»Wir waren einen Monat lang verheiratet. Ich war sehr gut zu meinem Mann. Er ruhmte mich bei allen Nachbarn. Jeden Abend bereitete ich ihm seinen Kaffee. Eines Abends, als wir allein waren, streute ich eine Prise des todlichen Alkaloids in seine Tasse.«

Wieder machte Alix eine Pause und fadelte sorgfaltig einen neuen Faden in ihre Nadel. Sie, die niemals schauspielern konnte, uberflugelte jetzt die gro?ten Mimen der Welt. Sie lebte ihre Rolle als kaltblutige Giftmischerin.

»Es war sehr friedlich. Ich sa? und beobachtet ihn. Nur einmal hat er ein wenig nach Luft geschnappt. Ich offnete die Fenster. Er sagte, er konne nicht mehr vom Stuhl aufstehen. Dann starb er.«

Sie lachelte. Es war nur noch eine Viertelstunde bis neun Uhr. Gewi? wurde Dick jeden Augenblick hier sein.

»Wie hoch war die Versicherungssumme?« erkundigte sich Gerald.

»Ungefahr zweitausend Pfund. Ich habe damit spekuliert und das Geld verloren. Ich ging wieder ins Buro. Aber nicht lange. Dann lernte ich einen anderen Mann kennen. Ich hatte im Geschaft meinen Madchennamen behalten, daher wu?te er nicht, da? ich schon einmal verheiratet war. Er war jung, sah gut aus und war ganz gut situiert. Wir haben in aller Stille in Sussex geheiratet. Er wollte keine Lebensversicherung abschlie?en. Aber er hat naturlich ein Testament zu meinen Gunsten gemacht. Er liebte es, da? ich ihm seinen Kaffee selbst zubereitete, genau wie mein erster Mann.«

Alix lachelte nachdenklich und fugte dann schlicht hinzu: »Ich kann einen sehr guten Kaffee machen.«

Dann fuhr sie fort:

»Ich hatte einige Freunde im Dorf, in dem wir lebten. Sie bemitleideten mich sehr, da? mein Mann so plotzlich einem Herzschlag erlag. Der Arzt war mir unsympathisch. Ich glaube zwar nicht, da? er mich verdachtigte, aber er war jedenfalls uber den plotzlichen Tod meines Mannes sehr uberrascht.

Ich wei? nicht genau, weshalb ich wieder in mein Buro zuruckging. Gewohnheit, wahrscheinlich. Mein zweiter Mann hinterlie? viertausend Pfund. Diesmal spekulierte ich nicht. Ich investierte es. Und dann, na, du wei?t ja -«

Aber sie wurde unterbrochen. Gerald Martin, hochrot im Gesicht, halb erstickt, deutete mit dem Zeigefinger auf sie.

»Der Kaffee! Mein Gott, der Kaffee!«

Sie blickte ihn starr an.

»Ich wei? jetzt, warum er so bitter war. Du Teufelin! Du hast deinen Trick zum drittenmal angewendet!«

Seine Hande umklammerten die Armlehnen seines Sessels. Er war nahe daran, sie anzuspringen.

»Du hast mich vergiftet!«

Alix war vor ihm zum Kamin zuruckgewichen. Sie wollte schon die Lippen offnen, um es abzustreiten, dann hielt sie ein. Jede Sekunde wurde er sie anfallen. Sie nahm alle Kraft zusammen. Ihre Augen hielten seinem Blick stand.

»Ja«, sagte sie, »ich habe dich vergiftet. Das Gift wirkt schon. Du kannst schon nicht mehr aus dem Sessel aufstehen. Du kannst dich nicht mehr bewegen.«

Da. Was war das? Schritte auf der Stra?e. Das Quietschen des Gartentores. Dann Schritte auf dem Weg zum Haus. Die au?ere Tur offnete sich.

»Du kannst dich nicht bewegen«, wiederholte sie.

Dann schlupfte sie an ihm vorbei und fluchtete kopfuber aus dem Zimmer. Ohnmachtig fiel sie in die Arme von Dick Windyford.

»Mein Gott, Alix!« rief er aus.

Dann wandte er sich an den Mann neben ihm, eine gro?e, wackere Gestalt in Polizeiuniform.

»Sehen Sie nach, was passiert ist!«

Er legte Alix behutsam auf eine Couch und beugte sich uber sie.

»Mein kleines Madchen«, murmelte er, »mein armes kleines Madchen. Was haben sie mit dir gemacht?«

Ihre Lider zuckten, und ihre Lippen murmelten seinen Namen.

Dick fuhr hoch, als der Polizist seinen Arm beruhrte.

»In dem Zimmer ist nichts, Sir, au?er einem Mann, der in einem Sessel sitzt. Es sieht aus, als hatte er einen schweren Schock erlitten, und ...«

»Nun, Sir, er ist tot.«

Sie waren uberrascht, als sie Alix' Stimme horten. Sie sprach wie im Traum; ihre Augen waren noch geschlossen.

»Und dann«, sagte sie, als ob sie etwas zitierte, »starb er.«

Die spanische Truhe

Punktlich auf die Minute, wie immer, betrat Hercule Poirot den kleinen Raum, wo Miss Lemon, seine tuchtige Sekretarin, ihre Instruktionen fur den Tag erwartete.

Auf den ersten Blick schien Miss Lemon ganzlich aus Kanten und Winkeln zu bestehen und befriedigte somit Poirots Verlangen nach Symmetrie.

Womit jedoch nicht gesagt sein soll, da? Poirot sich sonst bei Frauen von seiner Leidenschaft fur geometrische Prazision beherrschen lie?. Im Gegenteil, er war altmodisch und hatte eine kontinentale Vorliebe fur Kurven - ja sogar fur uppige Kurven. Frauen sollten in seinen Augen Frauen sein. Er liebte sie wohlgerundet, farbenprachtig, exotisch.

Doch Miss Lemon hatte er nie als eine Frau angesehen. Sie war eine menschliche Maschine - ein Prazisionsinstrument. Von nahezu erschreckender Tuchtigkeit. Sie war achtundvierzig Jahre alt und besa? auch nicht die geringste Spur von Phantasie.

»Guten Morgen, Miss Lemon.«

»Guten Morgen, Monsieur Poirot.«.

Poirot setzte sich hin, und Miss Lemon legte die sorgfaltig nach Kategorien geordnete Morgenpost vor ihn auf den Tisch. Dann nahm sie wieder Platz und sa? mit gezucktem Bleistift und aufgeschlagenem Stenogrammheft erwartungsvoll da.

Aber dieser Morgen sollte eine leichte Anderung in der gewohnten Routine bringen. Poirot hatte die Morgenzeitung bei sich, und sein Blick glitt voller Interesse uber die gro?en, fetten Schlagzeilen.

DAS GEHEIMNIS DER SPANISCHEN TRUHE.

NEUESTE ENTHULLUNGEN.

»Sie haben gewi? die Morgenzeitungen gelesen, Miss Lemon?«

»Ja, Monsieur Poirot. Die Nachrichten von Genf sind nicht sehr gut.«

Mit einer umfassenden Handbewegung fegte Poirot die Nachrichten von Genf beiseite.

»Eine spanische Truhe«, sagte er sinnend vor sich hin. »Konnen Sie mir verraten, Miss Lemon, was man eigentlich unter einer spanischen Truhe versteht?«

»Ich nehme an, Monsieur Poirot, da? es eine Truhe ist, die ursprunglich aus Spanien stammte.«

»Das sollte man vernunftgema? annehmen. Sie besitzen also auch keine genaueren Sachkenntnisse?«

»Diese Truhen stammen gewohnlich aus der Elisabethani-schen Periode, glaube ich. Sie sind geraumig und reichlich mit Messingbeschlagen verziert. Wenn sie gut gepflegt und poliert sind, sehen sie sehr nett aus. Meine Schwester hat eine solche Truhe bei einer Auktion erstanden und bewahrt Leinenwasche darin auf. Sie sieht sehr hubsch aus.«

»Ich bin uberzeugt, da? in einem Hause, das einer Ihrer Schwestern gehort, alles Mobiliar tadellos gepflegt ist«, erklarte Poirot mit einer galanten Verbeugung.

Dann blickte er wieder in die Zeitung und studierte die Namen: Major Rich, Mr. und Mrs. Clayton, Commander McLaren, Mr. und Mrs. Spence. Namen, nichts weiter als Namen fur ihn. Und doch waren es alle menschliche Individuen, besessen von Ha?, Liebe, Furcht. Ein Drama, in dem er, Hercule Poirot, keine Rolle spielte. Und doch hatte er sich so gern damit befa?t. Sechs Menschen auf einer Abendgesellschaft, in einem Raum mit

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