zugelegt.
„Fur einen ET sind wir aber interessante ETs“, merkte er nicht ohne Grund an.
„Seien Sie doch nicht so spitzfindig“, entgegnete Conway. „Wogegen ich etwas hab, ist sinnloses Heldentum.“
Mannon hob die Augenbrauen. „Aber Heldentum ist fast immer sinnlos“, erwiderte er trocken. „Au?erdem ist es au?erst ansteckend. Ich wurde sagen, in diesem Fall hat das Korps durch seine Bereitschaft zur Verteidigung des Hospitals damit angefangen. Letztendlich haben wir uns deswegen verpflichtet gefuhlt, ebenfalls zu bleiben, um uns um die Verwundeten zu kummern. Zumindest fuhlen sich ein paar von uns dazu verpflichtet, moglicherweise bilden wir uns aber auch nur ein, da? sich ein paar von uns dazu verpflichtet fuhlen.
Vernunftiger und logischer ware es jedenfalls gewesen, wenn wir uns rechtzeitig abgesetzt hatten“, fuhr Mannon fort, wobei er Conway nicht direkt ansah. „Und denjenigen, die abgeflogen waren, hatte bestimmt niemand auch nur den geringsten Vorwurf gemacht. Aber diese vernunftigen und logischen Leute glauben eben, da? ihre Kollegen oder. ehm. Freunde, vielleicht wahre Helden sind. Und weil sich diese Leute vorstellen, was ihre Freunde wohl von ihnen halten konnten, wenn sie einfach abhauen wurden, tun sie das eben nicht. Die sterben lieber, als von ihren Freunden fur Feiglinge gehalten zu werden. Also bleiben sie lieber hier.“
Conway merkte, wie ihm das Blut ins Gesicht scho?, aber er entgegnete nichts.
Plotzlich grinste Mannon und fuhr fort: „Aber das ist eigentlich auch eine Art von Heldentum. Man konnte sogar sagen, das ist ein Fall von „lieber den Tod ertragen als die Schande“. Und ehe man sich versieht, sind plotzlich alle Helden, entweder auf die eine oder auf die andere Art. Und die ETs.“ — er warf Prilicla einen verschmitzten Blick zu — „.bleiben sicherlich aus den gleichen Grunden hier. Au?erdem vermute ich, wollen sie uns beweisen, da? terrestrische DBDGs kein Monopol auf Heldentum haben.“
„Ich verstehe“, erwiderte Conway. Ihm war bewu?t, da? sein Gesicht puterrot angelaufen war. Ganz offensichtlich wu?te Mannon, da? Conway einzig und allein deshalb im Hospital geblieben war, weil Murchison, O’Mara und Mannon selbst sonst vielleicht von ihm enttauscht gewesen waren. Und Prilicla, das fur Emotionen empfangliche Lebewesen auf der anderen Seite des Tischs, konnte in ihm bestimmt wie in einem offenen Buch lesen. Conway glaubte, sich in seinem ganzen Leben noch nie schlechter gefuhlt zu haben.
„Da haben Sie ganz recht“, sagte Prilicla plotzlich, wobei er die Gabel geschickt in die Spaghetti auf dem vor ihm stehenden Teller steckte und zwei Mundwerkzeuge benutzte, um sie aufzuwickeln. „Wenn da nicht das heldenmutige Beispiel von euch DBDGs gewesen ware, dann hatte ich das zweite Schiff genommen.“
„Das zweite?“ fragte Mannon.
„Mir mangelt es eben nicht vollkommen an Heldenmut“, erwiderte Prilicla und fuchtelte dabei mit den Spaghetti herum, um seiner Behauptung Nachdruck zu verleihen.
Wahrend er dieser Nebenhandlung zuhorte, dachte Conway, da? es am ehrlichsten gewesen ware, seinen Freunden gegenuber seine Feigheit einzugestehen. Doch wie er wu?te, wurde er damit alle anderen nur in Verlegenheit bringen. Es war vollkommen klar, da? sowohl Prilicla als auch Mannon ihn als den Feigling erkannt hatten, der er war, und jeder hatte ihm auf seine eigene Art die Bedeutungslosigkeit dieser Tatsache erklart. Objektiv betrachtet, war es jetzt wirklich nicht mehr von Bedeutung, denn es waren sowieso keine Schiffe mehr da, die das Orbit Hospital verlie?en — die ausharrenden Personalangehorigen wurden also automatisch zu Helden werden, ob ihnen das nun pa?te oder nicht. Aber Conway fand es trotzdem nicht richtig, womoglich irgendwann als ein unerschrockener, selbstloser und hingebungsvoller Arzt geehrt zu werden, wo doch nichts davon auf ihn zutraf.
Bevor er irgend etwas dazu sagen konnte, wechselte Mannon abrupt das Thema. Er wollte unbedingt wissen, wo Conway und Murchison wahrend des vierten, funften und sechsten Tags der Evakuierung eigentlich gesteckt hatten, und fand es au?erst vielsagend, da? sie beide genau zur gleichen Zeit von der Bildflache verschwunden waren. Dann zahlte er einige der Vermutungen auf, die ihm zu diesem Thema einfielen, und das in den schillerndsten und uberraschendsten Farben. Bald beteiligte sich auch Prilicla an den Spekulationen, und obwohl der sexuelle Sittenkodex zweier terrestrischer DBDGs fur einen geschlechtslosen GLNO hochstens von akademischem Interesse sein konnte, meinte Conway, sich nach beiden Seiten energisch verteidigen zu mussen.
Sowohl Prilicla als auch Mannon war bekannt, da? sich Murchison und Conway zusammen mit ungefahr vierzig weiteren Angehorigen des Personals durch Aufputschspritzen beinahe sechzig Stunden lang in Topform gehalten hatten, um effektiv operieren zu konnen. Aber auch fur die Wirkung von Aufputschmitteln mu? man bezahlen, und deshalb waren Conway und seine Mitarbeiter gezwungen gewesen, es drei Tage lang ihren Patientin gleichzutun, eine horizontale Lage einzunehmen und sich in dieser Zeit von ihrem fortgeschrittenen Zustand der Erschopfung zu erholen. Ein paar der Mitarbeiter waren buchstablich stehenden Fu?es zusammengeklappt und schleunigst weggebracht worden. Sie waren derart erschopft gewesen, da? nicht nur der Kreislauf, sondern auch die unwillkurliche Herz- und Lungenmuskeltatigkeit zusammenzubrechen drohten. Man hatte sie auf besondere Stationen geschafft, wo sie an computergesteuerte Herz-Lungen-Maschinen angeschlossen und intravenos ernahrt worden waren.
Dennoch sah es wirklich etwas verdachtig aus, da? man Conway und Murchison weder zusammen noch getrennt gesehen hatte, und dann auch noch drei ganze Tage lang.
Die Alarmsirene rettete Conway gerade in dem Augenblick, als fur die „Vertreter der Anklage“ alles nach Wunsch lief. Er sprang aus seinem Sitz und sprintete zur Tur. Mannon stapfte hinter ihm her, wahrend Prilicla den beiden voranschwirrte, wobei seine nicht ganz verkummerten Flugel von einem G-Gurtel unterstutzt wurden.
Da konnen die Holle, die Sintflut oder ein interstellarer Krieg ausbrechen, dachte Conway auf dem Weg zu seiner Station mit einem innerlichen Lacheln, sobald sich die Gelegenheit ergab, jemanden schlechtzumachen oder auf den Arm zu nehmen, war Mannon mit dem neuesten Klatsch zur Stelle und darauf vorbereitet, sein Opfer vor aller Offentlichkeit lacherlich zu machen. Unter den gegenwartigen Umstanden hatte sich Conway zwar zuerst uber diese ganze Klatschsucht geargert, aber dann war ihm langsam klargeworden, Mannon wollte ihm nur begreiflich machen, da? bis jetzt noch nicht die ganze Welt untergegangen war. Und bei diesem Krankenhaus handelte es sich immer noch um das Orbit Hospital, das eben eher eine Geisteshaltung als ein Bauwerk war. Egal, was kommen mochte, dieses Krankenhaus wurde bis zum letzten Atemzug seiner hingebungsvollen und haufig auch etwas verruckten Mitarbeiter das Orbit Hospital bleiben.
Als Conway auf seiner Station ankam, hatte die Sirene, die sie standig an den Ernst der Lage erinnerte, zu heulen aufgehort.
Uber samtlichen achtundzwanzig belegten Betten hingen bereits versiegelte, jetzt aber noch schlaffe Druckzelte. Ihre unabhangigen Luftaggregate waren zum Schutz der Patienten vorm Ersticken in Betrieb, falls plotzlich in die Au?enwand der Station ein Loch zum All gerissen werden sollte. Die diensthabenden Schwestern, eine Tralthanerin, eine Nidianerin und vier Terrestrierinnen, qualten sich in ihre Anzuge hinein. Auch Conway legte sich einen Anzug an und versiegelte ihn bis auf das Visier ganz, wie es auch die Schwestern getan hatten. Er machte bei den Patienten schnell Visite, sprach der tralthanischen Oberschwester seine Anerkennung aus und betatigte dann den Schalter, der die kunstlichen Schwerkraftgitter im Boden ausschaltete.
Unregelma?igkeiten in der Energieversorgung traten namlich keineswegs selten auf, wenn die Verteidigungsschilde des Hospitals unter Beschu? lagen oder die im Hospital installierten Waffen zum Einsatz kamen. Diese Unregelma?igkeiten konnten zu Schwankungen in den kunstlichen Schwerkraftgittern zwischen einem halben und zwei Ge fuhren. Bei Patienten, die hauptsachlich Knochenbruche hatten, konnte das verheerende Folgen haben, und fur sie war es in diesem Fall besser, uberhaupt keiner Schwerkraft ausgesetzt zu sein.
Als Patienten und Mitarbeiter soweit wie moglich geschutzt waren, konnte man nichts mehr tun, au?er abzuwarten. Um seine Gedanken von den Vorgangen drau?en vor dem Hospital abzulenken, mischte sich Conway in eine Diskussion zwischen der tralthanischen Schwester und einer der rotbepelzten Nidianerinnen uber die gegenwartig am riesigen Ubersetzungscomputer vorgenommenen Anderungen ein. Die kleinen Translatoren, die samtliche Mitarbeiter des Hospitals am Korper trugen, waren namlich lediglich Gerate, die senden und empfangen konnten, also nur mobile Nebenstellen dieses gewaltigen Elektronengehirns, das die Ubersetzungen samtlicher Sprachen im Hospital durchfuhrte. Und dieser Computer arbeitete seit der Evakuierung nur noch mit einem kleinen Bruchteil seiner vollen Leistungsfahigkeit. Dermod, der Flottenkommandant, hatte angeordnet, die dadurch freien Kapazitaten fur die Berechnungen taktischer und logistischer Probleme zu nutzen. Trotz der Versicherung des Monitorkorps, die Ubersetzungsfahigkeit des Computers wurde dadurch kaum beeintrachtigt, waren die beiden Schwestern mit dieser Regelung nicht ganz einverstanden. So gaben sie zu bedenken, was geschehen konnte, falls alle gleichzeitig reden wurden.