Skiba wartete ab.
»Wir wissen, dass sie Broadbents Ziel war. Er hat sich von einer Indianerbande in einer Gruft bestatten lassen, die er vor vierzig Jahren geplundert hat. Es ist wahrscheinlich die gleiche Gruft, aus der der Codex stammt. Ist das nicht Ironie? Wir sind jetzt hier, in der versunkenen Stadt. Jetzt brauchen wir nur noch das Grab zu finden.«
Skiba horte ein gedampftes Krachen, das der Verschlussler zu einem gedehnten Kreischen verzerrte. Hauser hatte ihn genau im richtigen Moment ausgeschaltet, als Einstieg in seine eigene Stimme. Hauser waren die funfzig Millionen jetzt nicht nur sicher: Skiba hatte das Gefuhl, dass er viel, viel mehr zahlen wurde, und zwar sein restliches Leben lang. Hauser hatte ihn in der Hand. Was war er doch fur ein Schwachkopf gewesen. Er hatte sich am laufenden Band austricksen lassen. Unglaublich.
»Haben Sie das gerade gehort? Es war der wunderbare Klang von Dynamit. Meine Manner nehmen sich gerade eine Pyramide vor. Leider ist die Wei?e Stadt ein gro?es, uberwuchertes Areal, und Max konnte so ziemlich uberall bestattet sein. Ich hab jedenfalls angerufen, um Ihnen zu sagen, dass eine Veranderung eingetreten ist. Wenn wir die Gruft finden und den Codex haben, gehen wir nach Westen, uber die Berge, durch El Salvador, zum Pazifik. Zu Fu?, und dann flussabwarts. Es wird ein bisschen langer dauern. Sie erhalten den Codex innerhalb eines Monats.«
»Sie haben doch gesagt ...«
»Yeah, yeah. Ursprunglich wollte ich den Codex mit einem Hubschrauber nach San Pedro Sula bringen. Aber dann mussten wir den plotzlichen Tod einiger honduranischer Soldaten erklaren. Und man wei? doch nie, wann irgendein Kommisskopf von General auf die Idee kommt, unser Eigentum als nationalen Besitz zu beschlagnahmen.
Die einzigen Hubschrauber, die es hier gibt, gehoren namlich dem Militar. Wenn man hier rausfliegen will, muss man militarischen Luftraum durchqueren. Deswegen schleichen wir uns weiter nach Westen, weil damit keiner rechnet. Vertrauen Sie mir, es ist der beste Weg.«
Skiba schluckte erneut. Tote Soldaten? Ihm wurde schon ubel, wenn er nur mit Hauser redete. Er hatte ihn gern gefragt, ob er es getan hatte, aber es gelang ihm nicht, die Worte uber die Lippen zu bringen.
»Fur den Fall, dass Sie Uberlegungen anstellen ... Ich habe Ihren Befehl nicht ausgefuhrt. Broadbents drei Sohne leben noch. Es sind zahe Knochen. Aber ich habe es nicht vergessen. Ich verspreche Ihnen, ich werd's noch tun.«
»Was soll das hei?en?«
»Tun Sie es nicht.«
»Was soll ich nicht tun?«
»Bringen Sie sie nicht um.«
Ein leises Kichern. »Dafur ist es
»Um Gottes willen, Hauser, tun Sie es nicht. Ich befehle Ihnen, sie nicht zu toten.
Aber die Leitung war schon tot. Skiba horte ein Gerausch und drehte sich um. Sein Gesicht war schwei?nass. Sein Sohn stand im Turrahmen. Er trug einen ausgebeulten Schlafanzug, sein blondes Haar stand ab, und er hielt seine Trompete in der Hand. »Wer soll nicht getotet werden, Vati?«
49
An diesem Abend servierte Borabay ihnen ein Drei-Gange-Menu. Es begann mit Fischsuppe und Gemuse, dann kamen gebratene Steaks und ein Gericht aus winzigen ge-kochten Eiern, in denen sich Jungvogel befanden. Zum Abschluss als Dessert eine schleimige Suppe aus gekochtem Obst. Borabay zwang sie, eine zweite und dritte Portion zu vertilgen, bis ihnen fast ubel wurde. Als der letzte Bissen verzehrt war, wurden in der Abenddammerung die Pfeifen gegen die Urwaldinsekten gezuckt. Der Abend war klar, ein gewolbter Mond stieg hinter den dunklen Umrissen der Sierra Azul auf. Die drei Bruder und Sally sa?en im Halbkreis um das Feuer, alle rauchten schweigend und warteten darauf, dass Borabay etwas sagte. Der Indianer paffte eine Weile vor sich hin, dann legte er seine Pfeife nieder und schaute sich um. Seine Augen funkelten im Schein der Flammen. Er schien alle Anwesenden genau zu mustern.
Die Frosche hatten schon mit ihrem abendlichen Gequake angefangen; ihre Laute mischten sich mit ratselhafteren Klangen - Schreien, Bloken, Klopfen und Gekreisch.
»Jetzt sind wir hier, Bruder«, setzte Borabay an.
Das Feuer qualmte und knisterte und vertrieb die abendliche Dunkelheit. Borabay sagte leise: »Auf Berg passieren bose Dinge. Mein Englisch nicht gut, aber ich euch jetzt erzahlen, was passieren und was wir mussen tun.« Er legte eine Pause ein. »Aber ich fange Geschichte an Anfang an, vor vierzig Jahre, bevor ich wurde geboren. In das Jahr wei?er Mann kommt ganz allein flussaufwarts und uber Berge. Kommt in Tara-Dorf halb tot an. Er erster wei?er Mann jemand gesehen. Sie ihn schaffen in Hutte, geben zu essen, bringen zuruck in Leben. Dieser Mann leben mit Tara-Volk. Er lernen zu sprechen unsere Sprache. Die Leute fragen, warum er kommen. Er sagen, er suchen Wei?e Stadt, die wir nennen Sukia Tara. Ist die Stadt von unsere Ahnen. Jetzt wir gehen nur hin, um zu bestatten Tote. Sie bringen ihn nach Sukia Tara. Sie nicht wissen, dass er wollen stehlen in Sukia Tara. Und dann Mann nehmen Tara-Frau als Gattin.«
»Passt zusammen«, sagte Philip mit einem ironischen Lachen. »Vater war immer einer von denen, die sich nebenher ein bisschen was geleistet haben.«
Borabay schaute ihn an. »Wer erzahlen Geschichte? Bruder oder ich?«
»Schon gut, mach weiter.« Philip gab Borabay einen Wink.
»Dieser Mann, wie ich sagen, nehmen Tara-Frau zur Gattin. Diese Frau meine Mutter sein.«
»Er hat deine Mutter
»Naturlich er heiraten meine Mutter«, antwortete Borabay. »Wie sonst wir konnen sein Bruder, Bruder?«
Als Tom begriff, was Borabay sagte, war er sprachlos. Er schaute den Indianer an, als sahe er ihn zum ersten Mal.
Sein Blick wanderte uber das bemalte Gesicht, die Tatowierungen, die angespitzten Zahne, die Stopsel in seinen Ohrlappchen -und ebenso uber die grunen Augen, die hohe Stirn, die markigen Lippen, die fein geschnittenen Wan-
genknochen. »Ach du meine Gute!«, keuchte er.
»Was?«, fragte Vernon. »Ja, was ist denn, Tom?«
Tom warf Philip einen Blick zu und merkte, dass auch sein alterer Bruder wie vom Donner geruhrt war. Philip stand langsam auf und starrte Borabay an.
»Dann, nachdem Vater heiraten Mutter, Mutter mich geboren. Ich genannt Borabay, nach Vater.«
»Borabay«, murmelte Philip, und dann: »Broadbent.«
Ein langes Schweigen trat ein.
»Versteht ihr denn nicht? Borabay - Broadbent. Es ist der gleiche Name.«
»Du meinst, er ist unser
Niemand antwortete. Philip, nun auf den Beinen, trat einen Schritt auf Borabay zu und beugte sich vor, um sein Gesicht aus der Nahe zu betrachten, als ware er eine Art Abnormitat. Borabay ruhrte sich, nahm die Pfeife aus dem Mund und lachte nervos. »Was du sehen, Bruder? Gespenst?«
»Irgendwie schon.« Philip streckte die Hand aus und beruhrte Borabays Gesicht.
Borabay blieb ruhig sitzen, reglos.
»Mein Gott«, sagte Philip leise. »Du bist
»Das ich doch sagen! Wir alle Bruder. Was du denken, wenn ich sagen >Bruder<? Du glauben, ich