»Sie schutteten Waschsoda in meine Tasche? Wozu, um Himmels willen?« Harrison starrte ihn verstandnislos an.

Poirot sprach leise und unpersonlich wie ein Marchenerzahler, der sich dem Niveau eines kleinen Kindes anpa?t.

»Sehen Sie, einer der Vor- oder Nachteile, ein Detektiv zu sein, ist, da? man mit kriminellen Elementen in Kontakt kommt. Sie konnen einem eine Reihe ziemlich interessanter und eigenartiger Dinge lehren. Da war einmal ein Taschendieb. Ich war an ihm interessiert, weil man ihm etwas vorwarf, das er nicht getan hatte. Ich erreichte, da? man ihn freilie?. Und weil er dankbar war, belohnte er mich auf seine Art. Er zeigte mir ein paar Tricks seines Gewerbes. Und so kommt es, da? ich jemandem in die Tasche greifen kann, ohne da? derjenige auch nur den kleinsten Verdacht schopft. Ich lege eine Hand auf seine Schulter und lenke ihn ab. So gelingt es mir, das, was in seiner Tasche ist, in meine zu transferieren und statt dessen Waschsoda hineinzustopfen. Sehen Sie«, fuhr Poirot traumerisch fort, »wenn ein Mann rasch an das Gift heran will, um es in ein Glas zu schutten, ohne beobachtet zu werden, mu? er es unbedingt in seiner rechten Rocktasche haben. Es gibt keinen anderen Platz. Ich wu?te, es wurde dort sein.«

Er schob seine Hand in die Tasche und brachte ein paar wei?e Kristalle hervor. »Au?erordentlich gefahrlich«, murmelte er, »es so herumzutragen wie ich.«

Langsam und behutsam zog er aus der anderen Tasche eine Flasche mit weiter Offnung. Er warf die Kristalle hinein, ging zum Tisch und fullte sie mit einfachem Wasser. Nachdem er sie sorgfaltig verkorkt hatte, schuttelte er sie, bis sich alle Kristalle aufgelost hatten. Harrison beobachtete ihn fasziniert.

Mit seiner Losung zufrieden, ging Poirot auf das Wespennest zu. Er entkorkte die Flasche, wandte den Kopf ab und go? die Losung mitten hinein. Dann trat er ein paar Schritte zuruck.

Einige Wespen, die von ihrem Flug zuruckkamen und sich niederlie?en, zitterten ein wenig, dann lagen sie still. Andere krochen aus dem Nest heraus - nur um zu sterben. Poirot beobachtete das ein paar Minuten, nickte mit dem Kopf und ging wieder zur Veranda zuruck.

»Ein schneller Tod«, sagte er, »ein schneller Tod.«

Harrison fand seine Sprache wieder. »Wieviel wissen Sie?« fragte er.

Poirot sah ihn nicht an.

»Wie ich Ihnen schon erzahlte, sah ich Claude Langtons Namen in dem Giftbuch. Was ich Ihnen nicht sagte, war, da? ich ihn fast sofort danach zufallig traf. Er erzahlte mir, da? er in Ihrem Auftrag Zyankali gekauft habe, um das Wespennest auszurauchern. Das kam mir etwas seltsam vor, mein Freund, denn ich erinnerte mich, da? Sie bei diesem Abendessen, von dem Sie sprachen, den au?erordentlichen Vorteil von Petroleum hervorhoben und die Beschaffung von Zyankali als gefahrlich und uberflussig bezeichneten.«

»Fahren Sie fort.«

»Ich wu?te noch etwas. Ich sah Claude Langton mit Molly Deane zusammen, als sie sich unbeobachtet glaubten. Ich wei? nicht, was die beiden damals auseinandergebracht hat und Molly in Ihre Arme trieb, aber ich erkannte, da? die Mi?verstandnisse vorbei waren, und da? Miss Deane zu ihrer alten Liebe zuruckgefunden hatte.«

»Weiter!«

»Noch etwas wu?te ich, mon ami. Ich war neulich in der Harley Street und sah Sie aus dem Haus eines ganz bestimmten Arztes kommen. Ich kenne ihn und wei?, wegen welcher Leiden man ihn konsultiert. Und ich sah den Ausdruck in Ihrem Gesicht. Ich habe ihn nur ein- oder zweimal in meinem Leben gesehen. Er ist unschwer zu deuten. Es war das Gesicht eines zum Tode verurteilten Mannes. Habe ich recht?«

»Sehr recht. Er gab mir noch zwei Monate.«

»Sie bemerkten mich nicht, mein Freund, denn Sie hatten anderes im Kopf. Ich konnte noch etwas erkennen, etwas, das Manner zu verbergen suchen, wie ich Ihnen heute nachmittag schon erklarte. Ich sah Ha? in Ihnen, mein Freund. Sie machten sich nicht die Muhe, ihn zu verbergen, denn Sie fuhlten sich unbeobachtet.«

»Und«, fragte Harrison, »was sonst noch?«

»Es gibt nicht mehr viel zu sagen. Ich kam hierher, sah Langtons Namen zufallig im Giftbuch, wie ich Ihnen sagte, traf ihn und kam dann zu Ihnen. Ich stellte Ihnen Fallen. Sie bestritten, Langton beauftragt zu haben, Zyankali zu besorgen, oder besser gesagt, Sie spielten den Uberraschten. Sie waren im Zweifel, als Sie mich sahen. Aber dann erkannten Sie, wie gut alles zusammenpassen wurde, und Sie unterstutzten meinen Verdacht noch. Ich erfuhr von Langton selbst, da? er um halb neun kommen wollte. Sie sagten, neun Uhr, und dachten, bis ich kame, wurde alles bereits vorbei sein. Und da wu?te ich alles.«

»Weshalb kamen Sie?« stohnte Harrison. »Wenn Sie nur nicht gekommen waren!«

Poirot stand auf.

»Wie ich schon andeutete«, sagte er, »Mord ist mein Geschaft.«

»Mord? Sie meinen Selbstmord.«

»Nein.« Poirots Stimme klang scharf und klar. »Ich meine Mord. Ihr Tod sollte schnell und leicht sein, aber der Tod, den Sie fur Langton geplant hatten, war der schlimmste Tod, den ein Mann sterben kann. Er kauft das Gift, er kommt zu Ihnen, und er ist allein mit Ihnen. Sie sterben ganz plotzlich, und das Zyankali wird in Ihrem Glas gefunden. Claude Langton mu? hangen. Das war Ihr Plan.«

Wieder stohnte Harrison auf.

»Weshalb sind Sie gekommen? Wenn Sie nur nicht gekommen waren!«

»Das habe ich Ihnen schon gesagt. Aber ich kam noch aus einem anderen Grund. Ich schatze Sie. Horen Sie zu, mon ami. Sie sind ein todkranker Mann. Sie haben das Madchen, das Sie lieben, verloren. Aber das eine sind Sie nicht: Sie sind kein Morder. Sagen Sie mir nun: Sind Sie froh oder unglucklich daruber, da? ich kam?«

Es entstand eine Pause. Dann erhob sich Harrison. Er trug den wurdevollen Ausdruck eines Mannes, der sein eigenes Ich besiegt hatte. Er streckte die Hand uber den Tisch und rief:

»Dem Himmel sei Dank, da? Sie kamen! O Gott, ja, ich bin froh.«

Greenshaws Monstrum

Die beiden Manner bogen um die Gruppe der Gebusche.

»So, da waren wir«, erklarte Raymond West. »Hier ist es.«

Horace Bindler holte tief Atem und rief voller Anerkennung:

»Aber, mein lieber Junge, wie wundervoll!« Seine Stimme endete in einem hellen Schrei asthetischer Verzuckung und sank dann wieder zu einem Ton tiefer Ehrerbietung herab. »Es ist ja unglaublich! Geradezu unwahrscheinlich! Ein antikes Stuck erster Gute.«

»Ich habe mir gleich gedacht, da? es dir gefallen wurde«, sagte Raymond West voller Selbstzufriedenheit.

»Gefallen? Du meine Gute!« Horace fand keine Worte mehr. Er schnallte seine Kamera ab und machte sich ans Werk. »Dies wird zu den Juwelen meiner Sammlung gehoren«, erklarte er selig. »Ich finde es wirklich ganz amusant, eine Sammlung von Monstrositaten zu besitzen. Auf diese Idee bin ich vor sieben Jahren verfallen, als ich eines Abends in der Badewanne sa?. Das letzte richtige Juwel ergatterte ich im Campo Santo in Genua. Aber ich glaube, es kann an dieses nicht heranreichen. Wie hei?t es eigentlich?«

»Ich habe keine Ahnung«, erwiderte Raymond.

»Wahrscheinlich hat es aber doch einen Namen.«

»Das nehme ich stark an. Aber hier in der Gegend spricht man stets nur von Greenshaws Monstrum.«

»Ist Greenshaw der Erbauer des Hauses?«

»Ja. Er hat es um achtzehnhundertsechzig herum gebaut -als Kronung einer lokalen Karriere jener Zeit: barfu?iger Junge, der zu ungeheurem Wohlstand gelangt war. Warum er es errichtet hat, daruber gehen die Meinungen der Einheimischen auseinander. Manche behaupten, aus schierem Uberflu?, andere, um seine Glaubiger zu beeindrucken. Wenn das letztere zutrifft, so haben sie sich nicht davon blenden lassen; denn er machte praktisch Bankrott.«

Horaces Kamera klickte.

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