Williamson meine Erlaubnis ausrichten, nach diesem Imperium Ausschau zu halten, um uber die dort herrschenden Zustande zu berichten. Falls Williamson das Imperium jedoch finden sollte, darf er dort auf keinen Fall etwas von unserer Tatigkeit auf Etla erwahnen, bevor wir hier die Operation nicht abgeschlossen haben.“
„Ich verstehe, Sir“, antwortete Conway und brach die Verbindung ab. Er fand es ausgesprochen seltsam, da? ihm Lonvellin wegen seiner Neugier Vorhaltungen gemacht und dann im selben Atemzug die Erlaubnis zur Befriedigung dieser Neugier gegeben hatte. War Lonvellin selbst vielleicht doch mehr uber den Einflu? des Imperiums beunruhigt, als er zugeben wollte? Oder fing die gro?e Kreatur einfach mit zunehmendem Alter allmahlich an zu spinnen?
Jedenfalls setzte sich Conway umgehend mit Captain Williamson in Verbindung.
Nachdem er ihm von Lonvellins Erlaubnis berichtet hatte, rausperte sich der Captain erst ein paarmal. Und als Williamson schlie?lich antwortete, hatte seine Stimme einen ausgesprochen verlegenen Klang. „Doktor, in den letzten zwei Monaten haben wir schon eine ganze Reihe von medizinischen und Kontaktoffizieren nach dem Imperium suchen lassen“, sagte er. „Einer hatte mit der Suche auch Erfolg und uns einen Vorbericht geschickt. Dabei handelt es sich jedoch um einen medizinischen Offizier, der dem Etla-Projekt gar nicht zugeteilt war und deshalb auch nur sehr wenig von den hiesigen Vorgangen wei?. Darum ist sein Bericht moglicherweise nicht ganz so aufschlu?reich, wie Sie es vielleicht gerne hatten. Ich schicke Ihnen aber zusammen mit dem Material uber Teltrenn auf jeden Fall eine Kopie von diesem Bericht.
Lonvellin mussen Sie naturlich uber diese Neuigkeit in Kenntnis setzen“, schlo? Williamson, wobei er sich deutlich vernehmbar rausperte, „aber wann Sie das tun, kann ich selbstverstandlich nur Ihnen selbst uberlassen.“
Conway lachte plotzlich laut auf. „Da machen Sie sich mal keine Sorgen, Colonel, diese Information werde ich schon noch eine Zeitlang fur mich behalten. Doch falls man Ihnen schon vorher auf die Schliche kommen sollte, konnen Sie Lonvellin ja immer noch daraufhinweisen, da? es eben zu den Pflichten eines guten Dieners gehort, die Wunsche seines Herrn vorherzusehen.“
Er lachte auch noch weiter, nachdem sich Williamson schon langst verabschiedet hatte. Und dann setzte ganz plotzlich der Umschwung ein.
Seit er auf den Planeten Etla gekommen war, hatte Conway namlich nicht mehr viel gelacht. Aber nicht deshalb, weil er etwa den Fehler einer uberma?igen Identifikation mit seinen Patienten begangen hatte — kein halbwegs anstandiger Arzt, dem das Beste seiner Patienten am Herzen lag, wurde solch einen Frevel begehen.
Es lag vielmehr daran, da? auf Etla niemand besonders oft lachte. Auf diesem Planeten lag irgend etwas in der Luft, ein Gefuhl, da? einerseits die Zeit langsam knapp wurde und andererseits die ganze Sache sowieso vollkommen hoffnungslos war, und dieses Gefuhl schien sich mit jedem Tag zu verstarken. Es hatte ziemliche Ahnlichkeit mit der Atmosphare auf einer Station, auf der ein Patient im Sterben lag, wie Conway meinte. Mit dem Unterschied, da? die dort Beschaftigten selbst unter solchen Umstanden noch die Zeit fanden, Witze zu rei?en und sich zwischen den Krisen des Patienten wenigstens ein paar Minuten lang auszuruhen.
Langsam vermi?te er das Orbit Hospital. Er war froh, da? er in ein paar Tagen dorthin zuruckfliegen wurde, und darauf freute er sich trotz der Unzufriedenheit uber die vielen offenen und dann auch nicht mehr zu losenden Probleme. Vor allem dachte er aber allmahlich auch wieder an Schwester Murchison.
Denn die Gedanken an sie waren ihm auf Etla genauso vergangen wie das Lachen. Nur zweimal hatte er den ans Orbit Hospital geschickten etlanischen Proben Mitteilungen an Murchison beigelegt. Er wu?te, da? Thornnastor in der Pathologie schon fur die Weiterleitung der Briefe sorgen wurde, auch wenn Thornnastor ein FGLI mit nur andeutungsweise vorhandenem Interesse fur die emotionalen Verhaltnisse terrestrischer DBDGs war. Aber warum hatte ihm Murchison dann nie einen Antwortbrief geschickt? Sie gehorte eben zum zuruckhaltenden Typ. Moglicherweise hatte sie gedacht, es wurde Conway zu sehr ermutigen, wenn sie sich die Muhe machte, eine Antwort an ihn zuruckzuschmuggeln. Vielleicht war er bei ihr aber auch wegen der Episode mit dem Abschiedsku? und der anschlie?enden Flucht, die sich damals vor der Luftschleuse abgespielt hatte, vollig untendurch. Sie war eine eigenartige Frau: Sie besa? einen sehr ernsten Charakter, war mit Leib und Seele bei der Sache und hatte uberhaupt keine Zeit fur Manner.
Das erstemal war sie nur deshalb mit einer Verabredung einverstanden gewesen, weil Conway gerade eine sehr komplizierte Operation glatt uber die Buhne gebracht hatte und feiern wollte. Au?erdem hatte er kurz vorher mit ihr zusammen an einem Fall gearbeitet und dabei keinen einzigen Annaherungsversuch unternommen. Seit diesem Treffen hatte er sich regelma?ig mit ihr getroffen und sich dadurch den Neid samtlicher mannlichen DBDGs im Hospital zugezogen. Das einzige Problem dabei war nur, da? es fur ihren Neid eigentlich uberhaupt keinen Grund gab.
Conways wehmutiger Gedankengang wurde durch die Ankunft eines Monitors unterbrochen, der einen Ordner auf den Schreibtisch warf und sagte: „Das Material uber Teltrenn, Doktor. Der andere Bericht ist mit dem Vermerk „vertraulich“ direkt an Captain Williamson gerichtet und mu? deshalb erst von seinem Schreiber kopiert werden. Wir haben ihn aber in funfzehn Minuten fur Sie fertig.“
„Danke“, erwiderte Conway. Der Monitor ging wieder hinaus, und Conway fing gleich an zu lesen.
Da Etla eine Kolonie war, die nicht die Moglichkeit zu naturlichem Wachstum gehabt hatte, gab es auf dem Planeten keine nationalen Grenzen und naturlich auch nicht die dazugehorigen Streitkrafte. Dafur waren jedoch die Polizeikrafte, die fur die Einhaltung der Gesetze auf dem Planeten sorgten, genaugenommen eigentlich Soldaten des Imperiums und unterstanden dem Befehl von Teltrenn. Es war auch eine Einheit dieser Polizeisoldaten gewesen, die Lonvellins Schiff angegriffen hatte und es auch jetzt noch immer angriff. Dem Bericht zufolge sprachen zwar samtliche Anhaltspunkte zumindest auf den ersten Blick fur einen stolzen und machthungrigen Charakter Teltrenns, dem jedoch die normalerweise in solchen Charakteren vorzufindende Grausamkeit fehlte. In seinen Beziehungen zur einheimischen Bevolkerung — der Vertreter des Imperiums war namlich nicht auf Etla geboren — bewies Teltrenn Rucksicht und Fairne?. Es war aber offensichtlich, da? er dennoch auf die Einheimischen herabblickte, und zwar von ziemlich weit oben, fast so, als ob sie Angehorige einer niederen Spezies waren. Doch verachtete er sie immerhin nicht offen und war auch niemals grausam zu ihnen.
Conway knallte den Bericht auf den Tisch. Das war nur ein weiteres dummes und unbrauchbares Teil eines jetzt schon an sich unsinnigen Puzzles, und auf einmal hing ihm diese ganze alberne Geschichte zum Hals raus. Er stand auf und stapfte ins Vorzimmer, wobei er die Tur beim Aufsto?en gegen die Wand krachen lie?. Stillman zuckte leicht zusammen und blickte auf.
„Lassen Sie Ihre Schreibarbeiten einfach bis morgen liegen!“ fauchte Conway. „Heute nacht werden wir einmal schamlos in fleischlichen Lusten schwelgen — wir schlafen in unseren eigenen Kabinen.“
„Schlafen?“ fragte Stillman und grinste plotzlich. „Was ist das denn?“
„Keine Ahnung“, entgegnete Conway, „ich dachte, Sie wu?ten das vielleicht. Ich hab gehort, das soll ein neues Gefuhl von unbeschreiblichem Gluck sein und schnell zur Gewohnheit werden konnen. Na, was ist? Wollen wir mal richtig gefahrlich leben.?“
„Nach Ihnen“, erwiderte Stillman.
Die Nacht drau?en vor dem Burogebaude war angenehm kuhl. Am Horizont hingen zwar zerrissene Wolken, trotzdem schienen sich jedoch die glei?enden, kalten, dichtgedrangten Sterne uber ihren Kopfen herabzusenken. Denn dies war ein Abschnitt des Alls, der voll von Sternen war, was zusatzlich noch durch die vielen Meteoriten bestatigt wurde, die alle paar Minuten wei?e Schlieren uber den Himmel zogen. Insgesamt war es zwar ein inspirierender und zugleich beruhigender Anblick, aber Conway konnte dennoch nicht aufhoren, sich Sorgen zu machen. Er war uberzeugt, da? er irgend etwas ubersah, und seine Besorgnis war hier unter dem Sternenhimmel plotzlich noch viel gro?er, als sie es im Buro jemals gewesen war — auf einmal wollte er den Bericht uber das Imperium so bald wie moglich lesen.
Dann kreisten seine Gedanken wieder um Murchison, und er fragte Stillman: „Haben Sie manchmal auch diese Gedanken, fur die man sich im nachhinein wegen ihrer schmutzigen Phantasie furchtbar schamen sollte?“
Stillman grunzte nur und tat Conways Frage als rein rhetorisch ab. Schlie?lich setzten sie ihren Weg zum Schiff fort, doch plotzlich blieben sie abrupt stehen.
Am sudlichen Horizont schien die Sonne aufzugehen. Der Himmel hatte ein helles, kraftiges Blau angenommen, das uber Turkis in Schwarz uberging. Die unteren Rander der fernen Wolken leuchteten in Rosa und Gold. Doch bevor sie sich auch nur ansatzweise uber diesen phantastischen, fehlplazierten Sonnenaufgang freuen oder sonstwie auf ihn reagieren konnten, war diese Farbenpracht bereits hinter einem bedrohlich roten