»Immerhin bestimmen sie Zeit und Ort«, stellte Asam fest. »Wir sind ihnen gleichgultig — sie haben es auf Brazil abgesehen. Selbst wenn Brazil entkommt, wird er ein fremdes Wesen in einer vollig fremdartigen Landschaft sein, wo jeder ein Fahndungsplakat von ihm besitzt.«

»Das entspricht so ziemlich den Tatsachen«, gab Zigeuner zu:

»Nicht ganz«, sagte Mavra. »Ich glaube, ich kenne mich aus. Brazil wird nicht dabei sein. Wahrend alle hinter uns herhetzen, wird er anderswo unterwegs sein.«

Zigeuner lachelte geheimnisvoll. »Moglich«, raumte er ein.

»Dann werdet ihr Ortega nichts vormachen konnen«, behauptete sie. »Er wird das nach zehn Minuten, wenn wir es versucht haben, durchschauen.«

»Vermutlich haben Sie recht«, gestand er zu. »Aber wir legen unterwegs logisch erscheinende Koder aus, die zu ubersehen er sich nicht leisten kann. Falls Brazil wirklich entdeckt und bei euren Streitkraften gesehen wird — vor allem bei Ihnen, die Sie hier im Zimmer sind —, wird es keine Frage geben. Ortega wei?, wie der Schacht funktioniert. Er hat in der letzten Zeit genug falsche Brazils durchkommen sehen, um dem richtigen hier in Zone vermutlich zu erklaren, er moge sich verdrucken. Aber nur so lange, bis jemand durch den Schacht geht. Dem System zufolge wird nur Brazil am anderen Ende noch wie Brazil aussehen. Niemand sonst ware dazu imstande — und die medizinischen Techniken, die wir auf den Kom-Welten angewendet haben, sind hier nicht bekannt. Weshalb auch? Sie sind nicht notig.«

»Wie wollen Sie zwei Brazils zustande bringen?« erkundigte sich Yua.

»Passen Sie genau auf«, sagte Zigeuner grinsend und schlo? die Augen. Kurze Zeit geschah nichts, dann schien sein Korper plotzlich zu schimmern und zu wabern und ein wenig zu schrumpfen. Langsam, ganz langsam nahm Zigeuner die au?ere Erscheinung von Nathan Brazil an.

»Du hast mir nie erzahlt, da? du das kannst«, murrte Marquoz. »Das hatte mir eine Menge erspart, Mann.«

Die Erscheinung Nathan Brazils, jetzt verfestigt und ganz echt wirkend, zeigte ein Zigeuner-Grinsen.

»Es gibt vieles, was ich dir nicht erzahlt habe, alter Freund.« Er sah sie der Reihe nach an. »Also? Glaubt ihr, da? es funktionieren wird?«

Bis auf Asam, der Brazil nie gesehen hatte, gafften sie alle die Gestalt an. Es war Brazil, vollkommen, ganz exakt, bis aufs Haar. Selbst Stimme und Tonfall waren richtig.

»Es wird klappen«, bestatigte Mavra. »Sie konnten mich uberzeugen, und ich habe es gesehen.« Aber im Innersten beunruhigte sie das sehr. Obie hatte ihm trotz Zigeuners Behauptungen nicht die Fahigkeit verliehen, das zu bewirken.

Obie mochte gewu?t haben, da? Zigeuner diese Fahigkeit besa?, und entsprechend geplant haben, aber Zigeuner das Talent zu verleihen, uberstieg selbst Obies Moglichkeiten. Um jemand anders zu werden, nach Wunsch aufzutauchen und zu verschwinden, mu?te man durch die Parabol-Antenne. Es gab nur eine mogliche Erklarung.

»Hypnose wird einen lebendigen Beobachter tauschen«, erklarte sie, »aber niemals eine Kamera.«

»Es ist keine Hypnose«, sagte der Brazil, der nicht Brazil war. »Es ist echt. Es la?t sich fotografieren, es halt sogar — angenehmer Gedanke! — einer Obduktion stand. Ich bin Zelle fur Zelle Brazils genaues Abbild. Und solange ihr mich alle behandelt, als ware ich Brazil, und solange ich darauf achten kann, mich standig wie Brazil zu verhalten, wird es klappen. Sie werden hinter uns her sein wie die Bienen hinter dem Honig.«

Yua starrte ihn kurze Zeit an.

»Sie sind machtiger als Brazil«, sagte sie tonlos. »Wie kann das sein?«

Zigeuner lachte ein wenig unsicher.

»Wenn das nur wahr ware. In einem gewissen Sinn bin ich machtiger. Aber nur in bezug auf mich selbst. Ich konnte keinen von Ihnen auf irgendeine Weise verwandeln, konnte Sie nicht hypnotisieren, nicht zwingen, irgend etwas zu tun, was Sie nicht tun wollten, au?er ich rede Ihnen ein Loch in den Bauch oder etwas Ahnliches. Nein, Yua, ich habe Fahigkeiten, die Brazil in seiner jetzigen Form nicht besitzt. Sie haben sie alle, wenn Sie genau nachdenken. Aber das ist auch schon alles. Eigentlich ein Schwindel. Nur ein Trick. Merken Sie sich nur das eine: Ich kann genauso leicht getotet werden wie irgendeiner von Ihnen. Ich rechne damit, da? ich dabei umkomme. Vielleicht sterben wir alle. Aber nicht Brazil. Er kann nicht sterben. Der Schacht la?t es nicht zu.« Er schwieg einen Augenblick und uberdachte seine Worte, beinahe so, als versuche er zu entscheiden, ob er uberhaupt etwas sagen sollte. Schlie?lich erklarte er:»Horen Sie, das sind alles Vermutungen, aber ich glaube, Brazil will sterben. Ich glaube, er plant das.«

»Du hast eben gesagt, er kann nicht«, wandte Marquoz ein.

»Nicht hier. Nicht jetzt. Aber dort, im Schacht selbst, da kann er sterben. Er ist ein Wachter. Er hatte auch eine schwere Aufgabe. Er mu?te vielleicht Milliarden von Jahren dabeibleiben, mu?te zusehen, wie alle anderen alt wurden und starben, mu?te alles erleben, was man erleben kann, und ich wette, da? er sich zu Tode langweilt. Den Archiven nach wu?te er beim letztenmal, als er auf der Sechseck-Welt war, nicht einmal, da? er jemals schon hier gewesen war. Er erinnerte sich nicht. Er hatte das vollig verdrangt, zur Kompensation, in erster Linie, wurden die Psycholeute wohl sagen. Er wollte vergessen und verga? auch. Es bedurfte der Sechseck-Welt, um die Verdrangung ganz aufzuheben, und ich glaube, seitdem versucht er erneut, wieder zu vergessen.«

»Ich bin nicht sicher, ob ich das aushielte«, murmelte Mavra. »Nach tausend Jahren langweile ich mich jedenfalls nicht.«

»Vielleicht bekommen Sie die Gelegenheit«, warnte Zigeuner. »Oder ein anderer von euch. Ich glaube, wenn er einmal hineingelangt und tut, was getan werden mu?, hat er vor, einen anderen zu bestimmen, ihn dafur auszubilden und dann zu sterben. Ich mochte beinahe darauf wetten.«

Yua brach schlie?lich das lange Schweigen, das dieser Feststellung folgte, und sagte:»Das glaube ich nicht. Er konnte es nicht. Er ist Gott, der Herr.«

Zigeuner zuckte mit den Achseln.

»Dann glauben Sie es eben nicht. Aber fur mein Gefuhl wissen Sie, da? ein Kornchen Wahrheit darin steckt, auch wenn das von einem Amateur-Psychomann wie mir kommt. Ihr habt euch alle mit ihm befa?t, ihn kennengelernt, mit ihm gesprochen. Ich habe auch eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wen er als seine Ersatzperson ausgesucht hat.«

Mavra fing seinen Blick auf und nickte fast unmerklich. Sie erinnerte sich, da? Brazil es abgelehnt hatte, die Verantwortung fur das Abschalten der Maschine zu Reparaturzwecken zu ubernehmen, was bedeutete, da? alle diese Trillionen Wesen zum Untergang verurteilt waren. Er hatte darauf bestanden, da? sie ihm den Befehl dazu gab und damit die Verantwortung ubernahm. Sie betrachtete das mehr und mehr als das Weitergeben einer Stafette. Aber wollte sie sie wirklich ubernehmen? Sie begriff, da? sie wegen dieser Frage viele schlaflose Nachte haben wurde — immer vorausgesetzt, sie erlebte das uberhaupt.

Die Ulik-Botschaft, Zone Sud

Serge Ortega war gleichzeitig wutentbrannt und frustriert, was ihn beinahe zu einem furchterregenden Wahnsinnigen machte.

»Zuerst«, schrie er ins Sprechgerat, »zuerst dieser idiotische Uberfall auf Mavra Tschang! Narren! Mehr als Narren! Schlampig! Ihr habt ein Hex, das dazu neigte, sich ganz herauszuhalten, auf die andere Seite getrieben, und dabei noch bewirkt, da? das nachste zu einem Nationalhelden, verletzt und auf uns zornig wurde! Und jetzt — das! Ein Gipfelgesprach der gegnerischen Kommandeure hier am Ort, keine tausend Meter von mir entfernt, hier in Zone Sud! Und bei allem, was heilig ist, wissen wir gar nichts! Und warum das? Weil sie jemanden von unserer Seite bezahlen, damit die Uberwachung kaputtgeht! Von unserer eigenen Seite! Freie Marktwirtschaft… ein Quatsch!«

Es wurde keine Antwort zugelassen, und man rechnete auch gar nicht damit, Gelegenheit dazu zu erhalten. Die meisten angeschlossenen Botschaften hatten ihre Wechselsprechgerate schon lange auf geringe Lautstarke gestellt, bis er sich beruhigte, und das dauerte lange. Ortega wu?te das in einem Winkel seines Gehirns auch, aber das Geschrei tat ihm gut, und mehr sollte dabei auch nicht herauskommen.

Schlie?lich sagte er in normalem Tonfall:»Ihr konnt euch jetzt alle wieder zuschalten. Wir haben ernsthafte

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