Das dritte Tau riss wie eine Sprungfeder. Der Rucksto? der Brucke hatte sie beinahe alle in die Tiefe geschleudert.
Jetzt hingen die Trummer nur noch an einem Tau und schwangen hin und her.
Der Leutnant richtete sein Schie?eisen auf sie. »Ihr sterbt jetzt«, bellte er auf Englisch.
Ein Knall ertonte, doch er kam nicht aus seiner Waffe. Auf dem Gesicht des Leutnants war ein erstaunter Ausdruck.
Dann schien er vor ihnen eine Verbeugung zu machen. Ein langer Pfeil steckte in seinem Hinterkopf. Unter den Soldaten brach mit einem Schlag gro?te Verwirrung aus. Im gleichen Moment kam vom Waldrand ein Heulen, das Tom das Blut in den Adern gefrieren lie?. Dem Geheul folgte eine heftige Pfeilsalve. Tara-Krieger ergossen sich aus dem Dschungel. Sie rannten und sprangen laut schreiend uber das flache Gelande und feuerten im Laufen noch mehr Pfeile ab. Die restlichen Soldaten, von diesem unerwarteten Flankenangriff vollig uberrascht, warfen panisch ihre Waffen fort, um zu fliehen. Sie wurden jedoch auf der Stelle in menschliche Nadelkissen verwandelt, da Dutzende von Pfeilen sie trafen. Bevor sie zu Boden fielen, taumelten sie wie trunkene Stachelschweine umher.
Kurz darauf erreichten Tom und seine Bruder festen Boden - exakt in dem Moment, in dem das letzte Tau in einer riesigen Funkenwolke riss. Die beiden brennenden Bruk-kenenden flogen trage auf die Wande der Schlucht zu, um wie ein brennender Trummerregen gegen sie zu knallen.
Es war vorbei. Die Brucke war nicht mehr.
Tom schaute nach vorn und sah Sally, die sich gerade aus den Buschen erhob und auf sie zulief. Sie stutzten ihren Vater und gingen ihr entgegen, wobei die Tara-Krieger ihnen halfen. Als sie Sally erreichten, schloss Tom sie in die Arme. Sie umarmten sich, und Kniich, der nun wieder sicher in Toms Tasche sa?, quakte ungehalten, da er sich zwischen ihnen gro?em Druck ausgesetzt sah.
Tom schaute zuruck. Die beiden im Abgrund hangenden Bruckenhalften brannten noch. Ein halbes Dutzend Manner waren nun in der Wei?en Stadt gefangen. Sie standen am Rand des Abgrundes und stierten die herabhangenden Reste an. Dann stiegen wieder Dunstschwaden auf und verhullten nach und nach die schweigenden, besturzt dreinblickenden Gestalten.
83
In der Hutte drinnen war es warm und roch leicht nach Rauch und medizinischen Krautern. Tom trat ein. Vernon, Philip und Sally folgten ihm. Maxwell Broadbent lag mit geschlossenen Augen in einer Hangematte. Drau?en quak-ten Frosche in der friedlichen Nacht. Unter den wachsamen Blicken Borabays zerstampfte ein junger Tara-Medizinmann in einer Ecke der Hutte Krauter.
Tom legte seinem Vater eine Hand auf die Stirn. Seine Temperatur war gestiegen. Die Beruhrung bewirkte, dass Maxwell Broadbent die Augen offnete. Sein Gesicht war eingefallen, seine Augen schimmerten fiebrig im Schein des Feuers. Doch er brachte ein Lacheln zustande. »Sobald es mir besser geht, will Borabay mir zeigen, wie die Tara mit dem Speer fischen.«
Borabay nickte.
Broadbents ruheloser Blick schweifte uber die Anwesenden hinweg, als bitte er um Zustimmung. »Na, Tom? Was meinst du dazu?«
Tom hatte gern etwas gesagt, bekam aber irgendwie keinen Ton heraus.
Der junge Medizinmann stand auf und hielt Broadbent einen mit einer dunkelbraunen Flussigkeit gefullten Tonbe-cher hin.
»Nicht schon wieder dieses Zeug«, murmelte Broadbent.
»Das ist ja schlimmer als der Lebertran, den meine Mutter mir jeden Morgen eingeflo?t hat.«
»Trink, Vater«, sagte Borabay. »Gut fur dich.«
»Was ist das?«, fragte Broadbent.
»Medizin.«
»Das wei? ich selbst. Aber was fur 'ne Medizin? Du kannst doch nicht erwarten, dass ich etwas schlucke, das ich nicht kenne.«
Maxwell Broadbent entpuppte sich als schwieriger Patient.
»Das ist
»Na ja, weh wird's wohl nicht tun.« Broadbent nahm den Becher entgegen und trank. »Sieht aus, als hatten wir hier
'ne Arzteschwemme. Sally, Tom, Borabay, und jetzt noch der junge Hexendoktor. Man konnte fast meinen, ich hatte was Ernstes.«
Tom schaute Sally kurz an.
»Was wir alles zusammen unternehmen werden, wenn's mir erst besser geht!«, sagte Broadbent.
Tom schluckte erneut. Als sein Vater sein Unbehagen bemerkte - ihm entging nie etwas -, schaute er ihn an. »Nun, Tom? Du bist der einzige echte Arzt hier. Wie steht's mit
'ner Prognose?«
Tom versuchte, ein Lacheln aufzusetzen. Sein Vater schaute ihn ziemlich eindringlich an, dann lehnte er sich mit einem Seufzer zuruck. »Wen versuch ich eigentlich zu verarschen?«
Langes Schweigen machte sich breit.
»Hor zu, Tom, ich wei?, dass der Krebs mich umbringt.
Was Schlimmeres kann's doch nicht geben.«
»Nun«, begann Tom, »die Kugel hat deine Bauchhohle getroffen. Du hast eine Infektion. Deswegen hast du auch Fieber.«
»Und die Prognose?«
Tom schluckte erneut. Seine drei Bruder und Sally musterten ihn konzentriert. Er wusste, dass sein Vater sich nicht mit irgendwelchem Geschwafel abspeisen lassen wurde. Er wollte die ungeschminkte Wahrheit horen.
»Sieht nicht gut aus.«
»Erzahl weiter.«
Tom brachte es nicht uber sich, es auszusprechen.
»Ist es so schlimm?«, fragte sein Vater.
Tom nickte.
»Und was ist mit den Antibiotika, die der Medizinmann mir gibt? Und was ist mit all den wunderbaren Heilmitteln, die in dem Codex stehen, den du gerettet hast?«
»Gegen die Blutvergiftung, die du dir zugezogen hast, wirkt kein Antibiotikum, Vater. Dazu musste man eine um-fassende Operation vornehmen, und fur die ist es nun wahrscheinlich zu spat. Medikamente konnen nicht
Wieder Schweigen. Broadbent wandte sich um und schaute auf. »Verdammt«, sagte er zur Decke hin.
»Du hast die fur uns bestimmte Kugel aufgefangen«, sagte Philip. »Du hast uns das Leben gerettet.«
»Das Beste, was ich je getan habe.«
Tom legte seinem Vater eine Hand auf den Arm. Er war sehr hei?. »Tut mir Leid.«
»Wie lange hab ich also noch?«
»Zwei bis drei Tage.«
»Herrgott. So wenig?«
Tom nickte.
Broadbent lehnte sich mit einem Seufzer zuruck. »In ein paar Monaten hatte der Krebs mich sowieso erledigt. Andererseits ware es naturlich verdammt schon gewesen, diese Zeit mit meinen Sohnen zu verbringen, 'ne Woche hatte mir gereicht.«
Borabay trat vor und legte Broadbent eine Hand auf die Brust. »Mir Leid tun, Vater.«
Broadbent legte seine Hand auf die Borabays. »Mir auch Leid tun.« Er musterte seine anderen Sohne. »Wenn ich mir doch nur noch mal den Lippi ansehen konnte ... Als ich in der Gruft war, hab ich mir immer