«Immer wieder Wunsche! Wollte ich alle eure sehnlichsten Wunsche erfullen, so mu?te ich Tag und Nacht uber meinen Zauberbuchern sitzen!» Nach kurzem Schweigen fuhr die Stimme fort: «Wenn du ein Herz willst, so mu?t du es dir verdienen!»
«Wie?»
«Packe Bastinda und sperr sie in einen steinernen Kerker. Dann bekommst du das gro?te und gutigste Herz in Goodwins Land, ein Herz, das vor Liebe ubergehen wird», knurrte das Ungeheuer.
Da uberkam den Eisernen Holzfaller eine solche Wut, da? er die Axt von der Schulter ri? und vorschnellte. Die Bewegung war so unerwartet, da? das Ungeheuer erschrak. Es zischte: «Halt! Wenn du noch einen Schritt tust, wird es dir und deinen Freunden schlimm ergehen!»
Verwirrt trat der Eiserne Holzfaller aus dem Thronsaal und eilte zu seinen Freunden. Als diese die unangenehme Nachricht horten, sagte der Feige Lowe grimmig:
«Ich bin zwar feige, aber morgen werde ich mit Goodwin doch ein Huhnchen rupfen mussen. Zeigt er sich mir in Gestalt eines wilden Tieres, so werde ich ein Gebrull aussto?en wie damals, als die Sabelzahntiger uns uberfielen, da? ihm angst und bange wird. Nimmt er aber die Gestalt der Nixe an, so werde ich ein Wortchen mit ihm reden, da? ihm Horen und Sehen vergeht. Am besten ware es, wenn er sich als lebender Kopf zeigen wurde. Dann will ich ihn durch das Zimmer rollen und mit ihm Ball spielen, bis er unsere Wunsche erfullt hat!»
Als der Lowe am nachsten Morgen den Thronsaal betrat, prallte er vor Staunen zuruck. Auf dem Thron lag ein glei?ender Feuerball, der so strahlte, da? der Lowe die Augen schlie?en mu?te.
Aus der Wand drang eine Stimme:
«Ich bin Goodwin, der Gro?e und Schreckliche. Wer bist du und warum belastigst du mich?»
«Ich bin der Feige Lowe! Gebt mir ein bi?chen Mut, damit ich Konig der Tiere werde, wie mich alle nennen.»
«Wenn du Bastinda aus dem Violetten Land vertreiben hilfst, so soll dir der ganze Mut gehoren, der in Goodwins Schlo? vorhanden ist! Falls du's aber nicht tust, so bleibst du ein Feigling dein Leben lang, und ich werde dich verhexen, da? du sogar vor Mausen und Froschen Angst haben wirst!»
Der ergrimmte Lowe wollte sich an den Feuerball heranschleichen und ihn packen, doch ihm schlug eine solche Glut entgegen, da? er aufheulte und mit eingeklemmtem Schwanz aus dem Saal rannte. Zu seinen Freunden zuruckgekehrt, erzahlte er, wie Goodwin ihn empfangen hatte.
«Was sollen wir nun anfangen?» fragte Elli traurig.
«Wir mussen versuchen, Goodwins Befehl auszufuhren», sagte der Lowe.
«Und wenn's uns nicht gelingt?» fragte Elli.
«Dann werde ich niemals Mut bekommen», erwiderte der Lowe.
«Und ich werde niemals zu einem Gehirn kommen», sagte der Scheuch.
«Und ich niemals zu einem Herzen», fugte der Holzfaller hinzu.
«Und ich kehre nimmermehr nach Hause zuruck», rief Elli schluchzend.
«Dann wird Nachbars Rektor allen erzahlen, ich sei von der Farm geflohen, weil ich mich vor dem entscheidenden Kampf mit ihm furchtete», sagte Totoschka.
Elli wischte sich die Tranen ab und sagte:
«Ich will's versuchen, obwohl ich wei?, da? ich niemals die Hand gegen Bastinda erheben werde, selbst wenn man mich mit allen Schatzen der Welt belohnen wurde!»
«Ich gehe mit dir», sagte der Lowe. «Wenn ich auch zu feige bin, dir im Kampf mit der bosen Zauberin beizustehen, so werden dir meine Dienste vielleicht doch zustatten kommen.»
«Auch ich gehe mit dir», sagte der Scheuch. «Freilich werde ich dir kaum zu etwas nutze sein, weil ich doch so dumm bin!»
«Ich werd es nie uber mich bringen, Bastinda ein Leid anzutun, mag sie noch so tuckisch und boshaft sein», erklarte der Eiserne Holzfaller. «Aber wenn ihr geht, so gehe ich naturlich mit euch, meine Freunde!»
«Na, und was mich betrifft», sagte das Hundchen mit wichtiger Miene, «so lasse ich meine Freunde naturlich nicht im Stich!»
Elli dankte ihren treuen Gefahrten von Herzen.
Sie beschlossen, am nachsten Morgen bei Sonnenaufgang aufzubrechen.
Der Eiserne Holzfaller scharfte seine Axt, schmierte sorgfaltig alle seine Gelenke und fullte die Olkanne bis an den Rand mit bestem Schmierol. Der Scheuch bat, sein Stroh zu erneuern, Elli verschaffte sich Pinsel und Farben und zog ihm die Augen, den Mund und die Ohren nach, die vom Stra?enstaub und von der grellen Sonne ganz bla? geworden waren. Das grune Madchen fullte Ellis Korbchen mit schmackhaftem Mundvorrat. Sie kammte auch Totoschka und band ihm ein silbernes Glocklein um den Hals.
Am fruhen Morgen erwachten die Gefahrten vom Geschrei eines grunen Hahns, der im Hinterhof lebte.
Die letzte Zauberei Bastindas
Der grunbartige Soldat geleitete die kleine Schar bis an das Tor der Smaragdenstadt, wo der Torhuter ihnen die Brillen abnahm, die er in seine Tasche steckte.
«Ihr verla?t uns schon?» fragte er hoflich.
«Ja, das mussen wir», erwiderte Elli traurig. «Welcher Weg fuhrt ins Violette Land?»
«Dorthin fuhrt kein Weg», sagte Faramant. «Niemand geht freiwillig in das Land der bosen Bastinda.»
«Wie finden wir sie aber?»
«Daruber braucht ihr euch keine Sorgen zu machen. Wenn ihr in das Violette Land kommt, wird euch Bastinda selber finden und zu Sklaven machen.»
«Vielleicht gelingt es uns aber, ihr die Zauberkraft zu nehmen?» fragte der Scheuch.
«Ihr wollt euch mit Bastinda messen? Na, ich beneide euch nicht. Noch niemand hat es gewagt, sie anzugreifen, au?er Goodwin, und sogar er» — der Torhuter senkte die Stimme -
«mu?te den kurzeren ziehen. Sie wird alles tun, um euch gefangenzunehmen, noch ehe ihr etwas ausrichten konnt. Gebt acht! Bastinda ist eine bose und schlaue Zauberin, mit ihr ist nicht gut Kirschen essen. Geht in die Richtung des Sonnenaufgangs, und ihr werdet in ihr Land kommen. Ich wunsche euch Erfolg!»
Die funf nahmen Abschied von Faramant, der hinter ihnen das Stadttor schlo?, und zogen nach Osten. Alle waren betrubt, deren sie wu?ten, was ihnen bevorstand, mit Ausnahme von Totoschka, der auf die gro?en bunten Schmetterlinge des Feldes Jagd machte. Er war guter Laune und unbesorgt, weil er der Kraft des Lowen und des Eisernen Holzfallers sowie der Findigkeit des Scheuchs vertraute.
Elli gewahrte mit Staunen, da? das grune Halsband des Hundchens wei? geworden war.
«Was soll das bedeuten?» fragte sie ihre Freunde.
Diese blickten sich verstandnislos an; nur der Scheuch sagte tiefsinnig:
«Das ist Zauberei!»
In Ermangelung einer anderen Erklarung stimmten sie dem Scheuch zu und gingen weiter. Die Smaragdenstadt verschwand in der Ferne, und das Land ringsum wurde kahl und ode. Die Wanderer naherten sich dem Reich Bastindas.
Bis zum Mittag schien die Sonne ihnen in die Augen und blendete sie. Sie gingen durch felsiges Hochland, in dem es keinen Baum gab, der Schatten spendete. Als es dunkelte,
wurde Elli schrecklich mude, und der Lowe hatte sich seine Pfoten zerschunden und hinkte.
Die funf machten halt, um zu ubernachten. Der Scheuch und der Eiserne Holzfaller hielten Wache, wahrend ihre Kameraden schliefen.
Die bose Bastinda hatte nur ein Auge, mit dem sie aber so gut sah, da? kein Winkel des Violetten Landes ihrem Blick entging.
Als sie abends vor das Tor ihres Schlosses trat, um Luft zu schopfen, und den Blick uber ihre Besitzungen schweifen lie?, entdeckte sie weit an der Grenze ihres Reiches das schlafende Madchen und seine Freunde.
Kochend vor Wut, blies sie in ihre Pfeife, und im gleichen Augenblick kam ein Rudel riesiger Wolfe mit bosen gelben Augen und hervorstehenden Hauern angebraust. Schnaubend setzten sich die Tiere auf ihre Hinterbeine und starrten Bastinda an.