amerikanische Zeitungen, beinahe sieben Jahre alt, die von einem notorischen Schwindler und Bigamisten, Charles Lemaitre, handelten. Lemaitre war verdachtigt, seine Frauen beiseite gebracht zu haben. Unter dem Fu?boden in einem der Hauser, die er gemietet hatte, war ein Skelett gefunden worden, und die meisten Frauen, die er »geheiratet« hatte, waren wie vom Erdboden verschwunden.

Er hatte sich mit au?erordentlicher Geschicklichkeit verteidigt und wurde dabei von einem der besten Anwalte der USA unterstutzt. Das Urteil »Freispruch mangels Beweisen« mochte vielleicht diesen Fall am besten charakterisiert haben. Jedenfalls wurde er, was die Hauptanklage betraf, fur nicht schuldig erklart. Fur andere Delikte, die ihm zur Last gelegt wurden, erhielt er eine langere Gefangnisstrafe.

Alix erinnerte sich an die Aufregung, die dieser Proze? seinerzeit verursacht hatte, und auch an die Sensation, als es Lemaitre nach ungefahr drei Jahren gelungen war auszubrechen. Er wurde niemals wieder gefa?t. Die Personlichkeit dieses Mannes und seine au?ergewohnliche Macht uber Frauen war ausfuhrlich in der englischen Presse diskutiert worden. Auch seine Reizbarkeit vor Gericht, seine leidenschaftlichen Proteste und seine manchmal auftretenden physischen Zusammenbruche, die er eines schwachen Herzens wegen erlitt, wurden eingehend besprochen.

In einem der Zeitungsausschnitte war ein Bild von ihm, und Alix betrachtete es mit Interesse. Ein Herr mit einem Vollbart, der etwas Schulmeisterliches an sich hatte.

An wen erinnerte sie dieses Gesicht nur? Plotzlich wurde es ihr mit Schrecken bewu?t: an Gerald selbst. Seine und dieses Mannes Augen und Stirn hatten eine Ahnlichkeit, die nicht zu ubersehen war. Vielleicht hatte er die Ausschnitte deswegen aufgehoben? Ihr Blick ging weiter zur Bildunterschrift. In dem Notizbuch des Angeklagten waren gewisse Daten gefunden worden, und man war uberzeugt, da? es die Daten waren, an denen er seine Opfer umgebracht hatte. Und dann war da noch von einer Frau die Rede, die den Verhafteten durch die Tatsache identifiziert hatte, da? er am linken Handgelenk ein Muttermal hatte, genau uber der Innenflache seiner Hand.

Alix lie? das Papier zu Boden fallen. Sie schwankte. Ihr Mann hatte an der gleichen Stelle eine Narbe.

Spater wunderte sie sich daruber, da? sie sofort so uberzeugt gewesen war. Gerald Martin war Charles Lemaitre. Sie fuhlte es. Nein, sie wu?te es jetzt. Gedankenfetzen jagten durch ihr Gehirn wie Teile eines Puzzlespiels, die sich zusammenordneten. Das Geld fur das Haus, ihr Geld. Die Pfandbriefe, die sie auf seinen Namen eingetragen hatte. Sogar ihr Traum erschien ihr in seiner wirklichen Bedeutung. Ihr Unterbewu?tsein hatte sich immer vor Gerald gefurchtet und hatte versucht, sich von ihm freizumachen. Es war Dick Windyford gewesen, an den sich ihr Unterbewu?tsein um Hilfe gewandt hatte. Das war es auch, weshalb sie die Wahrheit so schnell erkannt hatte. Ohne Zweifel sollte sie das nachste Opfer Lemaitres werden.

Ein dunner Schrei entrang sich ihren Lippen. Mittwoch um neun Uhr. Der Keller mit seinen Steinplatten, die man so leicht hochheben konnte! Schon einmal hatte er sein Opfer in einem Keller vergraben. Es war alles vorausgeplant gewesen fur Mittwoch abend. Aber es noch niederzuschreiben - ein Wahnsinn!

Nein, es war ja logisch. Gerald machte sich stets Notizen uber seine Verabredungen. Mord war fur ihn ein Geschaft wie alles andere. Aber wie war sie nur davongekommen? Was hatte sie geschutzt? In letzter Minute hatte er umdisponiert ...

Wie ein Blitz kam ihr die Antwort: der alte George!

Jetzt verstand sie den offenen Zorn ihres Mannes. Zweifellos hatte er sich den Weg geebnet, indem er jedem erzahlt hatte, da? sie am nachsten Tag nach London fahren wurden. Dann war George unerwartet zur Arbeit gekommen, hatte London ihr gegenuber erwahnt, und sie hatte die Geschichte richtiggestellt. Es war zu riskant gewesen, sie an diesem Abend zu beseitigen. Wenn sie diese triviale Geschichte nicht erwahnt hatte! Alix schauderte.

Aber sie hatte keine Zeit zu verlieren. Sie mu?te gehen, bevor er zuruckkam. Eilig legte sie die Zeitungsausschnitte in das Fach zuruck und verschlo? es. Dann stand sie bewegungslos da, wie zu einem Stein erstarrt. Sie hatte das Quietschen des Gartentors gehort. Ihr Mann war bereits zu Hause.

Einen Augenblick blieb sie starr vor Schreck, dann schlich sie auf Zehenspitzen ans Fenster, versteckte sich hinter den Gardinen und sah hinaus.

Ja, es war Gerald. Er lachelte und summte eine kleine Melodie. In seiner Hand hielt er etwas, das der entsetzten Frau das Herz stillstehen lie?: es war ein nagelneuer Spaten. Instinktiv kam Alix zu der Gewi?heit, es wurde heute abend sein.

Aber noch hatte sie eine Chance. Summend ging Gerald um das Haus herum zur Ruckseite. Ohne einen Moment zu zogern, rannte sie die Treppe hinunter und aus dem Haus. Doch als sie gerade aus der Tur kam, erschien ihr Mann von der anderen Seite. »Hallo«, rief er. »Wohin laufst du so eilig?«

Alix bemuhte sich verzweifelt, ruhig und unauffallig zu erscheinen. Ihre Chance war fur den Augenblick verpatzt, aber wenn sie vorsichtig war und seinen Verdacht nicht erregte, konnte noch alles gutgehen.

»Ich wollte ein bi?chen Spazierengehen«, sagte sie. Aber ihre Stimme war schwach und klang nicht uberzeugend.

»Fein«, sagte Gerald, »ich komme mit.«

»Nein, bitte, Gerald. Ich bin nervos. Ich habe Kopfschmerzen und mochte lieber allein sein.«

Besorgt sah er sie an. Sie bildete sich sofort ein, da? in seinen Augen Verdacht aufglomm.

»Was ist los mit dir, Alix? Du bist bla?, und du zitterst ja.«

»Nichts.« Sie zwang sich zu einem Lacheln. »Ich habe Kopfschmerzen, das ist alles. Ein wenig frische Luft wird mir guttun.«

»Aber es ist nicht schon von dir zu sagen, du mochtest mich nicht dabei haben«, erklarte Gerald mit einem leichten Lachen. »Ich gehe mit, ob du willst oder nicht.«

Sie wagte nicht, weiter zu protestieren. Falls er Verdacht schopfte, da? sie wu?te .

Mit Muhe gelang es ihr, sich unbefangen zu geben. Dennoch hatte sie das unbehagliche Gefuhl, da? er sie von Zeit zu Zeit verstohlen betrachtete, wie wenn er nicht ganz zufrieden ware.

Als sie nach Hause zuruckkehrten, bestand er darauf, da? sie sich hinlegte. Er spielte, wie immer, den besorgten Ehemann, brachte Eau de Cologne und rieb ihr damit Stirn und Schlafen ein. Alix fuhlte sich so hilflos, als ware sie in eine Falle geraten.

Nicht eine Minute lie? er sie allein. Er ging mit ihr in die Kuche und half ihr, die kalte Platte hereinzutragen, die sie schon vorbereitet hatte. Sie wurgte die Bissen hinunter und zwang sich, frohlich und naturlich zu wirken. Sie wu?te jetzt, da? sie um ihr Leben kampfte. Sie war allein mit diesem Mann, meilenweit von jeder Hilfe entfernt. Sie war absolut seiner Gnade ausgeliefert. Ihre einzige Chance lag darin, sein Mi?trauen einzuschlafern. Vielleicht lie? er sie ein paar Minuten allein, wenigstens so lange, da? sie in die Diele gehen und Hilfe herbeitelefonieren konnte. Das war jetzt ihre einzige Hoffnung.

Plotzlich erinnerte sie sich, da? er seinen Plan schon einmal geandert hatte. Angenommen, sie erzahlte ihm, da? Dick Windyford heute abend kommen werde?

Die Worte lagen ihr schon auf der Zunge, aber sie schwieg. Diesen Mann konnte man ein zweites Mal nicht abhalten. Seine Entschlossenheit hatte etwas Beangstigendes an sich. Sie wurde das Verbrechen nur noch beschleunigen. Wahrscheinlich wurde er sie dann gleich umbringen und Dick Windyford anrufen, um ihm irgendeine Geschichte zu erzahlen, die ihn entschuldigte.

Ach, wenn nur Dick Windyford heute abend kame!

Plotzlich hatte sie eine Idee. Sie blinzelte verstohlen zu ihrem Mann hinuber, als hatte sie Angst, da? er ihre Gedanken erraten konnte. Wahrend sie sich ihren Plan zurechtlegte, schopfte sie wieder Hoffnung. Sie benahm sich jetzt so ungezwungen und naturlich, da? sie sich selbst bewunderte. Sie machte Kaffee und trug ihn auf die Veranda hinaus, wo sie manchmal an schonen Abenden sa?en.

»Ubrigens«, sagte Gerald plotzlich, »ich mochte, da? du mir nachher hilfst, einige Fotoarbeiten zu erledigen.«

Alix spurte einen kalten Schauder ihren Rucken hinunterlaufen. Aber es gelang ihr, noch nonchalant zu fragen:

»Kannst du das nicht allein? Ich bin heute abend wirklich etwas mude.«

»Es wird nicht lange dauern.« Er lachelte malizios. »Und ich kann dir versichern, da? du danach uberhaupt nicht mehr mude sein wirst.«

Die Worte schienen ihn zu amusieren. Alix zitterte. Jetzt oder nie war der Zeitpunkt gekommen, wo sie ihren Plan ausfuhren mu?te. Sie erhob sich.

»Ich rufe nur rasch den Metzger an«, meinte sie leichthin.

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