? Ramina, die Konigin der Feldmause!»
«Tatsachlich?» staunte der Holzfaller. «Bitte tausendmal um Verzeihung, Eure Majestat!»
«Wie dem auch sei, Ihr habt Eure Pflicht getan, als Ihr mir das Leben rettetet», sagte die Konigin etwas sanfter.
Im gleichen Augenblick zeigten sich ein paar Mause, die atemlos auf die Konigin zuliefen.
«Oh, Eure Majestat!» piepsten sie durcheinander, «wir dachten schon, Ihr seid umgekommen, und wollten Euch beweinen. Wer hat die bose Katze getotet?» Dabei verneigten sie sich so tief vor der Konigin, da? sie auf den Kopf zu stehen kamen und ihre Hinterpfotchen in der Luft zuckten.
«Das hat dieser wunderliche eiserne Mann vollbracht. Ihr sollt ihm jetzt dienen und seine Wunsche erfullen», sagte Ramina wurdevoll.
«Er mag befehlen!» riefen die Mause im Chor.
Aber im nachsten Augenblick stoben sie entsetzt auseinander, die Konigin vornean. Totoschka hatte sich namlich, als er die Augen offnete und die Mause erblickte, mit einem Freudenschrei auf sie gesturzt. Er war schon in Kansas als Mausejager beruhmt gewesen, der an Gewandtheit jede Katze ubertraf. Der Eiserne Holzfaller packte jedoch das Hundchen am Nacken und rief den Mausen zu:
«Bleibt doch! Ich halte ihn!»
Die Mausekonigin lugte aus dem Gras und fragte angstlich:
«Seid Ihr auch sicher, da? er mich und meine Hoflinge nicht fressen wird?»
«Beruhigt Euch, Majestat, ich halte ihn!»
Die Mause kehrten um, und Totoschka, der sich vergeblich aus der eisernen Umklammerung des Holzfallers zu befreien suchte, gab es schlie?lich auf. Damit er die Mause nicht schreckte, wurde er an einen kleinen Pfahl angebunden.
Das erste Hoffraulein der Mausekonigin ergriff das Wort.
«Edler Mann! Wie sollen wir Euch fur die Rettung unserer Konigin danken?»
«Ich wei? nicht, was ich sagen soll, ich bin so verwirrt», hub der Eiserne Holzfaller an, doch der findige Scheuch unterbrach ihn:
«Rettet unseren Freund, den Lowen! Er liegt auf dem Mohnfeld!»
«Einen Lowen!» schrie die Konigin entsetzt. «Er wird uns ja alle fressen!»
«O nein», beruhigte sie der Scheuch, «das ist ein feiger und sehr zahmer Lowe, und au?erdem schlaft er.»
«Na, dann konnen wir's versuchen. Aber wie fangen wir's an?»
«Gibt es viele Mause in Eurem Konigreich?»
«Oh, viele Tausende!»
«Befiehlt, da? sich alle hier versammeln und da? jede einen langen Faden mitbringt.»
Konigin Ramina gab den Hoflingen Befehl, und diese stoben nach allen Seiten auseinander.
«Na, und du, Freund», wandte sich der Scheuch an den Holzfaller, «bau einen festen Karren, damit wir den Lowen aus dem Mohn herausfuhren.»
Der Holzfaller ging mit Feuereifer an die Arbeit. Als die ersten Mause mit langen Faden zwischen den Zahnen ankamen, hatte er einen festen Karren mit Radern aus Holzklotzen fix und fertig gebaut.
Aus allen Richtungen eilten die Mause herbei. Es waren ihrer viele Tausend, jeder Gro?e und jeden Alters. Da konnte man kleine Mauschen und mittelgro?e und ganz gro?e Mause sehen. Eine alte hutzlige Maus, die sich mit schwerer Muhe zur Wiese geschleppt hatte, verneigte sich vor der Konigin und fiel im nachsten Augenblick rucklings um. Zwei Enkelinnen legten das Gro?mutterchen auf ein gro?es Klettenblatt und fachelten ihm mit Grashalmen Luft zu, um es aus der Ohnmacht zu wecken.
Es war kein leichtes, so viel Mause vor den Karren zu spannen. Tausende Faden mu?ten an der Vorderachse befestigt werden. Dabei hatten es der Holzfaller und der Scheuch sehr eilig, denn sie befurchteten, der Lowe konnte im Mohnfeld sterben, und die Faden verwirrten sich in einem fort in ihren Handen. Hinzu kam, da? manche junge ausgelassene Mauschen hin und her hupften, wodurch sich die Faden noch mehr verstrickten. Schlie?lich war aber jeder Faden mit dem einen Ende am Karren und mit dem anderen am Schwanz einer Maus befestigt und die Ordnung wiederhergestellt.
Elli erwachte und blickte staunend auf das Treiben. In wenigen Worten erklarte ihr der Scheuch, was