»Ich habe mich ein wenig uber die diversen Besitzer des Heather-Landhauses erkundigt. Zuerst war es von einem alten Gartner und seiner Frau bewohnt. Als der Mann starb, ging die Frau zu ihrer Tochter. Dann erwarb es ein Baumeister, modernisierte es und verkaufte es an einen Herrn aus der Stadt, der es als Wochenendhaus benutzte. Ungefahr vor einem Jahr verkaufte der es an Mr. und Mrs. Turner. Das mu? ein ziemlich eigenartiges Paar gewesen sein, soweit ich feststellen konnte. Er war Englander, und seine Frau soll eine Halbrussin gewesen sein, sehr schon und sehr exotisch, wie man mir sagte. Sie lebten sehr zuruckgezogen, besuchten niemanden und gingen kaum einmal in den Garten hinaus. Das Gerucht geht um, da? sie vor irgend etwas Angst hatten. Aber ich glaube, darauf sollten wir uns nicht verlassen.

Und eines Tages zogen sie ganz plotzlich aus. Sie kamen niemals wieder. Mr. Turner instruierte aus London lediglich einen Agenten, das Haus und die Mobel so schnell wie moglich zu verkaufen.

Der nachste Besitzer hie? Mr. Mauleverer. Er wohnte tatsachlich nur vierzehn Tage darin, dann inserierte er, da? das Haus mobliert zu haben sei. Die Leute, denen es jetzt gehort, sind ein schwindsuchtiger franzosischer Professor und seine Tochter. Sie sind erst zehn Tage dort.«

Jack hatte schweigend zugehort.

»Ich sehe nicht, wie uns das weiterbringen kann. Oder Sie?« fragte er endlich.

»Ich mochte noch mehr uber die Turners wissen«, antwortete Lavington ruhig. »Sie verschwanden so sang- und klanglos, ganz fruhmorgens. Soviel ich feststellen konnte, hat niemand ihr Weggehen bemerkt. Mr. Turner ist seitdem schon gesehen worden, aber ich kann niemanden finden, der Mrs. Turner je wieder gesehen hatte.«

Jack erbleichte.

»Das kann nicht sein! Sie meinen doch nicht ...«, stammelte er.

»Regen Sie sich nicht auf, junger Freund. Der Einflu? eines jeden kurz vor dem Tod, und speziell vor einem gewaltsamen Tod, auf seine Umgebung ist sehr stark. Diese Umgebung mag den Einflu? absorbiert haben, um ihn auf einen passend eingestellten Empfanger wieder auszustrahlen. In diesem Fall auf Sie.«

»Aber warum ich?« rief Jack rebellierend. »Weshalb nicht jemand anders, der etwas damit anfangen kann?«

»Sie betrachten diese Kraft als intelligent und uberlegend. Sie ist blind und mechanisch. Ich glaube selbst nicht an erdgebundene Geister, die zu einem bestimmten Zweck irgendwo spuken. Aber ich habe immer und immer wieder Dinge gesehen, so da? ich kaum mehr glauben kann, da? es reiner Zufall ist. Meiner Meinung nach ist es so eine Art dunkles Umhertasten nach der Gerechtigkeit, eine unterirdische Bewegung blinder Krafte, die immer verborgen nach dieser Richtung arbeiten.«

Er schuttelte sich, als hatte irgend etwas von ihm Besitz ergriffen. und belaste ihn, dann wandte er sich mit einem Lacheln an Jack.

»Lassen Sie uns die Geister verbannen, jedenfalls fur heute abend«, schlug er vor.

Nur zu gern stimmte Jack zu, aber er hatte Muhe, damit fertig zu werden.

Wahrend des Wochenendes stellte er selber Nachforschungen an, konnte aber nur wenig mehr als der Doktor ermitteln. Auf jeden Fall hatte er es aufgegeben, vor dem Fruhstuck Golf zu spielen.

Was dann passierte, kam vollig unerwartet.

Als er eines Tages zuruckkam, wurde ihm mitgeteilt, da? ihn eine junge Dame sprechen wolle. Zu seiner Uberraschung stellte sich heraus, da? es das Madchen aus dem Garten war, das Stiefmutterchen-Madchen, wie er sie in Gedanken immer genannt hatte.

Sie war sehr nervos und durcheinander.

»Ich hoffe, Sie verzeihen mir, Monsieur, da? ich einfach hierherkomme, um Sie zu sprechen. Aber ich mu? Ihnen etwas erzahlen. Ich ...«

Sie blickte sich unsicher um.

»Gehen wir hier hinein«, sagte Jack und fuhrte sie in den Damensalon des Hotels, ein trostloses Zimmer in rotem Plusch.

»Bitte setzen Sie sich doch, Miss ... Miss ...«

»Marchaud, Monsieur. Felise Marchaud.«

»Nehmen Sie bitte Platz, Mademoiselle Marchaud, und erzahlen Sie mir alles.«

Gehorsam setzte sich Felise. Sie war heute in Dunkelgrun gekleidet, was ihr sehr gut stand. Mehr als je zuvor bemerkte Jack ihren Charme und ihre Schonheit. Sein Herz schlug schneller, als er sich neben sie setzte.

»Es ist so«, begann Felise. »Wir sind erst kurze Zeit hier. Aber seit unserem Einzug erzahlt man uns, in unserem Haus - unserem su?en kleinen Haus - spuke es. Kein Dienstbote will bleiben. Das ist nicht so schlimm - ich kann die Hausarbeit selber machen und auch kochen.«

Engel! dachte der entflammte junge Mann. Sie ist wunderbar. Nach au?en hin behielt er den Ausdruck sachlicher Aufmerksamkeit.

»Diese Reden uber Geister«, fuhr Felise fort. »Ich glaube, das ist alles Unsinn - das hei?t, bis vor vier Tagen. Monsieur, seit vier Nachten habe ich denselben Traum. Eine Dame steht da, sie ist schon, gro? und lieblich. In ihren Handen halt sie einen blauen chinesischen Krug. Sie wirkt gequalt, sehr gequalt, und immer wieder halt sie mir diesen Krug entgegen, als ob sie mich anflehte, irgend etwas damit zu tun. Aber sie kann nicht sprechen, und ich wei? nicht, was sie will. Diesen Traum hatte ich die ersten beiden Nachte. Aber vorletzte Nacht kam noch etwas dazu. Die Dame und der blaue Krug verschwanden, und plotzlich horte ich ihre Stimme. Ich wei?, es war ihre Stimme, begreifen Sie, Monsieur? Sie rief: >Mord! Hilfe! Mord!<

Ich erwachte, in Schwei? gebadet. Ich redete mir ein, es sei ein Alptraum, und die Worte, die Sie auch horten, seien ein Zufall. Aber vergangene Nacht kam der Traum wieder. Monsieur, was ist, das? Sie haben es doch auch gehort. Was sollen wir tun?«

Felises Gesicht war verstort. Ihre schmalen Hande krampften sich zusammen, und flehentlich blickte sie auf Jack. Er heuchelte eine Unbekummertheit, die er durchaus nicht empfand.

»Sie mussen keine Angst haben, Mademoiselle Marchaud. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, wiederholen Sie die ganze Geschichte vor Dr. Lavington, einem Freund von mir. Er wohnt auch hier.«

Felise erklarte sich einverstanden, und Jack ging, um Lavington zu suchen. Ein paar Minuten spater kehrte er mit ihm zuruck.

Lavington beobachtete das Madchen genau, als Jack sie mit ihm bekannt machte. Mit ein paar trostenden Worten gelang es ihm, sie zu beruhigen. Dann lauschte er gespannt ihrer Geschichte.

»Au?erst seltsam«, sagte er, als sie fertig war. »Haben Sie mit Ihrem Vater daruber gesprochen?«

Felise schuttelte den Kopf.

»Ich wollte ihn nicht beunruhigen. Er ist immer noch sehr krank.«

Ihre Augen fullten sich mit Tranen. »Ich halte alles von ihm fern, was ihn aufregen konnte.«

»Ich verstehe«, sagte Lavington gutig. »Und ich bin froh, da? Sie zu uns gekommen sind, Mademoiselle Marchand. Hartington hier, wie Sie wissen, hatte ein Erlebnis, das Ihrem sehr ahnlich ist. Ich glaube, da? wir dem Geheimnis nun auf der Spur sind. Fallt Ihnen noch etwas ein?«

Felise machte eine rasche Bewegung.

»Naturlich! Wie dumm von mir. Es ist das Wichtigste der ganzen Geschichte. Schauen Sie, Monsieur, was ich hinter dem Kuchenschrank fand.«

Sie zeigte ihnen ein schmutziges Stuck Zeichenpapier, auf dem in Wasserfarben die Rohskizze einer Frau hingeworfen war. Es war nur eine Kleckserei, aber die Ahnlichkeit war deutlich. Es zeigte eine gro?e blonde Frau mit einem fremdlandischen Gesicht. Sie stand an einem Tisch, auf dem ein blauer Porzellankrug stand.

»Ich habe es erst heute morgen gefunden«, erklarte Felise. »Monsieur, das ist das Gesicht der Frau aus meinem Traum. Und es ist derselbe Krug.«

»Ungewohnlich«, meinte Lavington. »Der Schlussel zu diesem Geheimnis ist ganz offensichtlich der blaue Krug. Mir scheint, es ist ein chinesischer Krug, wahrscheinlich ein sehr alter. Er hat ein eigentumliches Muster.«

»Er ist chinesisch«, erklarte Jack. »Ich habe ein genau gleiches Stuck in der Sammlung meines Onkels gesehen. Er ist ein leidenschaftlicher Sammler chinesischen Porzellans. Ich erinnere mich, einen solchen Krug vor nicht allzu langer Zeit gesehen zu haben.«

»Der chinesische Krug«, murmelte Lavington. Er versank ein paar Minuten in Gedanken, dann hob er plotzlich den Kopf, und ein seltsames Leuchten trat in seine Augen.

»Hartington, wie lange hat Ihr Onkel diesen Krug schon?«

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