Wieder rollten die Augen, hielten inne und blickten zur Seite. Es schien, als wollten sie Elli anschauen, vermochten es aber nicht.

Die Stimme fragte:

«Woher hast du die silbernen Schuhe?»

«Aus der Hohle Gingemas, der bosen Zauberin. Mein Hauschen ist auf sie herabgesturzt und hat sie zerdruckt. Jetzt sind die guten Kauer erlost…»

«Die Kauer sind erlost?» fragte die Stimme lebhaft, «und Gingema ist tot? Eine angenehme Nachricht!» Wieder rollten die Augen und hefteten sich schlie?lich auf Elli.

«Was willst du aber von mir?»

«Da? Ihr mich nach Hause bringt, nach Kansas, zu Vater und Mutter…»

«Du kommst aus Kansas?» unterbrach sie die Stimme, die jetzt milde und menschlich klang. «Und wie sieht's jetzt dort aus…» Doch plotzlich verstummte sie, und die Augen wandten sich von Elli ab.

«Ich komme aus Kansas», wiederholte das Madchen. «Obwohl es in Eurem Land sehr schon ist, kann ich es doch nicht lieben», fuhr sie beherzt fort. «Da gibt es auf Schritt und Tritt so viele Gefahren.»

«Was ist dir denn zugesto?en?» wollte die Stimme wissen.

«Unterwegs raubte mich ein Menschenfresser. Er hatte mich gefressen, hatten mir meine treuen Freunde nicht beigestanden, der Scheuch und der Eiserne Holzfaller. Dann verfolgten uns schreckliche Sabelzahntiger… und spater kamen wir in ein tuckisches Mohnfeld, das war ein Reich des Schlafes! Ich, der Lowe und Totoschka schliefen dort ein, und hatten uns der Scheuch und der Eiserne Holzfaller und dann die Mause nicht geholfen, so hatten wir dort geschlafen, bis wir gestorben waren… Um Euch das alles ausfuhrlich zu erzahlen, wurde ich einen ganzen Tag brauchen. Jetzt mochte ich Euch aber bitten: erfullt die drei sehnlichsten Wunsche meiner Freunde, und wenn Ihr es getan habt, so werdet Ihr auch mich nach Hause bringen mussen.»

«Und warum werde ich dich nach Hause bringen mussen?»

«Weil es so im Zauberbuch Willinas steht…»

«Ach, das ist ja die gute Zauberin aus dem Gelben Land'.' Ich habe von ihr gehort», sagte die Stimme. «Was sie prophezeit, geht aber nicht immer in Erfullung.»

«Au?erdem mu?t Ihr mir noch aus dem Grunde helfen, weil sich die Starken der Schwachen stets annehmen mussen», fuhr Elli fort. «Ihr seid doch ein gro?er und weiser Zauberer, ich aber blo? ein hilfloses kleines Madchen…»

«Du warst aber stark genug, die bose Zauberin zu toten», wandte der Kopf ein.

«Das hat die Zauberei Willinas getan», erwiderte das Madchen schlicht, «nicht ich!»

«Hore meine Antwort», sagte der Kopf und rollte die Augen so schnell, da? Elli einen Schrei des Entsetzens ausstie?. «Ich tue nichts umsonst. Willst du durch meine Zauberkunst nach Hause kommen, so mu?t du tun, was ich dir befehle.»

Dabei blinzelten die Augen mehrmals. Trotz ihrer Angst verfolgte Elli mit Interesse die Augen und war gespannt darauf, was sie weiter tun wurden. Die Bewegung der Augen stimmte mit den Worten des Kopfes und dem Tonfall seiner Stimme gar nicht uberein, ja es schien sogar, als fuhrten die Augen ein selbstandiges Leben.

Der Kopf wartete, da? Elli weiter frage.

«Und was mu? ich tun?» fragte sie.

«Du sollst das Violette Land aus der Gewalt der bosen Zauberin Bastinda erlosen», sagte der Kopf.

«Wie kann ich das?» rief Elli.

«Du hast die Kauer aus der Sklaverei erlost und dir die silbernen Zauberschuhe Gingemas verschafft. Jetzt ist nur noch eine bose Zauberin in meinem Lande geblieben, die die armen, schuchternen Zwinkerer, die Bewohner des Violetten Landes, unterdruckt. Sie mussen ihre Freiheit erhalten…»

«Aber wie soll ich ihnen helfen?» fragte Elli. «Ich kann doch die Bastinda nicht toten.»

«Hm, hm…» Die Stimme stockte einen Augenblick lang. «Das ist deine Sache. Man konnte Bastinch in einen Kafig sperren, sie aus dem Violetten Land vertreiben, man konnte…» -

die Stimme klang jetzt unwirsch-, «schlie?lich wirst du an Ort und Stelle sehen, was zu tun ist. Es kommt darauf an, die Zwinkerer von der Zauberin zu erlosen. Urteilt man danach, was du von dir und deinen Freunden erzahlst, so konnt und mu?t ihr es schaffen. Das sage ich, Goodwin der Gro?e und Schreckliche, und was ich sage, ist Gesetz.»

Das Madchen brach in Tranen aus.

«Ihr verlangt Unmogliches von uns!»

«Jede Belohnung will verdient werden», entgegnete der Kopf trocken. «Mein letztes Wort: Du kehrst nach Kansas zuruck, zu Vater und Mutter, wenn du die Zwinkerer befreit hast. Merke dir, Bastinda ist eine machtige und bose Zauberin, furchtbar machtig und bose, und man mu? ihr die Zauberkraft nehmen. Geh und kehre nicht eher zuruck, als bis du deine Aufgabe erfullt hast.»

Betrubt verlie? Elli den Thronsaal und kehrte zu ihren Freunden zuruck, die sie schon unruhig erwarteten.

«Keine Hoffnung!» sagte sie weinend. «Goodwin hat mir befohlen, der bosen Bastinda die Zauberkraft zu nehmen, und das werde ich niemals fertigbringen.»

Alle lie?en die Kopfe hangen, und niemand wu?te Elli zu trosten. Sie ging in ihr Zimmer und weinte, bis sie einschlief.

Am nachsten Morgen stellte sich der grunbartige Soldat beim Scheuch ein.

«Folgt mir, Goodwin erwartet Euch!»

Als der Strohmann den Thronsaal betrat, sah er eine wunderschone Nixe mit schillerndem Fischschwanz auf dem Thron sitzen. Ihr Gesicht war reglos wie eine Maske, die

Augen starrten vor sich hin, und in der Hand hielt sie einen Facher, den sie bewegte.

Der Scheuch, der den lebenden Kopf zu sehen erwartet hatte, war verwirrt, nahm sich aber zusammen und verneigte sich hoflich. Die Nixe sagte mit tiefer angenehmer Stimme, die irgendwo aus der Wand zu kommen schien.

«Ich bin Goodwin, der Gro?e und Schreckliche. Wer bist du, und was fuhrt dich zu mir?»

«Ich bin ein Scheuch, mit Stroh ausgestopft, und bitte Euch um ein Gehirn fur meinen Strohkopf. Dann werde ich so sein wie alle Menschen in Eurem Reich, und das ist mein sehnlichster Wunsch.»

«Warum kommst du mit dieser Bitte zu mir?»

«Weil Ihr weise seid und weil mir au?er Euch niemand helfen kann.»

«Ich verteile meine Gaben nicht umsonst», erwiderte die Nixe. «Hore meine Antwort: Nehme der Bastinda ihre Zauberkraft, und ich werde dir so viel Gehirn geben — ganz prachtiges Gehirn -, da? du der weiseste Mensch in Goodwins Land wirst.»

«Aber Ihr habt das doch schon Elli befohlen», rief der Scheuch verwundert.

«Mir ist's egal, wer es tut», erwiderte die Stimme. «Doch merke dir: Solange die Zwinkerer Bastindas Sklaven bleiben, wird dein Wunsch nicht erfullt. Geh und verdien dir dein Gehirn!»

Betrubt wankte der Scheuch zu seinen Freunden hinaus und erzahlte ihnen, wie Goodwin ihn empfangen habe.

Alle waren verwundert zu horen, da? Goodwin sich dem Scheuch als Nixe gezeigt habe.

Am nachsten Tag holte der Soldat den Eisernen Holzfaller. Als dieser, die Axt auf der Schulter (er trug sie immer mit sich), den Thronsaal betrat, sah er weder den lebenden Kopf noch die Nixe. Auf dem Thron sa? ein grauenhaftes Tier. Es hatte den Kopf eines Nashorns, und aus dem Gesicht glotzten etwa ein Dutzend Augen nach allen Seiten. Zwolf Pranken von verschiedener Lange und Dicke hingen vom ungeschlachten Rumpf herab. Die Haut war stellenweise mit zottigem Fell bedeckt, kahl und grau und mit warzenartigen Auswuchsen ubersat.

Ein abscheulicheres Ungeheuer konnte man sich gar nicht vorstellen. Bei seinem Anblick wurde jedes Menschen Herz heftig zu schlagen beginnen. Der Holzfaller hatte aber kein Herz, und so erschrak er nicht, sondern gru?te nur hoflich. Er war freilich enttauscht, Goodwin nicht in der Gestalt der schonen Nixe zu sehen, die, wie er annahm, ihm eher ein Herz geben wurde.

«Ich bin Goodwin, der Gro?e und Schreckliche», brullte das Tier, und seine Stimme kam nicht aus dem Rachen, sondern aus irgendeinem Winkel. «Wer bist du, und warum belastigst du mich?»

«Ich bin ein Holzfaller aus Eisen, der kein Herz hat und deshalb nicht lieben kann. Gebt mir ein Herz, und ich werde wie alle anderen Menschen Eures Landes sein. Das ist mein sehnlichster Wunsch.»

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