beruhigt sein — die sind viel zu beschaftigt, um auf Verletzungen neugierig zu sein, die schon langst behandelt worden sind.“
Sie verbrachten zwei Stunden im Hospital, ohne auch nur ein einziges Mal die Geschichte uber den angeblich kranken Mennomer erzahlen zu mussen. Von Anfang an war zu erkennen, da? sich Stillman im Hospital gut auskannte und sich hier offensichtlich schon des ofteren aufgehalten hatte. Doch waren stets irgendwelche Etlaner in der Nahe, so da? Conway ihn nicht fragen konnte, ob er sich hier zuvor als Beobachter des Monitorkorps oder als getarnter Teilzeit-Krankenpfleger eingefunden hatte. Einmal erhaschte er einen fluchtigen Blick auf einen Korpsarzt, der einem etlanischen Mediziner bei der Entfernung eines Empyems aus der Brusthohle zusah, und dem Gesichtsausdruck des Korpsarztes war deutlich zu entnehmen, wie gerne er die dunkelgrunen Armel hochgekrempelt und die Operation selbst durchgefuhrt hatte.
Die Chirurgen waren nicht in Wei?, sondern in leuchtendes Gelb gekleidet. Einige der Operationstechniken grenzten ans Barbarische. Und der Gedanke an Isolierstationen oder abgegrenzte Pflegebereiche war den Etlanern offensichtlich nie in den Sinn gekommen — oder vielleicht doch, raumte Conway in Gedanken fairerweise ein, aber diese Idee war wahrscheinlich durch die vollig unvorstellbare Uberbelegung praktisch nicht zu verwirklichen gewesen. Bedachte man die dem Hospital zur Verfugung stehenden Moglichkeiten und die gewaltigen Schwierigkeiten, denen es gegenuberstand, dann handelte es sich hier durchaus um ein sehr gutes Krankenhaus. Conway hielt viel von dieser Einrichtung und, nach dem zu urteilen, was er bislang von den Mitarbeitern gesehen hatte, auch vom Personal.
„Das hier sind nette Leute“, druckte er es zu einem spateren Zeitpunkt ihres Krankenhausbesuchs ziemlich unangemessen aus. „Ich kann nicht verstehen, warum sie damals in dieser feindlichen Weise auf Lonvellin losgegangen sind. Irgendwie scheinen die Etlaner gar nicht der Typ dafur zu sein.“
„Aber sie haben es nun mal getan“, erwiderte Stillman grimmig. „Alle, die nicht zwei Augen, zwei Ohren, zwei Arme und zwei Beine haben, oder bei denen diese Dinge zufallig an den falschen Stellen sitzen, werden abgelehnt. Das ist eine Haltung, die den Etlanern schon in sehr jungem Alter eingetrichtert wird, praktisch mit dem Abc. Ich wunschte, wir wu?ten den Grund dafur.“
Conway schwieg. Er dachte daran, da? man ihn hergeschickt hatte, um fur diesen Planeten medizinische Hilfsma?nahmen zu organisieren, und auf keinen Fall wurde er das gro?e Ratsel losen, indem er verkleidet in einem kleinen Teil dieses Puzzles herumschlenderte. Es war an der Zeit, sich an die eigentliche Arbeit zu machen.
Als ob er schon wieder Conways Gedanken lesen konnte, sagte Stillman: „Ich glaube, wir sollten jetzt zuruckgehen. Wurden Sie lieber im Verwaltungsgebaude oder auf dem Schiff arbeiten, Doktor?“
Conway sagte sich, da? er mit Stillman einen wirklich guten Berater an seiner Seite hatte, und antwortete laut: „Im Burogebaude, bitte. Im Schiff verlaufe ich mich zu leicht.“
Und so erhielt Conway ein kleines Buro mit einem gro?en Schreibtisch, einer Gegensprechanlage, um mit Stillman in Verbindung treten zu konnen, und mit einigen weiteren, weniger lebenswichtigen Kommunikationsgeraten. Nach seinem ersten Mittagessen in der Offiziersmesse nahm er zukunftig alle Mahlzeiten mit Stillman im Buro ein. Manchmal schlief er sogar im Buro und hin und wieder uberhaupt nicht. Die Tage verstrichen, und durch das Lesen von immer mehr Berichten, fur deren unablassigen Nachschub Stillman sorgte, brannten ihm die Augen allmahlich wie hei?e, rauhe Murmeln. Er reorganisierte die medizinischen Nachforschungen, lie? einige der Korpsarzte zu Besprechungen kommen oder suchte diejenigen personlich auf, die aus den verschiedensten Grunden nicht bei ihm vorsprechen konnten.
Eine gro?e Anzahl der Berichte lagen au?erhalb seines Zustandigkeitsbereichs und waren Kopien von Untersuchungen uber rein soziologische Probleme, die Williamsons Manner durchgefuhrt hatten. Conway las sie in der unbestimmten Hoffnung, da? sie in irgendeinem Zusammenhang zu seinen eigenen Schwierigkeiten standen. Zwar war dies bei vielen auch der Fall, doch trug die Informationsflut haufig nur dazu bei, ihn noch mehr zu verwirren.
Unmengen von Blut- und Gewebeproben und alle anderen Arten von Proben wurden genommen. Sie wurden unverzuglich auf eins der drei Kurierschiffe gebracht, die das Monitorkorps Conway inzwischen zur Verfugung gestellt hatte, und schnellstens zum leitenden Diagnostiker der Pathologie im Orbit Hospital geflogen. Die Ergebnisse wurden uber SubraumfUnk an die Vespasian ubermittelt, auf Band gespeichert und lagen wenige Tage spater in Form von Tonbandspulen auf Conways Schreibtisch. Man stellte ihm auch den Hauptcomputer des Schiffs zur Verfugung, beziehungsweise den Teil, der nicht mit Ubersetzungen ausgelastet war. Und nach und nach schien sich aus der Flut zusammenhangender und unzusammenhangender Fakten wenigstens die au?erst vage Andeutung eines Schemas herauszukristallisieren. Unglucklicherweise handelte es sich um ein Schema, das fur niemanden einen Sinn ergab; am allerwenigsten fur Conway selbst. Schon naherte sich das Ende seiner funften Woche auf dem Planeten Etla, und noch immer konnte er Lonvellin nur von au?erst geringen Fortschritte berichten.
Lonvellin drangte allerdings auch gar nicht auf fa?bare Resultate. Er war ein sehr geduldiges Lebewesen, das alle Zeit der Welt besa?. Manchmal ertappte sich Conway bei der Frage, ob Schwester Murchison mit ihm wohl genausoviel Geduld haben wurde wie Lonvellin.
10. Kapitel
Conway druckte den Knopf der Gegensprechanlage, und gleich darauf kam Major Stillman mit geroteten Augen hereingestolpert und setzte sich. Seine normalerweise steife, glatte Uniform war auch jetzt nur leicht zerknittert. Die beiden gahnten sich gegenseitig an, und schlie?lich eroffnete Conway das Gesprach.
„In ein paar Tagen werde ich die genauen Angaben uber die Liefer- und Verteilungsmengen zusammenhaben, um in dieser Gegend mit der medizinischen Versorgung zu beginnen“, sagte er. „In der Liste ist jede ernsthafte Erkrankung zusammen mit Informationen uber Alter, Geschlecht und Aufenthaltsort des Patienten sowie der berechneten Medikamentenmenge aufgefuhrt worden. Aber mir ware viel leichter ums Herz, wenn wir erst einmal genaue Kenntnisse von dem ursprunglichen Zustandekommen dieser Verhaltnisse hatten, bevor ich den Startschu? gebe, die ganze Gegend mit medizinischen Vorraten zu uberschwemmen.
Ehrlich gesagt, ich mach mir Sorgen“, fuhr er fort. „Ich furchte fast, wir begehen moglicherweise den Fehler, das zerschlagene Geschirr schon zu ersetzen, bevor wir uberhaupt den Elefanten aus dem Porzellanladen gescheucht haben.“
Stillman nickte, aber Conway konnte nicht sagen, ob das Nicken Zustimmung oder Mudigkeit ausdruckte.
Warum waren auf einem Planeten, der einen ausgemachten Seuchenherd darstellte, die Sauglingssterblichkeit so gering und die wegen Komplikationen oder Infektionen wahrend der Geburt auftretenden Todesfalle so selten? Weshalb zeigte sich auf der einen Seite bei den Kindern die deutliche Tendenz, gesund zu bleiben, und auf der anderen Seite bei den Erwachsenen die spurbare Neigung, chronisch zu erkranken? Zugegebenerma?en wurde zwar ein gro?er Teil der Sauglinge blind geboren oder war durch Erbkrankheiten korperlich beeintrachtigt, doch nur relativ wenige starben bereits in jungem Alter. Vielmehr uberstanden sie ihre Mi?bildungen und Entstellungen bis ans Ende des mittleren Alters, in dem dann — statistisch gesehen — die meisten ihrer Krankheit erlagen.
Daruber hinaus bewies die Statistik, da? die Etlaner in bezug auf ihre Krankheiten einen krassen Exhibitionismus an den Tag legten, denn bei ihnen entwickelten sich im gro?en Umfang unerfreuliche Hautkrankheiten: Leiden, die zu einem allmahlichen korperlichen Verfall oder zur Deformierung der Gliedma?en und zu einigen ziemlich grauenerregenden Kombinationen aus beidem fuhrten. Ihre Nationaltracht trug nichts dazu bei, die Gebrechen zu verbergen, ganz im Gegenteil, und Conway drangte sich manchmal der Vergleich zu kleinen Jungen auf, die vor ihren Freunden so gerne mit zerschundenen Knien prahlten.
Als Stillman ihn unterbrach, bemerkte er plotzlich, da? er laut gedacht hatte.
„Das stimmt nicht, Doktor“, sagte Stillman in einem fur seine Verhaltnisse scharfen Ton. „Diese Leute sind keine Masochisten. Was auch immer hier ursprunglich einmal schiefgegangen ist, sie haben versucht, es zu bekampfen. Seit uber einem Jahrhundert haben sie sich mit nur sehr wenig Unterstutzung von au?en diesen Krankheiten widersetzt und dauernd Niederlagen einstecken mussen. Es uberrascht mich, da? sie uberhaupt noch eine Zivilisation haben. Und die kurze Tracht tragen sie in dem Glauben, frische Luft und Sonnenlicht waren fur