Fleck am Horizont verschwunden. Durch ihre Schuhsohlen hindurch spurten Sie plotzlich eine leichte Erschutterung, und kurz darauf horten sie ein Gerausch wie ein fernes Donnergrollen.
„Lonvellins Schiff“ rief Stillman.
Sie rannten sofort los.
11. Kapitel
Durch den Kommunikationsraum der Vespasian fegte ein Wirbelsturm der Betriebsamkeit, in dem der Captain das windstille und entschlossene Zentrum bildete. Als Stillman und Conway eintrafen, hatte man bereits dem Kurierschiff und allen verfugbaren Hubschraubern den Befehl erteilt, zuerst Dekontaminierungs- und Bergungsgerat zu laden, dann sofort zum Ort der Explosion weiterzufliegen und dort alle nur erdenkliche Hilfe zu leisten. Zwar bestand fur die etlanische Einheit, die Lonvellins Schiff eingekreist hatte, naturlich keine Hoffnung mehr, aber am Rand des Katastrophengebiets lagen immerhin noch einzelne Farmen und mindestens ein kleines Dorf. Die Retter wurden es wahrscheinlich nicht nur mit Strahlenopfern zu tun haben, sondern auch noch gegen die Panik ankampfen mussen; denn die Etlaner hatten bisher mit Atomexplosionen uberhaupt keine Erfahrung und wurden sich deshalb der Evakuierung ziemlich sicher widersetzen.
Als Conway drau?en auf dem Flugfeld die Explosion von Lonvellins Schiff gesehen hatte und sich der Bedeutung dieses Vorfalls bewu?t geworden war, hatte er sich direkt korperlich krank gefuhlt. Und jetzt, wo er Williamson auf dringliche, aber gelassene Weise Befehle erteilen horte, spurte er, wie ihm der kalte Schwei? uber Stirn und Rucken lief. Er leckte sich die trockenen Lippen und sagte: „Captain, ich mu? Ihnen einen wichtigen Vorschlag machen.“
Er hatte das gar nicht laut gesagt, aber irgend etwas in seiner Stimme lie? Williamson sofort herumfahren.
„Da Lonvellin verungluckt ist, tragen Sie jetzt die Verantwortung fur das Projekt, Doktor“, sagte der Captain ungeduldig. „Sie brauchen also gar nicht so zaghaft zu sein.“
„Gut, in dem Fall hab ich Befehle fur Sie“, entgegnete Conway mit derselben leisen, angespannten Stimme. „Blasen Sie die Rettungsversuche ab und beordern Sie alles zuruck zum Schiff. Und starten Sie mit der Vespasian, bevor wir selbst auch noch bombardiert werden.“
Conway spurte, wie sie ihn alle anblickten und ihm in das bleiche, schwei?uberstromte Gesicht und die furchterfullten Augen schauten, und er bemerkte auch, da? sie allesamt voreilig falsche Schlusse zogen. Williamson blickte zunachst wutend und besturzt zugleich und ein paar Sekunden lang vollkommen ratlos drein, dann nahm sein Gesicht harte Zuge an. Er wandte sich an einen Offizier, der neben ihm stand, brullte einen Befehl und fuhr dann wieder zu Conway herum.
„Doktor“, setzte er steif an, „ich hab gerade unseren sekundaren Meteoritenschild ausgefahren. Jeder feste Gegenstand mit einem Durchmesser uber zweieinhalb Zentimeter wird bereits in einer Entfernung von einhundertsechzig Kilometern in samtlichen Richtungen entdeckt und automatisch von Pressorstrahlen abgelenkt. Deshalb kann ich Ihnen versichern, da? uns selbst von einem hypothetischen Angriff mit Atomraketen keinerlei Gefahr droht. Ein nuklearer Beschu? in dieser Gegend ist sowieso eine alberne Vorstellung. Schlie?lich gibt es auf ganz Etla keine wie auch immer geartete Atomkraft. Das haben wir mit unseren Instrumenten. Aber Sie haben den Bericht ja bestimmt selbst gelesen.
Mein Vorschlag ist“, fuhr der Captain in genau demselben Ton fort, mit dem er sonst dem zweiten Navigationsoffizier eine Kurskorrektur nahelegte, „den Uberlebenden der Explosion schleunigst alle mogliche Hilfe zu schicken. Denn die Explosion ist bestimmt durch eine Panne in Lonvellins Reaktor verursacht worden.“
„Lonvellin wurde doch nie im Leben einen fehlerhaften Reaktor betreiben!“ erwiderte Conway schroff. „Gerade Lonvellin lebt doch — ubrigens genauso wie viele andere langlebige Wesen — in standiger Angst vor dem Tod, und diese Angst ist mit zunehmendem Alter sogar noch gestiegen. Schlie?lich hat er schon immer die perfektesten Leibarzte besessen, um seine an sich schon enorme Lebensspanne blo? nicht durch irgendwelche Krankheiten zu verkurzen. Und daraus folgt logischerweise, da? er sich niemals selbst in Gefahr begeben wurde, indem er ein technisch unausgereiftes oder mechanisch nicht einwandfrei funktionierendes Schiff benutzt.
Nein, Captain. Lonvellin ist umgebracht worden“, fuhr Conway grimmig fort. „Und Lonvellins Schiff haben diese Polizeisoldaten als erstes angegriffen, weil sie eine so unbeschreibliche Abneigung gegen ETs haben. Es ist naturlich schon zu wissen, da? Sie dieses Schiff hier schutzen konnen. Aber wenn wir jetzt starten, dann schie?t die Polizeitruppe vielleicht uberhaupt keine Rakete mehr ab, und dann mussen auch nicht unsere ganzen Leute da drau?en und noch viel mehr Etlaner sterben.“
Jetzt denk nicht lange nach, sondern gib endlich die notwendigen Befehle! dachte Conway entnervt. Williamson sah argerlich, besturzt und stur zugleich aus; argerlich uber anscheinend sinnlose Befehle; besturzt, weil sich Conway allem Anschein nach wie eine verschreckte alte Frau benahm; und stur, weil Williamson sich selbst und nicht Conway im Recht sah. Nun mach endlich mal hin, du unbeschreiblicher Idiot! wetterte Conway gegen ihn los, allerdings im Flusterton. Denn er konnte solche Worte naturlich nicht an einen Colonel des Monitorkorps richten, der von rangniedrigeren Offizieren umgeben war. Aber Conway konnte es auch deshalb nicht, weil sich Williamson weder jetzt noch fruher wie ein Idiot benommen hatte. Es handelte sich vielmehr um einen vernunftigen, intelligenten und au?erst fahigen Offizier, der lediglich bisher noch nicht die Chance gehabt hatte, ein richtiges Bild von den Zustanden auf Etla zu gewinnen. Williamson besa? ja auch keine medizinische Ausbildung, und im Gegensatz zu ihm unterstellte der Captain anderen nicht immer gleich das Schlimmste, vor allem aber war er nicht so mi?trauisch.
„Sie haben einen Bericht uber das Imperium fur mich“, sagte Conway also statt dessen. „Konnte ich den bitte lesen?“
Williamsons Augen huschten unruhig zu der Batterie von Bildschirmen, von denen sie umgeben waren. Alle Schirme zeigten Szenen von hektischer Betriebsamkeit: einen Hubschrauber, der startklar gemacht wurde; einen zweiten, der taumelnd mit einer vom Gewicht her offensichtlich deutlich uber das Sicherheitslimit hinausgehenden Ladung vom Boden abhob; und die Menschenflut, die mit Dekontaminierungs- und Bergungsgerat durch die Schleuse des Kurierschiffs stromte. Williamson fragte: „Sie wollen ihn doch nicht etwa jetzt lesen.?“
„Doch“, antwortete Conway. Aber dann schuttelte er schnell den Kopf, weil ihm eine bessere Idee kam: Er hatte den Captain verzweifelt zum sofortigen Start zu veranlassen versucht, und sich die Erklarungen fur spater aufgespart, sobald genugend Zeit dafur vorhanden gewesen ware. Doch jetzt war ihm klargeworden, da? er die Erklarungen zuerst geben mu?te, und zwar schnell. Deshalb sagte er: „Captain, ich hab eine Theorie, mit der ich die hiesigen Geschehnisse erklaren kann, und diese Theorie wird der Bericht uber das Imperium bestimmt bestatigen. Aber passen Sie auf: Wenn ich Ihnen sagen kann, was meiner Meinung nach im Bericht steht, bevor ich ihn gelesen hab, werden Sie dann meiner Theorie soviel Glauben schenken, da? Sie meinen Anweisungen folgen und auf der Stelle starten?“
Drau?en vor dem Schiff stiegen die beiden Hubschrauber in den Nachthimmel auf. Die Schleusentor des Kurierschiffs wurde geschlossen, und eine Ansammlung von Bodentransportern — sowohl vom Planeten Etla als auch vom Monitorkorps — zerstreute sich in Richtung Flugfeldrand. Wie Conway wu?te, befand sich jetzt mehr als die Halfte der Schiffsbesatzung der Vespasian dort drau?en, zusammen mit all den anderen zu Land stationierten Monitoren, die sich allerdings moglicherweise in Sicherheit befanden — alle anderen steuerten auf die Explosionsstelle zu, und mit jeder Sekunde vergro?erte sich der Abstand zwischen ihnen und dem Mutterschiff.
Ohne auf Williamsons Antwort zu warten, fuhr Conway deshalb schnell fort: „Meiner Auffassung nach handelt es sich um ein Imperium im wahrsten Sinne des Wortes, und nicht um einen lockeren Bund wie unsere Foderation. Das hei?t, fur den Zusammenhalt des Imperiums und die Durchsetzung der Gesetze des Imperators ist eine umfassende militarische Organisation erforderlich. Folglich mu?te es sich bei den Regierungsformen der einzelnen Planeten dem Wesen nach ebenfalls um Militarregime handeln. Die Burger sind wahrscheinlich allesamt DBDGs wie die Etlaner und wir selbst und im gro?en und ganzen vollige Durchschnittsmenschen -
naturlich bis auf ihre Antipathie gegen Extraterrestrier, und das, obwohl sie bislang kaum welche kennengelernt haben.“
Conway holte erst einmal tief Luft und fuhr dann fort: „Die Lebensbedingungen und der technologische Entwicklungsstand durften wohl ahnlich wie bei uns in der Foderation sein. Die Steuern sind moglicherweise recht