Keine Antwort.

«Ihr Freund leidet wahrscheinlich an Zerstreutheit?»

«Ja, das kommt bei ihm vor», erwiderte der Torhuter.

«Verehrtester, schenkt uns Eure Aufmerksamkeit!» schrie der Holzfaller. «Nein, er hort nicht. La?t uns alle gemeinsam rufen!»

Sie holten tief Atem, und der Holzfaller setzte sogar seinen Trichter an den Mund. Auf ein Zeichen des Scheuchs schrien sie aus Leibeskraften:

«Herr Soldat! La?t uns ein! Herr Soldat! La?t uns ein!»

Der Scheuch schlug mit seinem Stock gegen das Gelander des Grabens, da? es drohnte, und Totoschka bellte laut. Das machte aber keinen Eindruck auf den Soldaten, der fortfuhr, seinen Bart liebevoll zu kammen.

«Da werd ich wohl brullen mussen wie die Tiere des Waldes», sagte der Lowe, «ich sehe keinen anderen Ausweg.»

Er stemmte sich fest auf seine Taten, reckte den Kopf und stie? ein Gebrull aus, da? die Scheiben in den Fenstern klirrten, die Blumen ringsum erschauerten, das Wasser aus den Becken spritzte und die Neugierigen, die die seltsame Gesellschaft von weitem beobachteten, die Hande an die Ohren pre?ten und auseinanderstoben.

Der Soldat steckte Kamm und Spiegel in die Tasche, beugte sich uber die Mauer und betrachtete verwundert die Ankommlinge. Als er den Torhuter erblickte, atmete er sichtlich erleichtert auf.

«Bist du's, Faramant!» fragte er. «Was ist los?»

«Din Gior, wir stehen schon eine halbe Stunde da und schreien zu dir hinauf», erwiderte der Torhuter wutend.

«Ach, erst eine halbe Stunde», meinte der Soldat gleichmutig. «Das ist doch eine Kleinigkeit. Sag mir lieber, was das fur Leute sind, die du mitbringst.»

«Fremde, die den Gro?en Goodwin sehen wollen!»

«Na, meinetwegen sollen sie eintreten», sagte Din Gior seufzend. «Ich will's dem Gro?en Goodwin melden…»

Er lie? die Brucke herab. Die Wanderer nahmen vom Torhuter Abschied, gingen uber den Graben und traten in das Schlo?. Der Soldat, der sie in den Empfangssaal fuhrte, bat die Ankommlinge, sich auf einer grunen Matte vor dem Eingang den Staub von den Fu?en abzutreten, und hie? sie in grunen Sesseln Platz nehmen.

«Wartet hier. Ich will mich vor die Tur des Thronsaals begeben und dem Gro?en Goodwin eure Ankunft melden.»

Wenige Minuten spater kam der Soldat zuruck. Elli fragte ihn:

«Habt Ihr Goodwin gesehen?»

«O nein. Ich sehe ihn niemals!» war die Antwort. «Der Gro?e Goodwin spricht mit mir nur durch die Tur. Er ist offenbar so furchtbar von Gestalt, da? er die Leute nicht umsonst schrecken mochte. Als ich ihm eure Ankunft meldete, wurde er zornig und wollte zunachst nichts horen. Dann fragte er plotzlich, wie ihr gekleidet seid. Als ich die silbernen Schuhe erwahnte, da horchte er auf und sagte, er wurde euch alle empfangen. Doch mu?t ihr wissen, da? er an einem Tag nur einen Bittsteller vorla?t. Das ist so seine Gewohnheit. Also werdet ihr hier mehrere Tage bleiben mussen. Er hat befohlen, euch Zimmer anzuweisen, damit ihr nach dem langen Weg ausruht.»

«Ich bitte dem Gro?en Goodwin in unserem Namen zu danken», sagte Elli.

Sie war beinahe sicher, da? der Zauberer gar nicht so schrecklich sei, wie es sich herumsprach, und die Heimat zuruckfuhren werde.

Din Gior blies in seine grune Pfeife, und ein schones Madchen in grunem Seidenkleid trat ins Zimmer. Sie hatte eine glatte grune Haut, grune Augen und lockiges grunes Haar. Das Madchen verneigte sich tief vor Elli und sagte:

«Folgt mir, ich soll Euch in Euer Zimmer fuhren.»

Sie schritten durch prunkvolle Gemacher, stiegen viele

Treppen auf und ab und kamen schlie?lich in das Zimmer, das fur Elli bestimmt war. Ein schoneres und behaglicheres Gemach konnte man sich gar nicht vorstellen. Da stand ein kleines Bett, und in der Mitte gab es einen Springbrunnen, dessen feiner Wasserstrahl in ein schones Becken zuruckfiel. Selbstverstandlich war auch hier alles grun.

«Fuhlt Euch wie zu Hause», sagte das grune Madchen. «Der Gro?e Goodwin wird Euch morgen fruh empfangen.»

Dann ging das Madchen, um die anderen in ihre Zimmer zu fuhren, die gleichfalls herrlich eingerichtet waren und im schonsten Teil des Schlosses lagen.

Auf den Scheuch machte die ganze Pracht keinen Eindruck. Als das Madchen weg war, stellte er sich gleichmutig neben die Tur und verharrte so bis zum Morgen. Die ganze Nacht hindurch starrte er eine kleine Spinne an, die sorglos ihr Netz wob, als befande sie sich nicht in einem herrlichen Schlo?, sondern in der Hutte eines armen Schusters.

Der Eiserne Holzfaller legte sich zwar ins Bett, doch tat er es nicht, weil ihn danach verlangte, sondern weil er sich an die Zeit erinnerte, als er noch einen Korper aus Fleisch und Blut hatte. Aber auch er schlo? die ganze Nacht kein Auge, da er immer wieder den Kopf, die Arme und die Beine bewegte, um sich zu vergewissern, da? sie nicht eingerostet waren.

Der Lowe hatte am liebsten im Hinterhof auf Stroh geschlafen, weil dies aber nicht anging, stieg er ins Bett, rollte sich wie eine Katze zusammen und begann so laut zu schnarchen, da? es im ganzen Schlo? zu horen war. Das gleiche tat, allerdings viel leiser, Totoschka, der es sich neben seinem machtigen Freund gemutlich gemacht hatte.

DIE WUNDERBAREN VERWANDLUNGEN GOODWINS DES ZAUBERERS

Am Morgen kam das grune Madchen wieder, wusch und kammte Elli und fuhrte sie in den Thronsaal.

In einem ansto?enden Saal standen festlich gekleidete Hoflinge und Hofdamen. Obwohl Goodwin niemals vor sie trat und sie auch niemals empfing, pflegten sie sich seit Jahr und Tag jeden Morgen zu Schwatz und Klatsch im Schlo? zu versammeln. Sie nannten das «Hofdienst» und bildeten sich viel darauf ein.

Die Hoflinge betrachteten Elli mit Staunen, und als sie ihre silbernen Schuhe gewahrten, verneigten sie sich bis zum Boden.

«Eine Fee, eine Fee», horte man flustern.

Einer der Beherzesten trat auf Elli zu und fragte sie unter vielen Bucklingen:

«Ich erkuhne mich, hochverehrte Frau Fee, an Euch die Frage zu richten: Wird Goodwin der Schreckliche Euch wirklich die Ehre eines Empfangs zuteil werden lassen?»

«Ja, Goodwin will mich sehen», erwiderte Elli bescheiden.

Ein Raunen ging durch die Menge. Im gleichen Augenblick horte man ein Glockchen lauten.

«Das Zeichen!» sagte das grune Madchen. «Goodwin erwartet Euch im Thronsaal!»

Ein Soldat offnete das Tor. Elli trat zaghaft ein und sah sich in einem wunderlichen runden Saal mit hoher gewolbter Decke. Diele, Wande und Decke funkelten von unzahligen Edelsteinen.

In der Mitte stand ein Thron aus grunem Marmor mit herrlichen Smaragden, und auf diesem Thron lag ein riesiger lebender Kopf ohne Korper.

Er war so schrecklich anzusehen, da? es Elli kalt uberlief.

Ein glattes, fettes Gesicht mit Pausbacken, langer fleischiger Nase und gro?en, zusammengepre?ten Lippen. Der kahle Schadel glanzte wie ein Spiegel. Der Kopf schien leblos, keine Falte auf der Stirn, keine um den Mund, nur die Augen waren hellwach. Sie rollten in den Hohlen, hielten dann plotzlich inne und starrten zur Decke. Wenn die Augen rollten, knarrte es hochst merkwurdig im stillen Saal.

Elli war von dem unbegreiflichen Augenrollen so verwirrt, da? sie sich vor dem Kopf zu verneigen verga?.

«Ich bin Goodwin, der Gro?e und Schreckliche! Wer bist du und warum belastigst du mich?»

Es fiel Elli auf, da? die Lippen sich beim Sprechen nicht bewegten und die Stimme, die weder laut noch unangenehm klang, irgendwo von der Seite kam.

Sie fa?te sich ein Herz und antwortete:

«Ich bin Elli, ein kleines schwaches Madchen. Ich komme aus weiter Ferne, um Eure Hilfe zu erbitten.»

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