Yongrem, an der Grenze Betared-Clopta
Die kleine Barkasse kam mit den Wellen an Land. Ein kleiner Sturm drau?en auf dem Meer hatte diese aufgepeitscht, und sie donnerten ans Ufer und erschwerten eine sichere Landung. Die Kuste war hier felsig, und ein Fehler konnte bedeuten, da? man an den Felsen zerschellte.
Es war kurz vor dem Morgengrauen; hell genug, um zu sehen, wo man sich befand, aber noch nicht die Stunde, zu der neugierige Leute hier auftauchen mochten. Nicht, da? viele es tun wurden, hier an der Grenze. Die Betareds und Cloptas hatten wenig fureinander ubrig, und die Grunde dafur reichten so weit in die Vergangenheit zuruck, da? keine Seite sie noch genau hatte nennen konnen. Aber wie bei allen solchen Fehden verstarkte der Mangel an rationalen Ursachen die Gefuhle nur noch.
Noch nie glaubte Brazil einen so krassen Gegensatz an der Grenze zwischen zwei Hexagons gesehen zu haben. Auf der linken Seite lag Betared in eisiger Kalte, an den Baumen hingen lange Eiszapfen, und der Schnee umgab sie in wellenartigen Verwehungen. So, als zeige man zwei Bilder nebeneinander, gab es auf seiner rechten Seite uppige, grune Warme, ein Marchenland von Gummibaumen, Palmen und anderen tropischen Gewachsen. Die Grenze selbst schien hier etwas Korperhaftes zu sein und schimmerte an der Zwischenflache. Wo die warme Luft auf kalte stie?, ergo? sich uber einen ausgetretenen Pfad durch die Felsen eine Wasserflut ins Meer. Nur von einem dritten Hex aus war ein solcher Anblick sichtbar; die Wellen von Yongrem brandeten mit gleicher Heftigkeit an beide Ufer.
Zwischen den Hexagons gab es eine kleine Warmebarriere, nicht, um ein Ubertreten zu verhindern, sondern um zwischen so verschiedenartigen Orten ein kleines Ma? an Isolierung zu liefern. Trotzdem bildeten sich auf beiden Seiten Wolken und erstreckten sich von der Grenze aus in beide Richtungen. Das Grenzgebiet wurde dadurch dunkel und neblig; genau das, was sie wollten.
Seine vier Leibwachter erwarteten ihn, als die geschickte Besatzung die Barkasse beim vierten Versuch durch die Riffe steuerte und auf einen Strand gerade noch auf der warmeren Seite von Clopta lenkte. Er sprang rasch heraus, winkte der Besatzung zu, die das Motorboot zu der noch gefahrlicheren Ruckfahrt rasch ins Wasser zuruckschob, und ging zu den anderen hinauf.
Zwei von ihnen waren Punretts, nicht selten gesehene Nachbarn von Clopta, die auf den ersten Blick wie riesige Sto?balle auf einem gigantischen Billardtisch wirkten, stehend auf zwei hohen, gerippten, huhnerartigen Beinen. Ihre Kopfe schienen in der Hauptsache lange, flache, scherenartige Schnabel zu sein. Die Augen auf zwei kurzen Stielen wuchsen aus dem Schnabelansatz heraus und waren beinahe unsichtbar. Knapp unter den Schnabeln befanden sich acht flache, hangende Abschnitte wie Blatter einer unvorstellbaren Pflanze. Brazil erkannte sie als Fuhler.
Zwei andere waren Quilst, hier trotz der Grenze ihres eigenen Landes mit Clopta und Betared zugleich kaum auffallend. Sie waren fast zweieinhalb Meter gro?, aufrecht auf dicken runden Beinen mit flachen Sohlen. Sie glichen den Stammen sehr gro?er Baume. Ihre massiven Arme sahen ahnlich aus, waren aber mit dicken, massigen, menschenartigen Handen ausgestattet, deren auffalligstes Merkmal darin bestand, da? die Finger alle platt und stummelformig waren, mit einer fingernagelartigen Schicht rundum bedeckt. Fast ohne Halse, sahen ihre gigantischen Kopfe aus, als bestanden sie nur aus Mundern, aus riesengro?en runden Schnauzen. Dazu besa?en sie winzigkleine Schweinsauglein, tief im Schadel liegend, die flankiert waren von zwei ebenso kleinen, unaufhorlich zuckenden Ohren. Es sah sonderbar aus, da? beide Pistolengurtel trugen, und die Pistolen daran waren gro? genug, um Locher in kleine Berge zu pusten.
Die funfte Person war ein Awbrier-Wesen, das am Boden sehr unsicher wirkte und im Vergleich zu den anderen einen zerbrechlichen Eindruck machte.
»Kapitan Brazil«, sagte das Awbrier-Geschopf nervos. »Wir freuen uns, Sie zu sehen. Ich bin Foma von Awbri, und die beiden Punretts hei?en Squom und Dutrik, die beiden Quilst Manganong und Sungongong.«
Er nickte allen zu.
»Sie sind alle Eingeborene?«
»Alle«, bestatigte sie. »Ich furchte, ich mu? das Wort fuhren, weil keine der Rassen sich auf normale Weise verstandigt, aber sie konnen uns wegen der Ubersetzer-Kristalle verstehen und im Notfall mit den Betared und Cloptanern sprechen.«
»Soll mir recht sein«, erwiderte er. »Ich habe einen dicken Mantel dazu, mochte aber auf dieser Seite bleiben, wenn das geht. Warmes Wetter ist mir lieber. Ich verweichliche wohl, weil ich zu wenig im Freien bin.«
»Begreiflich«, gab Foma zuruck. »Uns ist das auch recht. Wir haben hier einen Flugwagen, der uns rasch an die Grenze von Quilst bringt. Von dort aus mussen wir zu Fu? weiter.«
Er seufzte.
»Na gut. Ist mir recht. Wie steht es zur Zeit?«
Sie gingen zu einem Gebusch, wo eine gro?e Plattform mit Baldachin und Steuerknuppel einige Zentimeter uber dem Boden zu schweben schien. Das war praktisch der Fall, weil sie von Tausenden winziger ›Beine‹ aus unsichtbarer Energie getragen wurde, so da? sie wie ein Luftkissenfahrzeug in der Luft blieb. Obwohl nicht fur menschliche Bequemlichkeit eingerichtet, war sie doch fortschrittlicher als die meisten Transportmittel auf den Kom-Welten.
»Die Frauen von Awbri, nach so langer Zeit von Unterdruckung befreit, scharen sich zu Ihrer Unterstutzung zusammen«, erklarte ihm Foma. »Wir haben Zustrom von anderen aus vielen Rassen erhalten, alle ursprunglich aus Ihrem eigenen Land. Sie haben sich zusammen mit unseren Truppen nahe der Grenze zu Agon versammelt. Sie werden wissen, da? der gro?te Teil von Awbri nicht zu Fu? durchquert werden kann.«
Das hatte er zwar nicht gewu?t, aber er nickte trotzdem.
»In diesem Gebiet wird ferner nach Ihnen gefahndet«, fuhr sie fort.
Er sah sie erstaunt an.
»Was? Wie ist es dazu gekommen? Ist meinem, ah, Gegenstuck zusammen mit den anderen schon die Flucht gelungen?«
»Nein«, versicherte sie. »In unseren eigenen Truppen scheint jemand hinter die Wahrheit gekommen zu sein und geplaudert zu haben, oder der Rat will sich gegen alle Moglichkeiten absichern und keine Risiken eingehen.«
Er seufzte.
»Der verdammte Dampfer. Ich wu?te es. Von wegen Rat — das ist Ortegas Werk. Er ist der einzige, der den Verstand hat, sich das auszurechnen.« Er sprach mehr zu sich selbst als zu den anderen. Er wandte sich ihr zu und sagte:»Nun, dann bleibt nichts anderes ubrig, als das Beste daraus zu machen. Khutirs Truppen bewachen die Avenue immer noch?«
Sie nickte.
»Sie sind noch nicht vorgeruckt und scheinen in der Hauptsache in Quilst stationiert zu sein. Das hat uns Freunde eingebracht, wie Manganong und Sungongong hier. Obwohl Quilst offiziell zum Rat steht, war das Militar nicht zuruckhaltend, und es hat Arger gegeben.«
Das konnte er verstehen. Eine Armee aus mehreren Dutzend Rassen mit verschiedenartigen Bedurfnissen brachte Unheil, wenn man sie aufnehmen mu?te, und es wurde selbst einem harten Halunken wie Khutir schwerfallen, sie unter Kontrolle zu halten.
»Wir sind der Meinung, da? Sie sozusagen auf der Grenzscheide bleiben sollten«, sagte sie. »Hinauf nach Lieveru, dann hinein nach Ellerbanta, wo das Gebirge jede Armee oder Truppe daran hindert, den Zugang zur Avenue ganz zu sperren.«
Er nickte beunruhigt, weil er die Aussichten dafur kannte, uberhaupt so weit zu kommen. Nicht, da? er das wirklich vorgehabt hatte — aber diese Leute hier durften das nicht wissen. Er wunschte sich jedoch, da? die anderen schon durchgebrochen und auf der letzten Etappe waren. In diesem Augenblick hing alles von der anhaltenden Ahnungslosigkeit des Rates und der traditionellen Denkweise der Fuhrerschaft ab. Wenn Ortega den Plan wirklich erraten hatte und es ihm gelungen war, die anderen zu uberzeugen, konnte der ganze Zeitplan durcheinandergeraten. Es konnte sehr, sehr rasch gefahrlich werden.
Sie rasten mit fast hundert Kilometern in der Stunde durch Clopta und waren in knapp drei Stunden an der Grenze zu Quilst. Soviel er erkennen konnte, waren sie von niemandem entdeckt oder auch nur bemerkt worden. So weit, so gut — aber nun kam der schwierige Teil.
Die awbrischen Truppen, die bis zu diesem Augenblick stillgehalten hatten, wurden jetzt schon unterwegs