»Also gut. Verdammt! Was ist denn da drau?en? Ist Mavra auf mich so bose, da? sie nicht zuruckkommen will? Oder hat Asam…?«

Sie standen plotzlich alle auf den Beinen und sahen einander nervos und besorgt an.

»Verschaffen Sie sich Tarnung«, sagte Brazil zu Zigeuner. »Wir stellen fest, was los ist.«

Zigeuner schimmerte, veranderte sich, wurde ein Hakazit.

»Das ist ein weiblicher Hakazit«, bemerkte Marquoz belustigt.

»Sie mussen doch auf Ihren Ruf achten«, gab Zigeuner zuruck, und sie gingen hinaus.

Sie schwarmten aus und schauten sich im flachen Talgrund um. Tausende von Wesen aus vielen verschiedenen Rassen lagerten dort drau?en, die Lagerfeuer erstreckten sich in alle Richtungen, aber von Asam oder Mavra Tschang war keine Spur zu sehen.

Brazil rief seine Menschen zusammen und wies sie an, das Gelande abzusuchen. Zigeuner, als Hakazit getarnt, merkte sich rasch Namen und Gesichter.

Als die Zeit verging und keine Nachricht kam, wandte Brazil sich an Zigeuner und sagte:»Das gefallt mir immer weniger.«

»Mir geht es nicht anders«, erwiderte Zigeuner. »Glauben Sie, bei uns sei es vielleicht schon zu lange gut gelaufen, und die Aussichten verschlechtern sich?«

»Ich furchte —«, begann Brazil, wurde aber unterbrochen, als einer seiner Menschen etwas schrie. Er lief in diese Richtung, und Zigeuner stampfte hinter ihm her.

Ganz in der Nahe des kleinen Flusses gab es einen Hain. Brazil erreichte den Wasserlauf als erster und bemerkte Marquoz, der am Ufer stand und auf den Schlick starrte. Neben dem Hakazit stand Asam mit hangenden Schultern.

»Mitten in der gottverdammten Armee!« fauchte Marquoz. »Mein Gott! Wir sind viel zu sicher gewesen! Diese Dreckskerle!«

Brazil starrte auf den Schlamm hinunter. Er konnte die Hufabdrucke eines Zentaurs sehen, die am Flu? entlangfuhrten, vorbei an den Baumen. Ein Teil des Bodens war aufgerissen, und die Hufabdrucke wurden dort zu einem wirren Durcheinander. Sonst waren nirgends Abdrucke zu sehen.

»Verdammt noch mal! Wie rei?t man einen funfhundert Kilogramm schweren Zentaur zehntausend Soldaten unter der Nase weg?« wutete Marquoz.

Asam blickte zu Brazil hinauf. Sein Gesicht war aschfahl, er wirkte tief bedruckt und verwirrt.

»Sie ist fort«, knurrte er unglaubig. »Sie haben sie erwischt.«

Zigeuner kam hinter ihnen heran, blieb stehen und begriff sofort, was geschehen war.

»Ach, Schei?e«, sagten Nathan Brazil und Zigeuner gleichzeitig.

Bache, in dieser Nacht

Sie studierten, bohrten, verhorten und untersuchten bis in die fruhen Morgenstunden, ohne jeden Erfolg. Einige Dillianer nahebei glaubten etwas gehort zu haben, ein paar Hakazit erinnerten sich dunkel, in der Luft etwas vorbeifliegen gesehen zu haben, aber in Wirklichkeit hatten alle miteinander nur sehr wenig gehort und gesehen. Wie ihre Anfuhrer fuhlten sie sich im eigenen Lager sicher und neigten dazu, jede Art von Larm oder Unruhe nicht auf sich zu beziehen und schon gar nicht fur feindliche Einwirkung zu halten.

»Warum gerade sie?« stohnte Asam immer wieder. »Warum nicht Sie, Brazil? Auf Sie hat man es abgesehen, nicht auf Mavra.«

»Aber an mich konnte man nicht heran«, erwiderte Brazil. »Es mu?te ein kleines Unternehmen sein, vermutlich von nur ein paar Wesen, vor allem solchen, die man auch auf unserer Seite findet, damit sie nicht auffielen. Au?erdem ist man in Bedrangnis. Was, wenn man mich gefa?t, ich sie ausgelacht, mich in etwas anderes verwandelt hatte und verschwunden ware? Wie sahe man dann aus? Nein. Mavra einzufangen, ist eine ganz andere Sache. Die Dillianer betrachten sie als Idol — und Sie, ehrlich gesagt, auch —, so da? das demoralisierend auf Truppen und Befehlshaber wirken mu?. Und sie kennen ihre Geschichte — auf jeden Fall von Ortega, wenn nicht aus anderen Quellen. Sie wissen, da? sie mir etwas bedeutet — die einzige Angehorige, die ich habe, konnte man sagen. Es ist moglich, da? man durch die Gefangennahme Eingeweihter in Erfahrung gebracht hat, was ich vorhabe, namlich darauf zu bestehen, da? sie mit mir durch den Schacht geht. Erpressung, Ruckversicherung, ich wei? nicht. Aber es liegt nahe.«

Asam starrte ihn zornig an.

»Und Sie? Was werden Sie jetzt tun?«

Brazil schuttelte den Kopf.

»Ich wei? es nicht. Ich wei? es wirklich nicht, Colonel. Im Augenblick kann ich nichts anderes tun, als unsere Leute zu veranlassen, da? sie sich damit beschaftigen, aber die Zeit wird knapp. Ich mu? bis morgen abend entscheiden, soviel steht fest. Ich glaube immer noch, da? ich den Schacht erreichen kann, aber es ist klar, da? sie so etwas nur unternehmen wurden, wenn sie schon hierher zielen. Ich kann es mir nicht leisten, abzuwarten, sonst schneiden sie mir den Weg ab.« Er schwieg kurze Zeit. »Ach, verdammt, es ist einfach nicht gut so! Ich will die Verantwortung nicht tragen, die Maschine abzuschalten. All die vielen Wesen… Alle fort, als hatte es sie nie gegeben. Die Gro?en und die Kleinen, alle miteinander. Ich wei? nicht, ob ich mich dazu uberwinden konnte.«

»Dann nehmen Sie jemand anders mit«, antwortete Asam.

Brazil schaute sich um.

»Wer ist noch geeignet? Zigeuner? Er mu? hier bleiben, damit die Tauschung wirkt. Sonst bin ich Freiwild. Und ich bin mir auch gar nicht sicher, was er wirklich ist. Vielleicht bedeutet ihm der Rest des Universums uberhaupt nichts. Yua? Sie erwartet von mir, da? ich das Universum auslosche und das Paradies erschaffe. Marquoz? Ich glaube eigentlich nicht, da? Marquoz in seinem Innersten fur andere etwas ubrig hat, Zigeuner einmal ausgenommen. Sie? Aber Sie wissen nicht einmal, was Sie vernichten. Nur Mavra begreift die Verantwortung wirklich.«

Asam blickte streng auf ihn hinunter.

»In Ihrem Namen sind viele gute Leute im Kampf umgekommen. Haben Sie keine Verantwortung ihnen gegenuber?«

Brazil lachelte schief und schuttelte den Kopf.

»Sehen Sie? Sie begreifen uberhaupt nichts. Zivilisationen, zahllose Wesen, Trillionen lebende Geschopfe, ihre Gro?e, ihre Gedanken, Ideen und Errungenschaften… fur Sie ist das etwas Abstraktes. Nur die wenigen, die hier gestorben sind, sagen Ihnen etwas, weil Sie sie gekannt haben. Die Sechseck-Welt ist zu eng. Es gibt hier keine Michelangelos oder Leonardo da Vincis, keinen Homer, Tolstoi oder auch nur Mark Twain. Keinen Handel oder Beethoven oder Strawinsky. Multipliziert mit all den Rassen im Universum, jede mit ihren eigenen unfa?baren Schopfungen. Sie begreifen in Wahrheit gar nicht, was es hei?t, das alles auszuloschen.«

»Ich verstehe nicht, was Sie sagen, das ist richtig«, erwiderte der Zentaur. »Aber ich glaube Sie recht gut zu durchschauen. Es sind nicht all die seltsamen Namen, die Sie in Wirklichkeit beruhren, glaube ich. Es ist die Tatsache, da? Sie keinen Dummen haben, der weitermacht, damit Sie sterben konnen.«

Brazil sah ihn mit uralten Augen an, mit Augen, die Qual und Schmerzen uber jede Marter hinaus zeigten, Qual, die Weisheit hervorbringt.

»Wenn Sie das glauben«, sagte er langsam, »dann verstehen Sie mich uberhaupt nicht.«

Asam drehte sich um und ging zu seinem Zelt zuruck. Es wirkte auf einmal leer, und er wu?te selbst nicht genau, was er empfand; er spurte nur den Drang, alles kurz und klein zu schlagen. Er tat es aber nicht, sondern griff in sein Gepack, holte eine gro?e Flasche heraus und trank in gro?en Zugen.

Asam traumte nie; jedenfalls konnte er sich, abgesehen von ein paar au?erordentlich lebensechten Alptraumen seiner Kindheit, nie an seine Traume erinnern. Aber jetzt schien ihm, als traume er, weil es keine andere Erklarung gab.

Ein Rascheln weckte ihn — jedenfalls glaubte er das —, aber zunachst sahen seine Augen in der Dunkelheit nichts. Dann schien sich das Zelt langsam mit einem geisterhaften wei?en Licht zu fullen.

Der Schnaps, dachte er. Das mu?te am Schnaps liegen. Und es war der Schnaps, der seine Erinnerung umwolkte, er und die Erschopfung, die ihn erfa?t hatte. Beides hinderte ihn daran, sofort zu erkennen, was er

Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату