Endlich erreichten sie einen alten, staubigen Flur, der offenkundig seit langer Zeit nicht mehr betreten worden war. Von einem Haupttunnel abzweigend, fuhrte er bald zu einer glattwandigen Kammer. Allem Anschein nach waren der einzelne Gedemondaner und die beiden Zentauren in der bekannten Geschichte die ersten, die sich dort aufhielten. Am anderen Ende des Gewolbes gab es eine sechseckige Form von tiefstem, undurchdringlichstem Schwarz. Sie wirkte dort unnaturlich, wollte nicht zur Wirklichkeit der Felswande und des Steinbodens passen.
Mavra Tschang erwachte und lachelte, als sie den Gedemondaner vor und den aufragenden schwarzen Schatten hinter sich sah. Sie wu?te nicht, wie sie hierhergekommen waren, nichts von dem vorangegangenen Gesprach, aber sie wu?te, da? sie durchgedrungen waren. Noch interessanter war, da? sie keine Schmerzen mehr spurte. Sie konnte kiar denken und war gleichzeitig rasend hungrig. Sie warf einen Blick auf Asam und begriff sofort, da? er von einer Art kunstlichem Schlaf erfa?t war.
»Ich entschuldige mich dafur, da? keine Nahrung geliefert werden kann«, sagte der Gedemondaner mit klarer, angenehmer Stimme. »Ich furchte, das ist alles sozusagen im letzten Augenblick arrangiert worden.«
Sie begriff zusammenzuckend, da? er keinen Ubersetzer trug und auf irgendeine Weise eine normale Stimme aus einer Kehle hervorbrachte, die diese Laute eigentlich gar nicht zu bilden vermochte. Sie fragte sich, wie er das machte. Noch erstaunlicher war, da? er nicht dillianisch sprach, sondern die viel verfeinertere und komplexe Kom-Sprache.
»Ja, es ist Kom-Sprache«, raumte er ein und schien ihre Gedanken zu lesen. »Wir bekommen von dorther aus Grunden, die uns beiden klar sind, zur Zeit viele Neuzugange, und eine Zahl von uns hat es unternommen, die Sprache zu studieren. Ich hoffe, du verstehst mich.«
»Ja, vollkommen«, erwiderte sie, wobei sie bemerkte, da? sie dillianisch sprach. Sie versuchte sich auf ihre alte Sprache zu konzentrieren.
»La? nur«, erklarte der Gedemondaner. »Das ist zu anstrengend. Du sprichst dillianisch, ich Kom-Sprache, und wenn es irgendwelche Begriffe gibt, die deine alte Sprache besser widergeben kann, werde ich dich verstehen.« Er schaute sich um. »Die Unsauberkeit bitte ich auch zu entschuldigen, aber wir benutzten das hier nicht sehr oft. Doch wir werden wohl saubermachen mussen. Eure Neuzugange nutzen uns nichts, aber sie und einige Freiwillige von uns werden notwendig sein, wenn wir unsere Art im Universum wieder einsetzen wollen.« Er machte eine Pause und wirkte beinahe sehnsuchtig. »Da sind wir jetzt nicht, wei?t du. Beim letzten Versuch sind wir ausgestorben.«
Sie nickte.
»Das ist ein Grund, warum ich an euch gedacht habe.«
»Wir sind uns ganz im klaren daruber, was du gedacht hast. Vielleicht besser als du selbst. Und wir werden gewi? behilflich sein. Wir hatten das auf jeden Fall getan, selbst wenn du nicht gekommen warst — aber dieser unprovozierte Angriff innerhalb unserer Grenzen ist unertraglich. So etwas wird nicht wieder vorkommen.«
Sie sah Asam an, stellte fest, da? seine Verbande abgenommen waren und von Verletzungen kaum noch etwas zu sehen war.
»Danke fur eure medizinische Hilfe«, sagte sie mit Nachdruck und warf einen Blick auf Asam. »Er hat sein ganzes Leben davon getraumt, euch kennenzulernen und einmal mit euch zu reden. Es ist schade, da? ihr euch nicht uberwinden konnt, ihn wenigstens fur kurze Zeit aufzuwecken.«
Der Gedemondaner zog die Schultern hoch.
»Eigentlich gegen die Regeln. Ein Gehirn zu loschen, ist viel schwerer, und es dient demselben Zweck. Ihr mu?t ohnehin so rasch wie moglich zu Zone — deine Leute treffen sich dort in Kurze und benutzen unsere leerstehende Botschaft. Wir haben unsere Analyse deiner Informationen noch nicht abgeschlossen, sowenig wie die der unsrigen, um zu entscheiden, in welcher Beziehung wir euch helfen konnen. Es ist dir klar, da? wir zwar gro?e Krafte besitzen, in Wirklichkeit aber sehr verwundbar sind, Nachtwesen und kaum zu ubersehen. Diese Dinge mussen erwogen werden. Im Gebirge sind wir unverwundbar, aber drau?en in der Welt bezweifle ich ernsthaft, ob ein Gedemondaner die Art von Kampf fuhren konnte, an die ihr denkt. Wir werden entscheiden und uns bald melden, wo du auch sein magst. Das einzige, was ich versprechen kann, ist, da? wir tun werden, was wir konnen, um euch zu unterstutzen.«
»Das ist alles, was ich wollte«, erwiderte sie ernsthaft.
»Und ich danke euch dafur.«
Der Gedemondaner stand einen Augenblick da und betrachtete sie mit verwunderter Miene.
»Du bist behindert. Du hast Schmerzen«, sagte er besorgt.
Sie schuttelte langsam den Kopf.
»Nein. Ich fuhle mich gut. Die Zukunft erfullt mich mit Nervositat, aber mehr ist es nicht.«
Der Gedemondaner zeigte auf den schlafenden Asam.
»Er liebt dich, das wei?t du.«
Sie seufzte.
»Ich habe es mir gedacht.«
»Und trotzdem weist du ihn ab. Warum?«
Sie ratselte auch, aber die plotzliche Hinwendung des Gedemondaners zum Personlichen gefiel ihr nicht. Das ging dieses Wesen nichts an.
»Du fuhlst dich von ihm ebenso angezogen«, sagte der Gedemondaner. »Ich spure das.«
»Es ist… es ist ein bi?chen zu kompliziert, als da? man jetzt darauf eingehen konnte«, gab sie zuruck, bemuht, ihn vom Thema abzubringen.
»Du irrst dich«, erklarte das Wesen. »Du betrachtest ihn wie ein fremdes Wesen, aber das ist er nicht. Er ist von deiner eigenen Art.«
»Er ist Dillianer«, stellte sie gereizt fest.
»Du bist auch Dillianerin«, erwiderte der Gedemondaner. »Gleichgultig, was du fruher einmal gewesen sein magst, jetzt bist du eine Dillianerin. Wenn du auf dieser Welt stirbst, dann als solche. Wenn du auf dieser Welt lebst, dann auch als solche. Das kannst du nicht andern. Selbst wenn du bei der Neuschopfung durch den Schacht der Seelen gehen solltest, wurdest du bleiben, was du bist. Du bist es fur immer.« Er streckte die kleinen Hande aus, ergiff ihren Kopf damit und hielt ihn kurze Zeit sanft fest. »Ah«, sagte er. »Angst. Unsicherheit. Wieder irrst du dich. Wenn du morgen sterben solltest, bleibt immer noch der heutige Tag. Wenn er oder du, einer von euch irgendwann sterben sollte, wurde das die Zeit, die ihr miteinander verbracht habt, nicht aufheben. Du betrauerst noch immer den Tod deines Mannes, der schon tausend Jahre tot ist. Warum?«
Sie fuhlte sich festgehalten, gezwungen, in die Augen des Gedemondaners zu blicken, gezwungen, zu antworten.
»Ich habe ihn sehr geliebt.«
Er nickte.
»Und hast du ihn geliebt, weil er gestorben ist?«
»Naturlich nicht!« Sie wunschte sich, da? das alles vorbei sein moge.
»Siehst du. Du betrauerst ihn wegen des schonen Lebens, das du mit ihm zusammen gefuhrt hast. Nur das
Ihre Gedanken waren plotzlich wie in Nebel gehullt. Sie fuhlte etwas, eine Energie, etwas Fremdartiges und doch Warmes, Gutiges, durchaus nichts Bedrohliches. Es war keine Hypnose oder Gedankenkontrolle, nur eine Art Verstarkung dessen, was der Gedemondaner gesagt hatte.
Das riesige wei?e Wesen ging zu einer Wand neben dem Tor und begann Staub abzureiben, so viel, da? sein Arm grau wurde. Zu ihrer Uberraschung war es eine polierte Flache, wie aus Glas und offenbar doch naturlicher Art.
»Massiver Obsidian«, erklarte er. »In den fruhesten Tagen diese Hexagons geglattet und poliert. Da, schau hinein und sag mir, was du siehst.«
Neugierig und ein wenig belustigt durch das, was sie als Rabatt-Psychologie empfand, trat sie hin und schaute hinein. Sie sah sich selbst widergespiegelt.
»Ich unterdrucke bestimmte Nervenschaltungen in deinem Gehirn«, teilte er ihr mit. »Es hat nichts mit Denken oder Urteil zu tun, sondern dampft, sagen wir, die au?eren Dinge, die unser Denken stets beeinflussen. Es ist etwas Kleines, aber nutzlich. Ich bezweifle, ob wir hier miteinander auskamen, wenn wir nicht die Fahigkeit hatten, das selbst zu tun, wenn es notwendig wird. Wir konnen es dir ganz leicht beibringen, weil es sich nur um