»Fertig«, sagte er mit gro?er Befriedigung. »Erinnere mich daran, da? ich dir Nr. 310 in meiner Sammlung zeige. Ein wirklich unglaublicher marmorner Kaminsims im italienischen Stil.« Mit einem Blick auf das Haus fugte er hinzu: »Ich kann mir nicht vorstellen, wie Mr. Greenshaw sich das alles ausgeknobelt hat.«

»Es springt eigentlich in die Augen«, meinte Raymond. »Er hatte wohl die Schlosser der Loire besucht. Meinst du nicht auch? Die Turmchen sprechen dafur. Dann scheint er unglucklicherweise im Orient herumgereist zu sein. Der Einflu? der Tadsch Mahal ist unverkennbar. Der maurische Flugel gefallt mir eigentlich. Ebenso die Spuren eines venezianischen Palastes.«

»Man wunderte sich im stillen, da? er jemals einen Architekten dazu bewegen konnte, diese Plane auszufuhren.«

Raymond zuckte die Achseln.

»Da ist er wohl nicht auf Schwierigkeiten gesto?en«, meinte er.

»Der Architekt hat sich wahrscheinlich mit einem guten Lebenseinkommen zur Ruhe gesetzt, wahrend der arme alte Greenshaw bankrott ging.«

»Konnten wir es uns wohl von der anderen Seite ansehen?« fragte Horace. »Oder wandeln wir hier auf verbotenen Pfaden?«

»Gewi? wandeln wir hier auf verbotenen Pfaden«, bestatigte Raymond. »Aber es wird wohl nicht so schlimm sein.« Er ging auf die Ecke des Hauses zu, und Horace hupfte hinter ihm her. »Wer wohnt hier eigentlich, sag mal? Waisenkinder oder Feriengaste? Eine Schule kann es doch nicht sein. Man sieht keine Spielplatze und spurt nichts von munterem Treiben.«

»Oh, eine Greenshaw lebt hier noch«, erwiderte Raymond. »Das Haus selbst blieb bei dem Krach verschont. Der Sohn des alten Greenshaw erbte es. Er war ein ziemlicher Geizhals und hauste in einem kleinen Winkel des Hauses. Gab nie einen roten Heller aus. Hatte auch wohl keinen roten Heller zum Ausgeben. Jetzt wohnt seine Tochter hier. Eine alte Dame - sehr exzentrisch.«

Wahrend er dies alles erzahlte, gratulierte sich Raymond, da? er zwecks Unterhaltung seines Gastes an Greenshaws Monstrum gedacht hatte. Diese literarischen Kritiker beteuerten immer ihre Sehnsucht nach einem Wochenende auf dem Lande, und wenn sie ihr Ziel erreicht hatten, fanden sie es gewohnlich au?erst langweilig. Morgen wurden ja die sensationellen Sonntagszeitungen fur Abwechslung sorgen, aber heute war es eben eine gluckliche Idee gewesen, da? er diesen Besuch von Greenshaws Monstrum vorgeschlagen hatte, um Horace Bindlers wohlbekannte Sammlung von Monstrositaten zu bereichern.

Sie bogen um die Ecke des Hauses und kamen zu einem vernachlassigten Rasen. In einem Winkel befand sich ein gro?er Steingarten, und darin stand eine gebeugte Gestalt, bei deren Anblick Horace begeistert Raymonds Arm umklammerte.

»Mein lieber Junge«, rief er aus, »siehst du, was sie anhat? Ein geblumtes Kattunkleid. Wie ein Hausmadchen - als es noch Hausmadchen gab. Zu meinen kostbarsten Kindheitserinnerungen zahlt der Aufenthalt in einem Landhaus, wo man des Morgens von einem richtigen Hausmadchen mit Haubchen und gestarktem Kattunkleid geweckt wurde. Ja, mein Lieber, ein regelrechtes Haubchen. Aus Musselin mit flatternden Bandern. Nein, vielleicht war es auch das Zimmermadchen, das die flatternden Bander hatte. Jedenfalls war es aber ein richtiges Hausmadchen, und es brachte eine riesige Messingkanne mit hei?em Wasser. Was fur einen interessanten Tag erleben wir doch heute!«

Die Gestalt im Kattunkleid hatte sich inzwischen aufgerichtet und wandte sich mit einem Pflanzenheber in der Hand ihnen zu. Sie war eine ziemlich auffallende Personlichkeit. Wirre graue Locken fielen ihr in dunnen Strahnen auf die Schultern, und auf ihren Kopf war ein Strohhut gestulpt, wie ihn die Pferde in Italien tragen. Das bunte Kattunkleid, das sie trug, reichte ihr fast bis zu den Knocheln. Aus einem wettergebraunten, nicht allzu sauberen Gesicht blickten scharfe Augen sie prufend an.

»Ich mu? Sie vielmals um Entschuldigung bitten, Miss Greenshaw«, sagte Raymond West, als er auf sie zuging, »weil wir so ohne weiteres hier eingedrungen sind. Aber Mr. Horace Bindler, der bei mir zu Gast weilt ...«

Horace verbeugte sich und nahm seinen Hut ab.

». interessiert sich machtig fur - hm - alte Geschichte und - hm - schone Bauten.«

Raymond West sprach mit der Ungezwungenheit eines bekannten Schriftstellers, der wei?, da? er eine Beruhmtheit ist und sich so manches herausnehmen kann.

Miss Greenshaw blickte zu dem steinernen Ungetum empor, das sich hinter ihr in seiner ganzen Uberschwenglichkeit ausdehnte.

»Es ist auch ein schones Haus«, sagte sie. »Mein Gro?vater hat es gebaut - naturlich vor meiner Zeit. Er soll gesagt haben, da? er die Einheimischen in Erstaunen setzen wolle.«

»Und das ist ihm bestimmt gelungen, Madam«, versicherte ihr Horace Bindler.

»Mr. Bindler ist der weitbekannte literarische Kritiker«, sagte Raymond West.

Miss Greenshaw hegte offensichtlich keine besondere Ehrfurcht vor literarischen Kritikern. Sie blieb unbeeindruckt.

»Ich betrachte das Haus«, fuhr sie fort, »als ein Denkmal fur das Genie meines Gro?vaters. Torichte Menschen kommen hierher und fragen mich, warum ich es nicht verkaufe und in einer Etage lebe. Was sollte ich wohl in einer Etage anfangen? Dies ist mein Heim, und darin wohne ich. Habe immer hier gewohnt.« Sie schien uber die Vergangenheit nachzugrubeln. »Wir waren zu dritt. Laura heiratete den Unterpfarrer, und Papa wollte ihr kein Geld geben mit der Begrundung, da? Geistliche nicht an irdischen Gutern hangen sollten. Sie starb bei der Geburt eines Kindes, und das Kind starb auch. Nettie ist mit dem Reitlehrer davongelaufen, und Papa hat sie naturlich enterbt. Hubscher Bursche, dieser Harry Fletcher, aber ein Taugenichts. Glaube nicht, da? Nettie mit ihm glucklich war. Jedenfalls hat sie nicht lange gelebt. Sie hatten einen Sohn. Er schreibt mir manchmal, ist aber naturlich kein Greenshaw. Ich bin die letzte der Greenshaws.«

Sie richtete die gebeugten Schultern mit einem gewissen Stolz auf und schob den verwegen auf ihrem Kopfe thronenden Strohhut zurecht. Dann drehte sie sich um und sagte in scharfem Ton: »Ja, Mrs. Cresswell, was gibt's denn?«

Vom Hause her naherte sich eine Gestalt, die einen geradezu lacherlichen Gegensatz zu Miss Greenshaw darstellte. Mrs. Cresswell hatte ein wunderbar frisiertes Haupt. Ihr blaugetontes Haar turmte sich in sorgfaltig arrangierten Locken und Rollen zu einer betrachtlichen Hohe. Man hatte den Eindruck, als wolle sie als franzosische Marquise auf einen Maskenball gehen. Im ubrigen war ihre altliche Gestalt nicht, wie man hatte erwarten sollen, in rauschende schwarze Seide, sondern in eine der glanzenderen Abarten schwarzer Kunstseide gehullt. Obwohl sie nicht gerade dick war, hatte sie einen gutentwickelten, uppigen Busen. Ihre Stimme war wider Erwarten tief, und sie sprach mit ausgezeichneter Diktion. Nur ein leichtes Zogern bei Wortern, die mit einem H begannen, und die schlie?lich ubertriebene Aussprache der Aspiraten erweckten den Verdacht, da? sie in ferner Jugendzeit vielleicht die Gewohnheit hatte, die Aspiraten fallen zu lassen.

»Der Fisch, Madam«, sagte Mrs. Cresswell. »Die Kabeljauscheibe ist nicht geschickt worden. Ich habe Alfred gebeten, sie zu holen. Aber er weigert sich.«

Miss Greenshaw brach in unerwartetes Gelachter aus.

»Weigert sich, ja?«

»Alfred ist hochst ungefallig gewesen, Madam.«

Miss Greenshaw hob zwei erdbeschmutzte Finger an die Lippen, stie? einen ohrenzerrei?enden Pfiff aus und rief:

»Alfred! Alfred, komm mal her!«

Auf diese Aufforderung hin erschien an der Ecke des Hauses ein junger Mann mit einem Spaten in der Hand. Er hatte ein verwegenes, hubsches Gesicht, und als er naher kam, warf er Mrs. Cresswell einen unverkennbar bosartigen Blick zu.

»Sie haben mich gerufen, Miss?«

»Ja, Alfred. Ich hore, du hast dich geweigert, den Fisch zu holen. Wie steht es damit?«

Alfred antwortete in murrischem Ton.

»Wenn Sie es wunschen, Miss, will ich ihn holen. Sie brauchen es nur zu sagen.«

»Ich mochte den Fisch fur mein Abendessen haben.«

»In Ordnung, Miss. Ich gehe sofort.«

Er warf Mrs. Cresswell einen unverschamten Blick zu. Sie errotete und murmelte vor sich hin:

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