»Bin kein Freund von vielem Hokuspokus«, knurrte er. »Ich habe Sie uber die Tatsachen unterrichtet, und Sie konnen nichts damit anfangen. Damit ist die Angelegenheit zu Ende. Sie konnen mir eine Rechnung uber das Konsultationshonorar schicken.«

»Das werde ich nicht versaumen«, erwiderte der Detektiv trocken und schritt zur Tur.

»Einen Augenblick!« rief der Millionar hinter ihm her. »Der Brief - ich mochte ihn gern haben.«

»Der Brief von Ihrem Sekretar?«

»Ja.«

Poirot machte ein erstauntes Gesicht. Er fuhr mit der Hand in die Tasche, zog einen zusammengefalteten Bogen heraus und reichte ihn dem alten Herrn, der einen prufenden Blick darauf warf und ihn dann kopfnickend neben sich auf den Tisch legte.

Wiederum ging Hercule Poirot auf die Tur zu. Er war ziemlich verdutzt, seine rastlosen Gedanken kreisten um das, was er soeben gehort hatte. Doch mitten in seine Uberlegungen hinein drangte sich ein nagendes Gefuhl, da? irgend etwas nicht in Ordnung sei. Und dieses Etwas bezog sich auf ihn selbst - nicht auf Benedict Farley.

Als seine Hand schon auf dem Turgriff lag, klarten sich seine Gedanken. Ihm, Hercule Poirot, war ein Versehen unterlaufen! Er machte noch einmal kehrt.

»Ich bitte Sie tausendmal um Verzeihung! Ganz in Gedanken an Ihr Problem, habe ich eine Dummheit begangen! Dieser Brief, den ich Ihnen gegeben habe -unglucklicherweise habe ich in meine rechte Tasche gegriffen, anstatt in meine linke ...«

»Was ist los? Was reden Sie da?«

»Der Brief, den ich Ihnen soeben gegeben habe, enthalt eine Entschuldigung meiner Wascherin wegen der Behandlung meiner Kragen.« Poirot lachelte reumutig und griff in seine linke Tasche.

»Dies ist Ihr Brief.«

Benedict Farley ri? ihn knurrend an sich. »Zum Kuckuck, warum konnen Sie denn nicht aufpassen?«

Mit einer nochmaligen Entschuldigung nahm Poirot die Mitteilung seiner Wascherin wieder an sich und verlie? das Zimmer.

Drau?en im Korridor blieb er eine Weile stehen. Es war eigentlich eine kleine Diele. Ihm gegenuber stand eine gro?e alte Eichenbank mit einem langen, schmalen Tisch davor. Auf dem Tisch lagen Zeitschriften. Au?erdem waren noch zwei Sessel und ein Blumentisch vorhanden. Dieses Arrangement erinnerte ihn ein wenig an das Wartezimmer eines Zahnarztes.

Unten in der Halle wartete der Butler auf ihn, um ihn zur Tur hinauszulassen. »Soll ich Ihnen ein Taxi besorgen, Sir?«

»Nein, danke. Es ist ein schoner Abend. Ich gehe zu Fu?.«

Hercule Poirot blieb einen Augenblick auf dem Burgersteig stehen, um auf eine Verkehrspause zu warten, ehe er die belebte Stra?e uberquerte.

»Nein«, sagte er mit tief gerunzelter Stirn vor sich hin, »ich verstehe es ganz und gar nicht. Es ist ohne Sinn und Verstand. So bedauerlich dieses Eingestandnis ist, aber ich, Hercule Poirot, bin auf dem toten Gleis angelangt.«

Dies war sozusagen der erste Akt des Dramas. Der zweite Akt folgte eine Woche spater und begann mit einem telefonischen Anruf von einem Dr. med John Stillingfleet.

Mit einem bemerkenswerten Mangel an arztlicher Etikette sagte dieser:

»Sind Sie's, Poirot, altes Haus? Hier ist Stillingfleet.«

»Ja, mein Freund. Was gibt's denn?«

»Ich spreche von Northway House - Benedict Farleys Wohnsitz.«

»Ja?« Poirots Stimme verriet plotzliches Interesse. »Wie steht's mit Mr. Farley?«

»Farley ist tot. Hat sich heute nachmittag erschossen.«

Nach einer kleinen Pause sagte Poirot: »So, ja ...«

»Ich bemerke, da? Sie nicht gerade vor Erstaunen umsinken. Wissen Sie daruber Bescheid?«

»Wie kommen Sie zu dieser Annahme?«

»Nun, wir haben einen von Farley an Sie gerichteten Brief gefunden, in dem er vor etwa einer Woche eine Zusammenkunft mit Ihnen verabredete.«

»Ach so.«

»Wir haben einen zahmen Polizeiinspektor hier - man mu? ja vorsichtig sein, wenn sich einer von diesen Millionaren eine Kugel durch den Kopf jagt. Und wir haben uns gefragt, ob Sie wohl etwas Licht in diese Angelegenheit bringen konnten. Wenn ja, dann kommen Sie doch bitte her.«

»Ich komme sofort.«

Eine Viertelstunde spater sa? Poirot in der Bibliothek, einem niedrigen, langgestreckten Raum hinten im Erdgescho? von Northway House. Es waren noch funf andere Personen anwesend. Inspektor Barnett, Dr. Stillingfleet, Mrs. Farley, die Witwe des Millionars, Joanna Farley, seine einzige Tochter, und sein Privatsekretar Hugo Cornworthy.

Inspektor Barnett war ein diskreter Mann von militarischer Haltung. Dr. Stillingfleet, dessen berufliches Gebaren sich von seinem Telefonstil grundlich unterschied, war ein gro?er, langgesichtiger Mann von etwa drei?ig Jahren. Mrs. Farley war offensichtlich sehr viel junger als ihr Mann. Sie war eine hubsche, dunkelhaarige Frau. Aber sie hatte einen harten Mund, und ihre schwarzen Augen verrieten nichts von ihren Gefuhlen. Joanna Farley hatte blondes Haar und ein sommersprossiges Gesicht. Die gebogene Nase und das vorspringende Kinn hatte sie deutlich von ihrem Vater geerbt. In ihren Augen lagen Intelligenz und Scharfsinn. Hugo Cornworthy war ein gutaussehender, sehr korrekt gekleideter junger Mann, der einen gescheiten und tuchtigen Eindruck machte.

Nach der ublichen Vorstellungs- und Begru?ungsszene schilderte Poirot schlicht und klar die Umstande seines Besuches bei Benedict Farley und wiederholte die Geschichte, die dieser ihm erzahlt hatte. Er konnte sich dabei nicht uber einen Mangel an Interesse bei seinen Zuhorern beklagen.

»Die seltsamste Geschichte, die ich je gehort habe!« erklarte der Inspektor. »Ein Traum, wie? Haben Sie auch etwas davon gewu?t, Mrs. Farley?«

Sie beugte den Kopf.

»Mein Mann hat mit mir daruber gesprochen. Es hat ihn sehr beunruhigt. Ich - ich habe ihm gesagt, da? es sich wohl um eine Verdauungsstorung handle - seine Diat war namlich sehr merkwurdig - und ihm vorgeschlagen, Dr. Stillingfleet zu konsultieren.«

Der junge Mann schuttelte den Kopf.

»Er hat mich aber nicht konsultiert. Aus Monsieur Poirots Worten schlie?e ich, da? er Harley-Street- Spezialisten zu Rate zog.«

»Uber diesen Punkt mochte ich gern Ihre Meinung horen, Dr. Stillingfleet«, sagte Poirot. »Was halten Sie von den Theorien, die diese drei Harley-Street-Spezialisten aufstellten?«

Stillingfleet runzelte die Stirn.

»Das la?t sich schwer sagen. Sie mussen berucksichtigen, da? das, was er Ihnen ubermittelte, nicht genau dasselbe war, was man ihm gesagt hatte. Es war die Interpretation eines Laien.«

»Sie meinen, er habe sich falsch ausgedruckt?«

»Nicht unbedingt. Ich will nur sagen, da? die Arzte ihm gegenuber wohl fachmannische Redensarten gebraucht haben, deren Bedeutung er ein wenig verzerrte und dann in seiner eigenen Sprache wiedergab.«

»Dann entsprach also das, was er mir sagte, nicht genau den Au?erungen der Arzte?«

»So ungefahr. Er hatte eben alles etwas verkehrt aufgefa?t, wenn Sie mich richtig verstehen.«

Poirot nickt gedankenvoll. »Wei? man eigentlich, wen er konsultierte?« fragte er.

Mrs. Farley schuttelte den Kopf, und Joanna Farley bemerkte:

»Keiner von uns hatte die leiseste Ahnung, da? er uberhaupt jemanden konsultierte.« »Hat er mit Ihnen uber seinen Traum gesprochen?« erkundigte sich Poirot bei der Tochter.

Das Madchen schuttelte verneinend den Kopf.

»Und Sie, Mr. Cornworthy?«

»Nein, zu mir hat er auch nichts gesagt. Er diktierte mir zwar einen Brief an Sie, aber ich hatte keine Idee, warum er Sie zu sprechen wunschte.«

»Und nun zu den genauen Umstanden von Mr. Farleys Tod«, sagte Poirot.

Inspektor Barnett blickte Mrs. Farley und Dr. Stillingfleet fragend an und ubernahm die Rolle des Sprechers.

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