meiner Besorgungen mu?te ich im Giftbuch unterschreiben. Dabei sah ich die letzte Eintragung. Sie war fur Zyankali, und sie war von Claude Langton unterzeichnet.«
»Das ist komisch«, sagte Harrison langsam. »Langton erzahlte mir neulich, da? er nicht im Traum daran denke, dieses Zeug zu benutzen. Im Gegenteil, er sagte sogar, es durfte zu diesem Zweck uberhaupt nicht verkauft werden.«
Poirot schaute zu den Rosen hinuber. Seine Stimme klang sehr leise, als er fragte:
»Mogen Sie Langton?«
Harrison stutzte. Auf diese Frage war er offensichtlich nicht vorbereitet.
»Ich - ich, nun, ich meine, naturlich mag ich ihn. Weshalb sollte ich ihn nicht mogen?«
»Ich habe es mir nur so uberlegt«, bemerkte Poirot gelassen, »ob Sie ihn wohl sympathisch finden.« Und als der andere nicht antwortete, fuhr er fort: »Ich frage mich auch, ob er Sie leiden kann.«
»Worauf wollen Sie hinaus, Monsieur Poirot?«
»Ich werde ganz offen sein. Sie sind verlobt und wollen heiraten, Monsieur Harrison. Ich kenne Miss Molly Deane. Sie ist ein sehr charmantes und schones Madchen. Bevor sie mit Ihnen verlobt war, war sie Claude Langtons Braut. Aber sie entschied sich fur Sie.«
Harrison nickte.
»Ich mochte nicht wissen, welche Grunde sie dafur gehabt hat. Sie mogen gerechtfertigt sein. Aber ich sage Ihnen eines: Langton hat es nicht vergessen oder vergeben.«
»Sie irren sich, Monsieur Poirot. Er hat die Dinge wie ein Mann aufgenommen. Er war erstaunlich anstandig zu mir und hat sich besonders bemuht, freundlich zu mir zu sein.«
»Und das finden Sie nicht ungewohnlich? Sie benutzen das Wort erstaunlich, aber Sie scheinen nicht erstaunt zu sein.«
»Was meinen Sie, Monsieur Poirot?«
»Ich meine«, entgegnete Poirot, »da? ein Mann seinen Ha? verbergen kann, bis die richtige Zeit gekommen ist.«
»Ha??« Harrison schuttelte den Kopf und lachte.
»Die Englander sind sehr einfaltig«, schimpfte Poirot. »Sie glauben, sie konnten jedermann hintergehen, aber niemand konne sich dafur revanchieren wollen.« Und bedeutungsvoll setzte er hinzu:
»Und weil sie mutig, aber dumm sind, mussen sie manchmal sterben, obwohl kein Grund dazu vorhanden ist.«
»Sie warnen mich«, sagte Harrison mit leiser Stimme. »Ich verstehe jetzt, was mir die ganze Zeit unklar war. Sie wollen mich vor Claude Langton warnen. Und zu diesem Zweck sind Sie hergekommen.«
Poirot nickte.
Plotzlich sprang Harrison auf.
»Aber Sie sind ja verruckt! Wir leben in England. Solche Sachen passieren hier nicht. Hier laufen die enttauschten Liebhaber nicht herum und rennen Leuten ein Messer in den Rucken oder vergiften sie. Sie irren sich bei Langton. Dieser Junge wurde keiner Fliege etwas zuleide tun.«
»Das Leben der Fliegen ist nicht meine Sorge«, meinte Poirot gelassen. »Und obgleich Sie behaupten, Monsieur Langton wurde keiner einzigen das Leben nehmen, vergessen Sie anscheinend doch, da? er sich gerade darauf vorbereitet, das Leben von einigen hundert Wespen zu zerstoren.«
Harrison antwortete nicht sofort darauf. Der kleine Detektiv sprang nun auch auf die Fu?e. Er trat zu seinem Freund hin und legte ihm die Hand auf die Schulter. So beunruhigt schien er zu sein, da? er den gro?en Mann fast schuttelte. Dabei redete er eindringlich auf ihn ein.
»Wachen Sie auf, mein Freund! Wachen Sie auf. Und sehen Sie, sehen Sie dahin, wo ich hindeute. Dort auf die Bank, dicht bei dem Baumstumpf. Die Wespen kommen nach Hause. Ermudet, am Ende des Tages. In einer Stunde werden sie sterben. Und sie wissen es noch nicht. Niemand kann es ihnen sagen. Sie scheinen keinen Hercule Poirot zu haben. Ich sage Ihnen, Monsieur Harrison, ich kam geschaftlich her. Mord ist mein Geschaft. Und es ist mein Geschaft, bevor es passiert ist genausogut wie hinterher. Um welche Zeit kommt Langton, um das Wespennest auszuheben?«
»Um neun Uhr. Aber ich sage Ihnen, Sie irren sich gewaltig. Langton wurde nie -«
»Ihr Englander!« rief Poirot leidenschaftlich. Er nahm seinen Hut und Stock und ging den Weg hinunter. Einen Augenblick blieb er stehen und sagte uber seine Schulter hinweg: »Ich bleibe nicht, um mit Ihnen zu streiten. Ich wurde mich nur aufregen. Aber Sie verstehen - ich komme um neun Uhr zuruck.«
Harrison offnete den Mund, um zu widersprechen, aber Poirot lie? ihm keine Gelegenheit dazu.
»Ich wei?, was Sie sagen wollen. Langton wurde nie und so weiter. Trotz allem werde ich um neun Uhr wiederkommen. Nehmen Sie an, es wurde mich amusieren, beim Ausrauchern des Nestes dabeizusein. Auch so eine von euren Sportarten!«
Er wartete keine Antwort ab, sondern schritt eilig den Weg hinunter und schlug die quietschende Tur hinter sich zu. Drau?en auf der Stra?e verlangsamte er seinen Schritt. Mit seinem betont munteren Wesen war es mit einem Schlag vorbei. Sein Gesicht wurde ernst und besorgt. Er nahm seine Uhr aus der Tasche und sah nach, wie spat es war. Die Zeiger deuteten auf zehn Minuten nach acht.
»Mehr als dreiviertel Stunden«, murmelte er, »ich wei? nicht, ob ich nicht doch hatte warten sollen!«
Seine Schritte wurden noch langsamer. Um ein Haar ware er wieder umgekehrt. Eine vage Vorahnung hatte ihn uberfallen. Resolut schob er sie beiseite und setzte seinen Weg ins Dorf fort.
Es war ein paar Minuten vor neun, als er sich dem Gartentor wieder naherte. Der Abend war still und klar, und kein Luftchen bewegte die Blatter. Etwas Unheilvolles lag in dieser Stille. Wie die Ruhe vor dem Sturm.
Poirot beschleunigte seine Schritte. Er war plotzlich von einer Nervositat gepackt, die er nicht zu deuten vermochte.
In diesem Augenblick offnete sich die Gartentur, und Claude Langton trat mit raschem Schritt auf die Stra?e. Als er Poirot sah, blieb er stehen.
»Oh - ah - guten Abend!«
»Guten Abend, Monsieur Langton. Sie sind aber zeitig hier!«
Langton starrte ihn an.
»Ich wei? nicht, was Sie meinen.«
»Haben Sie das Wespennest ausgehoben?«
»Nein.«
»So«, meinte Poirot sanft, »Sie haben das Wespennest nicht ausgerauchert. Was haben Sie dann getan?«
»Ach, nur so gesessen und mit dem guten Harrison ein bi?chen geschwatzt. Ich mu? mich jetzt wirklich beeilen, Monsieur Poirot. Ich hatte keine Ahnung, da? Sie es hier so lange aushalten wurden.«
»Ich bin beruflich hier, wissen Sie.«
»Aha. Also, Sie werden Harrison auf der Terrasse vorfinden. Es tut mir leid, da? ich nicht bleiben kann.«
Er eilte fort. Poirot blickte ihm nach. Ein nervoser junger Mann. Gut aussehend, aber ein bi?chen verweichlicht.
»Also, ich werde Harrison auf der Terrasse finden«, murmelte Poirot. »Ich bin gespannt.«
Er ging durch die Gartentur und marschierte den Weg hinauf.
Harrison sa? bewegungslos am Tisch und wandte nicht einmal den Kopf, als Poirot auf ihn zukam.
»Hallo,
Es entstand eine lange Pause, dann sagte Harrison mit belegter Stimme:
»Was sagten Sie?«
»Ich fragte, ob es Ihnen gut geht.«
»Gut, ja. Es geht mir gut. Warum denn nicht?«
»Sie fuhlen sich also nicht krank. Das ist schon.«
»Krank? Warum?«
»Vom Waschsoda.«
Harrison stand auf. »Waschsoda? Wovon reden Sie?«
Poirot machte eine entschuldigende Geste und sagte:
»Ich bedaure die Notwendigkeit unendlich, aber ich schuttete etwas in Ihre Tasche.«