»Hebt sich ungefahr auf. Ich glaube zwar nicht, da? wir uns ewig halten konnen, aber das mussen wir auch gar nicht. Zuerst schaffen wir Sie mit dem Kran hinunter auf den Boden, geben euch etwas zu essen, und dann sehen Sie zu, da? Sie verschwinden. Wir haben heute fruh die ganze Avenue in beiden Richtungen abgesucht — es wird keine unangenehmen Uberraschungen geben. Die haben wir fur Sie weggeraumt.« Seine Miene wurde ernst. »Ich hatte sechsundsiebzig Leute, als ich anfing. Es ware noch schlimmer gewesen, wenn nicht dieses Hochtech-Hex an die Avenue angrenzen wurde. Seht zu, da? ihr da hinunterkommt. Wir haben nicht viel Zeit zu verlieren.«
Nathan Brazil sah zu dem machtigen Ulik auf und verfluchte seine Unfahigkeit, in diesem Tierkorper auszudrucken, was er empfand. Es war seltsam; noch vor einigen Minuten hatte er geschworen, da? solche Gefuhle schon vor Tausenden von Jahren in ihm erstorben waren. Schlie?lich sagte er:»Sie konnten mit uns kommen, Serge, wissen Sie.«
»Das hatte ich mir uberlegt«, gab Ortega zuruck. »Sehr grundlich sogar. Aber jetzt, wo ich hier stehe, mochte ich das nicht um alles in der Welt verpassen.« Er blickte in Brazils gro?e Tieraugen. »Ich glaube, Sie verstehen. Gerade Sie sollten es verstehen.«
»Ja«, sagte Brazil nach einer langen Pause seufzend. »Ich glaube, ich verstehe es.« Er blickte zum Kran hinuber. »Also, machen wir weiter.«
Serge Ortega nickte.
»Adieu, Nate. Es hat trotz allem Spa? gemacht, nicht?«
»Das ist wahr«, sagte Brazil ein bi?chen wehmutig. »Das ist wahr. Adieu, alter Freund. Macht es ihnen schwer.«
Ortega grinste.
»Hab’ ich das nicht immer getan?«
Hohe, steile Klippen ragten auf beiden Seiten der Avenue empor, wo sie aus dem sumpfigen Tiefland zur Aquatorbarriere gelangte. Der Wind pfiff durch den Pa? und erzeugte ein unheimliches ab- und anschwellendes Heulen, das auch die Untertone einer anbrandenden See mitfuhrte, obwohl es in der Nahe kein Meer gab. Die Avenue befand sich hier auf zwei Ebenen, ein ziemlich tiefer Mittelstreifen, gefullt mit kristallblauem Wasser, wo die Sommerschmelze abflo?, was den Quilst-Sumpf weit im Suden hervorrief; das Ufer auf beiden Seiten war breit und glatt, wenn auch verwittert und mit einer dunnen Schicht Schlick und vereinzelten Felsbrocken von Erdrutschen bedeckt.
Das Tal war zwanzig bis funfzig Kilometer hier am Borgo-Pa? breit. Gro?e Geroll- und Schlammlawinen hatten letzteren im Lauf der Zeit so verengt, da? es auf der Ellerbanta-Seite praktisch nur eine Lucke von zwei bis drei Metern gab, auf der von Verion noch weniger. Die Schluchtwande waren aber nicht glatt, am wenigsten hier am Pa?; Felsvorsprunge ungefahr alle zehn Meter auf beiden Seiten der Verengung boten idealen Platz fur Stellungen und Vorposten.
Serge Ortega betrachtete den Schauplatz fast von Bodenhohe aus mit einiger Befriedigung. Es verlief alles sehr gut; als die Dunkelheit hereinbrach, blieb nur noch wenig zu tun.
Marquoz kam zu ihm heran und schaute sich bewundernd um.
»Verdammt gut organisiert«, sagte er. »Bin beeindruckt.«
Ortega drehte sich um und lachelte schief.
»Ich bin immer so«, sagte er. »Jetzt erst recht, auf dem Hohepunkt meines Lebens, dem ganzen Anschein nach.« Er lie? sich auf seinen Schlangenleib zurucksinken und lachelte breit, wahrend er vor sich hin starrte und Dinge ins Auge fa?te, die nur er sehen konnte. »Uberlegen Sie, was ich fur ein Leben gefuhrt habe«, meinte er nachdenklich. »Es war ein sehr erfulltes, ein wichtiges, glaube ich. Rebell, Freibeuter, Schmuggler, Glucksritter, Sternpilot — nehmen Sie, was Sie wollen, ich habe es gemacht oder bin es gewesen. Dann kam ich hierher, wo ich sehr rasch Politiker wurde, dann Botschafter, Staatsmann und, ah, Welt-Koordinator. Ich liebte Tausende von Frauen, ich trank, ich kampfte, ich hatte fast bei allem einen Mordsspa?. Und jetzt bin ich mude und gelangweilt. Das einzige, was ich noch nicht gemacht habe, ist Sterben.«
»Sie haben sich einen ganz besonderen Abgang verschafft«, stellte der Hakazit gutmutig fest.
»Ha! Glauben Sie, ich konnte ein Leben wie das meine beenden, indem ich in irgendeinem Altenheim verfaule? Ein schoner, friedlicher Tod, umsorgt von Schwestern, die mich stutzen, damit ich die Sterne sehen kann? Quatsch! Nein, Sir! Niemals! Wenn ich abgehe, dann wie Asam. Man wird Generationen lang Lieder uber mich singen. Die Dichter werden die Geschichten am Lagerfeuer erzahlen, und meine Feinde und ihre Kinder und Kindeskinder werden ihre Glaser im Andenken auf mich erheben.«
»Und mit dem Hinweis auf Sie werden Hunderte von Rassen ihre Kinder erschrecken, damit sie brav sind«, sagte Marquoz belustigt. »Ach was, Sie sind so lange dagewesen, da? keiner Ihren Tod glauben wird, wenn man Ihre Leiche liegen sieht.«
Ortega uberlegte.
»Das ware der Gipfel, was, Marquoz? Ich mochte, da? Sie das weitergeben. Wenn ich dahin bin, soll mein Korper verbrannt werden, so da? ihn niemand mehr erkennen kann, da? man nicht einmal mehr festzustellen vermag, was fur eine Art von Wesen ich war. Von mir soll nichts ubrigbleiben. Das wird die Kerle zwei Generationen lang zu Tode erschrecken.«
Der Hakazit lachte.
»Wird geschehen«, versicherte er. Er blickte in den dunklen Pa?. »Wie bald werden wir Gesellschaft bekommen, glauben Sie?«
»Vorausgeschickte Spaher und Streifen konnen jeden Augenblick auftauchen«, erklarte Ortega. »Aber vor dem Morgengrauen werden die Truppen selbst nicht zur Stelle sein. Nachts kame bei den Hitzestrahlen- Generatoren da oben keine Fliege durch den Pa?. Klippenwande und Erdrutsche kommen uns auch zugute. Sie konnen auf nichts richtig zielen, ohne sich zu zeigen.«
»Wenn ich das ware, wurde ich jetzt erscheinen«, gab Marquoz zuruck. »Ein kleiner Verband, leicht ausgerustet, erfahren und lautlos, mit vielen Nachtwesen, die anderen mit Infrarotvisieren und computergesteuerten Laserwaffen ausgerustet. Ich wurde das zwischen Mitternacht und Morgengrauen machen, die Leute in Position bringen, die Abwehrstellungen der Reihe nach ausschalten, moglichst unauffallig, versteht sich. Dann wurde ich bei Tagesanbruch mit allem angreifen, was ich habe.«
»Diese Moglichkeit habe ich schon in Betracht gezogen«, erwiderte der Ulik. »Wenn sich etwas ruhren sollte, konnen wir auf funfzig Meter vor uns radargesteuerte Scheinwerfer einsetzen. Manche von meinen Leuten sehen im Dunkeln auch sehr gut, und sie halten vorne Wache. Wir haben unsere Stellungen auch miteinander verbunden. Alle zehn Minuten wird von jeder Stellung an die benachbarte ein stets leicht abgewandelter Code gegeben. Wenn kein Signal kommt, leuchten wir die Stelle an und sehen nach. Es gibt au?erdem Anruf- und Antwort-Parolen von einer Stelle zur anderen. Gunit Sangh wird das wohl unterstellen, also trotzdem einen Versuch unternehmen, nicht, weil er sich etwas ausrechnet, sondern, um unsere Bereitschaft zu prufen und uns bis Tagesanbruch wachzuhalten, damit er seine ausgeruhten Truppen vorschicken kann.«
Marquoz, der selbst ein halbes Nachtwesen war, starrte wieder in den Pa? hinein.
»Ist aber schon viel verlangt, Leute da hineinmarschieren zu lassen. Wenn es irgendeinen anderen Weg gibt, wird er ihn gehen.«
Ortega lachte leise.
»Was bedeuten ihm Truppen? Er kennt sich auch sehr gut aus. Zweitausend gegen Sechsundsechzig Mann, Sie und den Agitar mitgerechnet.«
»Ich wei?, ich wei?. Das Gelande gleicht manches aus, aber doch nicht alles. Nicht ein Verhaltnis von drei?ig zu eins. Nicht, wenn man mobile Hochtech-Waffen besitzt, getragen von Wesen, die an senkrechten Felswanden hinaufklettern konnen, und anderen, die vielleicht durch das tiefe Wasser da in der Mitte heraufschwimmen.«
Ortega hob die Schultern.
»Die Hochtech-Lage begunstigt uns«, erklarte er unbeirrt. »Sie haben nur das, was sie mitbrachten und durch die Lucke zwangen konnten. Zum Beispiel keine gepanzerten Fahrzeuge, die wirklich gefahrlich werden konnen. Keine Flieger, nicht bei dieser Enge. Ein direkter Frontalangriff durch diese Lucke da, das ist noch das beste fur ihn. Er kann nicht einmal hinuber oder au?en herum, wie Nate festgestellt hat.«
»Aber drei?ig zu eins…«, erklarte Marquoz kopfschuttelnd.