Conway brauchte drei Minuten, um die kelgianische Schwester die zehn Meter durch den Korridor in die Schleuse zu ziehen. Als sie beide schlie?lich drinnen waren, schaltete Conway die Pumpen an, um das Wasser aus der Schleusenkammer zu saugen, und ri? gleichzeitig ein Luftventil auf. Wahrend das letzte Wasser ablief, muhte er sich damit ab, den durchna?ten, unbeweglichen Raupenkorper auf die Seite zu legen und an der einen Wand abzustutzen. Das Fell der Kelgianerin war nicht mehr silbern, sondern nur noch eine Masse aus schmutzig grauen Stacheln, und Conway konnte keinen Puls und keine Atmung feststellen. Er legte sich schnell seitlich auf den Boden und druckte das dritte und vierte Beinpaar der Kelgianerin auseinander, damit seine Schulter in den Zwischenraum pa?te. Dann stemmte er die Fu?e fest gegen die gegenuberliegende Wand und fing an, die Schulter rhythmisch gegen den Korper der Kelgianerin zu drucken. Conway wu?te, da? es bei DBLFs keinen Sinn hatte, sich auf den riesigen Korper zu setzen und mit den Handflachen darauf zu drucken, um sie kunstlich zu beatmen. Die von ihm angewandte Beatmungsmethode gab ihm recht — schon nach wenigen Sekunden tropfelte das erste Wasser aus dem Mund der Kelgianerin.
Er brach die Beatmung plotzlich ab, als er horte, wie jemand die Schleuse vom Korridor der AUGL-Abteilung aus zu offnen versuchte. Er wollte sich uber Funk mit dem Lebewesen in Verbindung zu setzen, doch entweder funktionierte sein Kopfhorer oder der des anderen Lebewesens nicht. Deshalb nahm er schnell den Helm ab und hielt den Mund gegen die Tur, formte mit den Handen einen Trichter und brullte: „Ich bin Sauerstoffatmer und hier drinnen ohne Anzug! Offnen Sie bitte nicht die Tur, sonst ertrinken wir! Kommen Sie von der anderen Seite herein.!“
Ein paar Minuten spater offnete sich die Schleusentur auf der anderen Seite, hinter der eine mit Luft gefullte Abteilung lag, und Murchison blickte auf Conway herunter. „D-Doktor Conway.“, sagte sie mit eigenartiger Stimme.
Conway stie? sich heftig mit den Beinen von der Wand ab, rammte seine Schultern mit voller Wucht in den Abschnitt des Bauchs der Kelgianerin, der den Lungen am nachsten war und fragte: „Was?“
„Ich. Sie. die Explosion“, stammelte Murchison. Nach diesem kurzen Fehlstart wurde ihr Ton jedoch fest und entschlossen, und sie fuhr fort: „Es hat eine Explosion gegeben, Doktor. Eine der DBLF-Schwestern ist verletzt. Ein Stuck der Bodenverkleidung ist auf sie geschleudert worden, und dadurch hat sie sich schwere Ri?wunden zugezogen. Wir haben sofort Gerinnungsmittel auf die Wunden getan, aber ich glaube nicht, da? die Wirkung lange anhalt. Au?erdem dringt in den Korridor, auf dem die Schwester liegt, Wasser ein; die Explosion mu? wohl ein Loch zur AUGL-Abteilung gerissen haben. Au?erdem sinkt der Luftdruck. Das Hospital mu? irgendwo eine Offnung ins All haben. Und zu guter Letzt kann man auch noch einen deutlichen Chlorgeruch wahrnehmen.“
Conway stohnte und stellte seine Bemuhungen um die Kelgianerin ein, doch bevor er etwas sagen konnte, fuhr Murchison schnell fort: „Die kelgianischen Arzte sind bereits allesamt evakuiert worden, und die einzigen zuruckgebliebenen DBLFs sind diese Kelgianerin und noch ein paar andere, die hier irgendwo in der Gegend sein mussen. Aber die gehoren alle nur dem Schwesternpersonal an.“
Da haben wir den Schlamassel, dachte Conway, als er sich aufrappelte: Verseuchung und drohende Dekompression. Die Kelgianerin mit den Ri?wunden mu?te schleunigst fortgeschafft werden — sollte der Druck zu stark abfallen, wurden die gasdichten Turen regelrecht herausgesprengt werden, und befand sich die Patientin dann gerade auf der falschen Seite der Turen, konnte das wirklich schlimme Folgen haben. Da kein qualifizierter DBLF im Hospital war, mu?te er sich umgehend ein kelgianisches Physiologieband besorgen und die Arbeit selbst erledigen. Und das bedeutete fur ihn, sich schleunigst auf den Weg zu O’Maras Buro zu machen. Doch vorher mu?te er erst noch einen Blick auf die Patientin werfen.
„Ubernehmen Sie doch bitte diese Kelgianerin, Schwester“, bat er Murchison und wies dabei auf die durchna?te Masse auf dem Boden. „Ich glaube zwar, da? sie wieder von selbst zu atmen anfangt, aber wenn Sie noch zehn Minuten weitermachen wurden.“ Er schaute zu, wie sich Murchison auf die Seite legte, wobei sie die Knie anzog und beide Fu?e gegen die gegenuberliegende Wand stemmte. Zwar war es ganz bestimmt weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort, aber durch den Anblick, den sie bot, als sie so in ihrem sundhaft engen Anzug dalag, verloren Patientinnen, Evakuierungen und Physiologiebander in Conways Augen doch einiges von ihrer Dringlichkeit — allerdings nur fur einen kurzen Augenblick. Denn der enge, wasserbeperlte Anzug brachte ihm genauso schnell wieder in Erinnerung, da? sich Murchison nur wenige Minuten vor der Explosion selbst im AUGL-Becken aufgehalten hatte, und plotzlich stellte er sich vor, da? ihr herrlicher Korper genauso wie bei den beiden bedauernswerten DBLFs hatte zerrissen werden konnen.
„Zwischen dem dritten und vierten Beinpaar, nicht zwischen dem funften und sechsten!“ fuhr Conway sie in rauhem Ton an, bevor er sich zum Gehen wandte.
Das war nun uberhaupt nicht das, was er ihr eigentlich hatte sagen wollen.
16. Kapitel
Aus irgendeinem Grund hatten sich Conways Gedanken eher mit den Auswirkungen der Explosion befa?t als mit deren Ursache. Vielleicht hatte er aber auch absichtlich nicht in diese Richtung denken wollen und sich statt dessen selbst weiszumachen versucht, da? die Explosion nicht durch einen Angriff auf das Hospital verursacht worden war, sondern irgendeine Art Unfall darstellte. Doch die unaufhorlichen Aufrufe und Mitteilungen aus den Lautsprechern erinnerten ihn an jeder Zwischenschleuse an die Wahrheit. Und auf dem Weg zu O’Maras Buro bemerkte er, da? sich alle doppelt so schnell wie sonst fortbewegten, allerdings sturmten sie in die entgegensetzte Richtung. Automatisch fragte er sich, ob diese Wesen seine eigenen Gefuhle teilten, ob sie Angst hatten, sich schutzlos fuhlten und wie er jeden Moment eine zweite Explosion erwarteten, die den Boden unter ihren dahineilenden Fu?en auseinanderrei?en konnte. Von Conway selbst schien jegliche Eile fehl am Platz, weil er, dem Verhalten der anderen nach zu urteilen, moglicherweise gerade auf den nachsten Explosionsort zulief.
Er mu?te sich direkt dazu zwingen, langsam in das Buro des Chefpsychologen zu gehen, seine Wunsche genau darzulegen und O’Mara ruhig zu fragen, was geschehen war.
„Das waren sieben Schiffe“, entgegnete O’Mara und wies Conway auf die Couch, wahrend er den Helm zur Ubertragung des Schulungsbandes in die richtige Position herunterlie?. „Anscheinend ganz kleine Dinger ohne ungewohnliche Bewaffnung oder Abwehreinrichtungen. Es war ein kurzes, aber heftiges Gefecht. Drei Schiffe konnten entkommen, aber eins der vier vernichteten hat noch nach dem Beschu? durch die Verteidigungsflotte eine Rakete auf uns abgefeuert. Das war eine kleine Rakete mit chemischem Sprengkopf.
Das ist ubrigens sehr merkwurdig“, fuhr O’Mara nachdenklich fort. „Denn wenn es ein Nuklearsprengkopf gewesen ware, dann wurde es jetzt kein Orbit Hospital mehr geben. Wir hatten die feindlichen Schiffe nicht so fruh erwartet und waren deshalb ein wenig uberrascht. Mussen Sie wirklich diese Patientin ubernehmen?“
„Wie? Ach so, ja“, antwortete Conway. „Sie wissen ja: DBLR. Fur die ist doch schon jede Schnittwunde ein Notfall. Und bis ein anderer Arzt sich die Patientin angesehen hat und wegen des Schulungsbands hierhergekommen ist, ist es vielleicht schon zu spat.“
O’Mara stohnte laut auf. Seine kraftigen, kantigen, merkwurdig sanften Handen uberpruften den Sitz des Helms und druckten Conway auf die Couch, dann sagte er: „Die haben versucht, ihren Angriff mit aller Kraft zu fuhren, es war wirklich brutal. Meiner Meinung nach war das ein klarer Beweis fur die feindseligen Gefuhle, die sie gegen uns hegen. Trotzdem haben sie blo? einen chemischen Sprengkopf eingesetzt, obwohl sie in der Lage gewesen waren, uns vollig zu vernichten. Eigenartig. Der Treffer hat allerdings auch eine gute Seite — dadurch sind namlich die Zauderer endlich zu einem Entschlu? gekommen. Jetzt werden alle, die ausharren wollen, auch wirklich hierbleiben, und diejenigen, die weg wollen, werden schleunigst abfliegen. Von Dermods Standpunkt aus ist das eine gute Sache.“
Dermod war als Flottenkommandant fur die Verteidigung des Orbit Hospitals zustandig.
„. und jetzt machen Sie Ihren Kopf von allem frei“, schlo? O’Mara griesgramig, „oder wenigstens freier als sonst.“
Aber Conway mu?te sich gar nicht anstrengen, seinen Kopf von allem frei zu machen — ein Vorgang, der die Aufnahme eines Physiologiebands im Gehirn unterstutzte —, denn O’Maras Couch war wunderbar weich und bequem. Conway war sich dessen nie richtig bewu?t gewesen, er schien direkt in der Couch zu versinken.
Ein heftiger Schlag auf die Schulter lie? ihn auffahren. O’Mara ermahnte ihn in bissigem Ton: „Schlafen Sie nicht ein! Gehen Sie ins Bett, wenn Sie mit Ihrer Patientin fertig sind. Mannon kommt in der Anmeldezentrale schon mit allem zurecht. Au?erdem zerfallt das Hospital auch ohne Sie nicht gleich zu Staub, es sei denn, wir