von oben waren sie auf dem Felssims einigerma?en geschutzt; der weitere Verlauf des Steigs war weit uberblickbar, und die Hutte stand am Rand einer senkrecht absturzenden Felswand. Sie dachte an die Dahbi und war der Meinung, da? ihre Nichtbeachtung der Felswand ein Fehler sein mochte. Wenn es auf dieser Welt Wesen gab, die massives Gestein durchdringen konnten, fand man Dutzende, die an senkrechten Felswanden kleben oder sich bis zur Unsichtbarkeit tarnen konnten. Einige von der letzteren Art hatten in der fernen Vergangenheit im weit entfernten Glathriel beinahe ihren Untergang bedeutet.

Der vorderste Jager hatte die bewu?te Stelle auf der anderen Seite der Hutte erreicht. Sie blieb hinter dem Halbkreis der Manner zuruck, fuhlte sich hilflos und ein wenig gereizt, weil sie diesen Dingen nicht gewachsen war. Und trotz ihrer gro?en Masse war sie immer noch kleiner, aber nicht wendiger als die Manner.

Immerhin bildete sie die Nachhut, das Schwert in Bereitschaft, und zog die Brille wieder uber die Augen, die schon ein wenig zu schmerzen begannen.

»Colonel!« rief der vorderste Mann. Seine Stimme hallte von den Felswanden nah und fern schwach wider. »Drei Leute. Jager. Von uns. Ubel zugerichtet. Man hat sie zerstuckelt und dann uber die Felswand geworfen. Sie liegen vierzig, funfzig Meter weiter unten, wo der Hang flacher wird.« Er versuchte nicht zu flustern. Wenn die Morder noch in der Nahe waren, wu?ten sie gewi?, wo die Leichen lagen.

Asam uberlegte, dann drehte er sich nach Mavra um.

»Konnten es Gedemondaner gewesen sein, die das getan haben?«

Sie schuttelte heftig den Kopf.

»Ausgeschlossen. Wenn sie dich toten wollen, richten sie einfach den Finger auf dich, du rollst dich zusammen und stirbst.«

»Dachte ich mir fast«, murmelte der Colonel und blickte wieder auf die Hutte. »Also, Jungs, machen wir einen Besuch.«

Sie naherten sich der Hutte langsam und bedachtig von allen Seiten, bis der vorderste nur noch wenige Meter von der Eingangstur entfernt war. Es war Mavra, die zum erstenmal sah, da? sie sich zwanzig oder drei?ig Meter ins Freie gewagt hatten, von oben her gesehen. Da oben war etwas, ein Schatten, ein Etwas…

»Asam!« kreischte sie. »Uber und hinter Ihnen!«

In diesem Augenblick schnellten sich die Angreifer hoch oben ab und sturzten auf sie herab. Sie waren mehr als ein Dutzend, manche bewaffnet mit Piken, andere mit Armbrusten, wieder andere mit Schwertern.

Sie waren Fledermause — nein, irgendeine Art Affen mit Fledermausflugeln — oder — was sie auch sein mochten, sie waren klein und wendig, sie konnten fliegen, hatten gluhende Augen und scharfe Zahne, und sie trugen Uniformen von matter Kupferfarbe.

Aber sie flogen nicht herab, sondern vollfuhrten gesteuerte Sprunge wie Fallschirmakrobaten, doch mit einer gewissen Manovrierfahigkeit, und sie stie?en besonders fremdartige Kreischlaute aus, die wie schrille Dudelsacke bei Jodelversuchen klangen.

Zwei mit Armbrusten feuerten ihre Bolzen ab, wahrend sie noch herabsturzten, verfehlten aber ihre Ziele, und die Geschosse fetzten in den Schnee; Hodl und ein anderer, die schrag zur Sturzrichtung standen, fuhren herum und hoben ihre Armbruste. Aus dieser standfesten Haltung heraus konnten sie sie nicht verfehlen. Die Wucht der Dillianer-Bolzen war so gro?, da? die beiden Getroffenen schlagartig zuruckgeschleudert zu werden schienen, an die Felswand prallten und schlaff zu einem neuen Angriff ansetzten.

Inzwischen hatten die anderen sich jedoch auf sie gesturzt. Zwei sprangen Asam gleichzeitig an. Sie waren klein, aber au?erordentlich kraftvoll; einer warf sich auf seinen Kopf und den Rumpf, der andere auf seine Hinterbacken. Der Colonel baumte sich auf und krummte sich, schleuderte den einen von seinem Hinterteil, lie? den Bogen fallen, packte das andere Wesen bei seinen ausgestreckten, gefahrlichen Krallen und hieb es mit ungeheurer Wucht an die Felswand.

Bevor Mavra wu?te, wie ihr geschah, griff eines der Geschopfe sie an. Sie wartete, dann warf sie sich nach vorn, beide Hande am Schwertgriff.

Das Wesen spie?te sich auf der Klinge auf und verspritzte dickes, rotes Blut, aber tot war es nicht; auf irgendeine Weise, schrecklichen Ha? in seinem verzerrten, unfa?bar ha?lichen Gesicht, hob sein rechter Arm den spitzen Speer, wahrend sein Korpergewicht am Breitschwert Mavra mit zu Boden ri?. Es blieb ihr nur ein Sekundenbruchteil, um zu entscheiden, was sie tun sollte. Im Sturz, aus dem Gleichgewicht geraten, gab es nur eines, was sie tun konnte: Sie lie? sich fallen und uberschlug sich, der Speer zuckte heran, durchbohrte ihre dicke Pelzjacke, und sie spurte an der linken Korperseite einen sengenden Schmerz.

Zu aufgebracht, um darauf zu achten, sprang sie blitzschnell hoch und sah, da? das immer noch aufgespie?te Ding zuckte und lallte. Grenzenlose Wut durchflutete sie, und sie baumte sich auf den Hinterbeinen auf und warf sich hinunter, wahrend ihre Vorderbeine mit den schweren Hufeisen immer wieder auf das Wesen trommelten.

Inzwischen waren auch die ubrigen Geschopfe heruntergekommen und griffen an. Sie hatten Erfolg; zwei von den Zentauren lagen am Boden, Bolzen oder Speere in den Leibern, aber Asam stand immer noch aufrecht, eine blutende, jedoch nur oberflachliche Wunde an der linken Seite seines Pferdeleibes. Einem der Wesen gelang es, sich zu uberschlagen, und es versuchte emporzufliegen und schleuderte einen Speer nach dem tobenden Colonel. Er traf, aber alles, was er tat, war, zusammenzuzucken und aufzuschreien, mehr aus Wut als aus Schmerz. Er griff nach hinten, ri? den Speer aus seinem Korper und schleuderte ihn auf den jetzt sich in der Luft befindlichen Angreifer. Der Speer traf das Geschopf, es erstarrte kurz, dann fiel es wie ein Stein uber die Felswand hinab.

Mavra fuhr herum, ohne die Schmerzen zu beachten, und sturzte sich mitten ins Getummel. Plotzlich schienen ihr ledrige Flugel ins Gesicht zu klatschen, sie verspurte einen ungeheuren Schlag, so gewaltig, da? ihr Gehirn im Schadel hin und her zu prallen schien, dann kam die Dunkelheit. Sie nahm nicht einmal wahr, da? sie hinsturzte.

* * *

Sie glaubte in einem Meer aus klebriger Flussigkeit zu ertrinken, vermochte sich nicht zurechtzufinden, konnte nichts sehen als die strudelnde, nasse Masse, die sie umgab. Sie versuchte sich dagegen zu wehren, die uberwaltigende, alles verschlingende Bewegung zu bekampfen, aber das war aussichtslos. Sie verspurte Schmerz, dumpfes Pochen und scharfe, sengende Zuckungen, gegen die sie nichts tun konnte, und es war abwechselnd erstickend hei?, dann wieder eisig kalt. Sie schlug in der wirbelnden, flussigen Masse um sich, versuchte sie abzuwehren.

In der Masse schienen sich auch noch andere zu befinden; fremdartige Formen und Gesichter, die ab und zu scharf hervortraten und wieder davonflogen. Manche waren entsetzliche, damonenhafte Wesen, die zu ihr heranschnellten und wieder davonzuckten, hohnisch schnatternd, andere waren vertrauter, aber nicht weniger bedrohlich: riesige, katzenartige Geschopfe mit gluhenden Augen; winzige, maultierartige Tiere, deren Augen Todesqual verrieten; Phantom-Minotauren, Riesenskorpione, Phantome aus ihrer Vergangenheit.

Inmitten dieses ganzen Getummels schritt eine kleine, zerbrechlich aussehende Gestalt dahin, mit dem Rucken zu ihr, von all dem Entsetzlichen unberuhrt. Sie griff nach ihm, versuchte ihn herbeizurufen, aber die Flussigkeit, in der sie zu schwimmen schien, verhinderte das, obwohl er davon nichts wahrnahm.

Schlie?lich gelang ihr eine Art Schrei, ein Aufgellen entsetzter Hilflosigkeit. Er mu?te sie horen! Er mu?te! Er mu?te! Sie konzentrierte sich mit aller Kraft auf die dahingehende Gestalt.

Er blieb stehen, schien etwas zu horen, und drehte sich langsam um. Es war das Gesicht von Nathan Brazil, das sie sah, und er starrte nach hinten, wobei er eher gelangweilt als mitfuhlend wirkte.

»Brazil! Sie-mussen-mir-helfen!« achzte sie und streckte die Hand nach ihm aus.

Er lachelte, zog eine Munze heraus und warf sie ihr zu.

»Gern zu Diensten«, erwiderte er leichthin. »Jederzeit. Mu? jetzt gehen. Ich bin Gott, wissen Sie. Zuviel zu tun…« Er wandte sich von ihr ab und schritt in den Nebel hinein, ohne ihre qualvollen Schreie zu beachten; dann verschwand er in dem wirbelnden, milchigen Strudel und war nicht mehr zu sehen.

Sie war allein, wieder allein mit der Flussigkeit und dem Grauen, das an ihr vorbeischwebte, sie verhohnte, auf sie einhieb. Allein.

»Helft mir!« schrie sie zu, sie wu?te nicht, wem. »Hilft mir denn keiner?«

Gestalten tauchten auf, gutig aussehende menschliche Gestalten. Ein gutaussehender Mann im mittleren

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