»Gewi?, Monsieur Poirot.«
Sehr korrekt, sehr hoflich erschien der Butler auf das Klingelzeichen hin. »Sie haben gelautet, Madam?«
Mrs. Farley deutete auf Poirot, und Holmes fragte hoflich:
»Ja, Sir?«
»Wie lauteten Ihre Instruktionen, Holmes, am Donnerstag abend, als ich hierherkam?«
Holmes rausperte sich und sagte:
»Nach dem Essen sagte mir Mr. Cornworthy, da? Mr. Farley um neun Uhr drei?ig einen Mr. Hercule Poirot erwarte. Ich sollte den Herrn nach seinem Namen fragen und mir diese Angaben durch das Vorzeigen eines Briefes bestatigen lassen. Dann sollte ich ihn in Mr. Cornworthys Zimmer bringen.«
»Hat man Ihnen auch aufgetragen, an die Tur zu klopfen?«
Ein Ausdruck des Mi?fallens huschte uber das Gesicht des Butlers.
»Das hatte Mr. Farley angeordnet. Ich sollte immer anklopfen, wenn ich Besucher brachte - das hei?t, Besucher, die in geschaftlicher Angelegenheit kamen.«
»Ach so. Daruber hatte ich mir schon den Kopf zerbrochen. Hatten Sie sonst noch Anweisungen fur mich erhalten?«
»Nein, Sir. Nachdem Mr. Cornworthy mir diese Anordnungen ubermittelt hatte, ging er aus.«
»Um welche Zeit war das?«
»Zehn Minuten vor neun, Sir.«
»Haben Sie Mr. Farley nach dieser Zeit noch gesehen?«
»Ja, Sir. Um neun Uhr brachte ich ihm, wie ublich, ein Glas hei?es Wasser.«
»War er da in seinem eigenen oder in Mr. Cornworthys Zimmer?«
»Er sa? in seinem eigenen Zimmer, Sir.«
»Haben Sie irgend etwas Ungewohnliches in seinem Zimmer bemerkt?«
»Etwas Ungewohnliches? Nein, Sir.«
»Wo hielten sich Mrs. Farley und Miss Farley auf?«
»Sie waren ins Theater gegangen, Sir.« »Vielen Dank, Holmes, das ist alles.«
Holmes verbeugte sich und verlie? das Zimmer. Poirot wandte sich an die Witwe des Millionars.
»Noch eine Frage, bitte, Mrs. Farley. Hatte Ihr Gatte gute Augen?«
»Nein, ohne Brille konnte er nicht viel sehen.«
»War er sehr kurzsichtig?«
»O ja, ohne Brille war er ganz hilflos.«
»Besa? er mehrere Brillen?«
»Ja.«
»Aha«, sagte Poirot und lehnte sich im Sessel zuruck. »Damit ware der Fall wohl abgeschlossen.«
Im Raum herrschte tiefes Schweigen. Alle blickten auf den kleinen Mann, der da so selbstzufrieden im Sessel sa? und seinen Schnurrbart zwirbelte. Im Gesicht des Inspektors malte sich Verwirrung. Dr. Stillingfleet runzelte die Stirn. Cornworthy starrte ihn verstandnislos an. In Mrs. Farleys Blick lag ein verblufftes Staunen. Joannas Augen sprachen von regem Interesse. Mrs. Farley brach das Schweigen.
»Ich verstehe Sie nicht, Monsieur Poirot.« Ihre Stimme klang verdrie?lich. »Dieser Traum ...«
»Ja«, sagte Poirot. »Der Traum war sehr wichtig.«
Mrs. Farley erschauderte. Sie sagte:
»Bis dahin habe ich nie an ubernaturliche Krafte geglaubt, aber jetzt - Nacht fur Nacht vorher davon zu traumen.«
»Es ist ungewohnlich«, bemerkte Stillingfleet. »Wirklich hochst seltsam! Wenn wir uns nicht auf Ihr Wort verlassen konnten, Poirot, und wenn Sie es nicht aus dem Munde des Propheten selber hatten .« Er rausperte sich verlegen. »Ich bitte vielmals um Verzeihung, Mrs. Farley. Ich meine, wenn Mr. Farley die Geschichte nicht selbst erzahlt hatte ...«
»Richtig«, warf Poirot ein. Seine bis dahin halbgeschlossenen Augen offneten sich plotzlich weit. Sie schimmerten sehr grun.
»
Er lie? eine kleine Pause eintreten und blickte sich im Kreise der verblufften Gesichter um.
»Wissen Sie, es gab da manches an jenem Abend, das ich mir nicht zu erklaren vermochte. Zunachst einmal: warum wurde so gro?er Wert darauf gelegt, da? ich den Brief mitbringen sollte?«
»Wegen der Identifizierung«, meinte Cornworthy.
»Nein, nein, mein lieber junger Mann. Diese Idee ist wirklich zu lacherlich. Es mu? schon ein viel triftigerer Grund dahinterstecken. Denn nicht nur wunschte Mr. Farley, da? ich den Brief vorzeigen sollte, sondern ich mu?te ihn sogar bei ihm zurucklassen. Und selbst dann hat er ihn noch nicht zerrissen! Er ist heute nachmittag unter seinen Papieren gefunden worden. Warum bewahrte er ihn auf?«
Joanna Farleys Stimme lie? sich vernehmen.
»Weil er wunschte, da? die naheren Umstande dieses seltsamen Traumes an die Offentlichkeit gelangten, falls ihm etwas zustie?.«
»Sie sind scharfsinnig, Mademoiselle. Das allein kann der Grund sein, weshalb er den Brief aufbewahrt hat. Wenn Mr. Farley tot sein wurde, dann sollte die Geschichte dieses seltsamen Traumes erzahlt werden! Der Traum spielte eine sehr wichtige Rolle. Er war von ausschlaggebender Bedeutung!
Ich komme jetzt«, fuhr er fort, »zum zweiten Punkt. Nachdem Mr. Farley mir seine Geschichte erzahlt hatte, bat ich ihn, mir den Schreibtisch und den Revolver zu zeigen. Er schien sich erheben zu wollen, um mir meine Bitte zu erfullen, weigerte sich dann aber plotzlich. Warum hat er sich geweigert?«
Diesmal hatte keiner von ihnen eine Antwort bereit.
»Ich will die Frage einmal anders formulieren. Was war dort in dem Nebenzimmer, das mir Mr. Farley nicht zeigen wollte?«
Das Schweigen hielt an.
»Ja«, meinte Poirot, »die Frage ist etwas schwierig. Aber es war ein Grund, ein dringender Grund vorhanden, warum Mr. Farley mich im Zimmer seines Sekretars empfing und sich glattweg weigerte, mich in seinen eigenen Raum zu fuhren. Es war etwas in diesem Zimmer, das er mich unter keinen Umstanden sehen lassen durfte.
Und nun komme ich zu der dritten unerklarlichen Begebenheit jenes Abends. Gerade als ich mich anschickte fortzugehen, bat Mr. Farley mich, ihm den von ihm erhaltenen Brief zuruckzugeben. Aus Versehen reichte ich ihm eine Mitteilung meiner Waschfrau, die er prufend uberflog und dann neben sich auf den Tisch legte. Kurz bevor ich den Raum verlie?, entdeckte ich meinen Irrtum -und berichtigte ihn. Danach verlie? ich das Haus und - ich gebe es unumwunden zu - war vollig ratlos. Die ganze Angelegenheit - insbesondere das letzte Vorkommnis -erschien mir vollig ratselhaft.«
Er blickte die Anwesenden der Reihe nach an.
»Haben Sie es nicht begriffen?«
Stillingfleet meinte: »Ich verstehe wirklich nicht, was Ihre Waschfrau damit zu tun hat, Poirot.«
»Meine Waschfrau«, erklarte Poirot, »spielt eine sehr wichtige Rolle. Diese miserable Frau, die dauernd meine Kragen ruiniert, erwies sich zum erstenmal in ihrem Leben nutzlich. Aber sie mussen es doch auch erkennen, es starrt einem ja formlich ins Gesicht. Mr. Farley sah sich die Mitteilung an - ein einziger Blick hatte ihm sagen mussen, da? es nicht der richtige Brief war. Und doch hat er nichts gemerkt. Warum? Weil er nicht richtig sehen konnte!«
Inspektor Barnett fragte scharf:
»Trug er keine Brille?«
Hercule Poirot lachelte.
»Doch«, sagte er. »Er hatte seine Brille auf. Das macht die Sache ja so interessant.«
Er beugte sich etwas vor.
»Mr. Farleys Traum war sehr wichtig. Sehen Sie, er traumte, da? er Selbstmord begehe. Und ein wenig spater hat er tatsachlich Selbstmord begangen. Das hei?t, er war allein in einem Zimmer, und der Revolver lag neben ihm. So wurde er jedenfalls aufgefunden. Und niemand hat den Raum betreten oder verlassen, als der Schu? abgegeben wurde. Was bedeutet das? Das bedeutet doch, da? es unbedingt Selbstmord sein mu?!«