Sprachkenntnisse verschwunden, so da? er sich auch kein freundliches Gesprach mit einem der ETs gonnen konnte, die uber den ganzen Raum verstreut sa?en. Die terrestrischen Schwestern waren allesamt von Monitoren in Beschlag genommen worden — normalerweise in einem Verhaltnis von zehn oder zwolf zu eins, was offensichtlich auf beiden Seiten die Moral hob. Conway a? schnell und verlie? die Kantine wieder, weil er das Gefuhl hatte, da? seine eigene Moral ebenfalls dringend einer Aufbesserung bedurfte.

Aus diesem Grund fragte er sich plotzlich, ob Murchison im Dienst war, frei hatte oder schlief. Sollte sie schlafen, konnte er nichts tun. Sollte sie jedoch Dienst haben, dann konnte er sie sehr schnell davon befreien, und wenn sie sowieso schon frei hatte.

Seltsamerweise bereitete ihm dieser schamlose Amtsmi?brauch fur eigene egoistische Zwecke nur au?erst geringe Gewissensbisse. In Kriegszeiten lockert sich eben die Bindung der Leute an Berufs- und Moralkodex, sagte er sich. In moralischer Hinsicht schien er jedenfalls immer mehr vor die Hunde zu gehen.

Doch er mu?te sein verbrecherisches Vorhaben gar nicht in die Tat umsetzen, denn Murchison machte gerade Feierabend, als er auf ihrer Station eintraf. In genau dem gleichen lauten und ausgelassenen Ton, den er in der Kantine noch fur kunstlich und unangebracht gehalten hatte, fragte er sie, ob sie schon eine andere Verabredung habe, schlug dann ein Treffen vor und murmelte schlie?lich irgend etwas furchtbar Banales uber immer nur Arbeit und nie Vergnugen.

„Eine andere Verabredung. Vergnugen.! Aber ich will doch nur schlafen!“ protestierte Murchison. Dann fuhr sie in einem verbindlicheren Ton fort: „Sie konnen doch nicht. Ich meine, wo sollten wir denn hingehen, und was konnten wir uberhaupt machen? Das Hospital ist doch nur noch ein einziger Trummerhaufen. Mu?te ich mich denn umziehen?“

„Der Freizeitbereich existiert noch“, entgegnete Conway. „Und Sie sehen sowieso toll aus.“

Die vorgeschriebene, enganliegende blaue Schwesterntracht bestand aus einer Hemdbluse und einer Hose, die allerdings wirklich sehr eng waren, um das An- und Ablegen des Schutzanzugs zu erleichtern. Zwar schmeichelte diese Uniform Schwester Murchison durchaus, trotzdem sah sie wirklich sehr erschopft aus. Als sie den breiten, wei?en Gurtel und die Instrumententaschen abnahm und Haube und Haarnetz absetzte, entfuhr Conway aus tiefer Kehle ein bewunderndes Knurren, das sofort in einen Hustenanfall uberging, weil sein Hals von der Erzeugung der ET-Laute immer noch empfindlich war.

Murchison lachte, schuttelte sich das Haar aus und rieb sich etwas Farbe in die Wangen. Dann fragte sie ihn strahlend: „Versprechen Sie mir, da? Sie mich nicht zu lange ausfuhren.?“

Es war schwierig, auf dem Weg zum Freizeitbereich nicht uber die Arbeit zu sprechen. Denn viele Abteilungen des Hospitals hatten Lecks durch den Beschu? und Druck verloren, weshalb die noch belegbaren Ebenen vollig uberfullt waren, und es gab auch kaum noch einen mit Luft gefullten Korridor, der nicht mit Patienten belegt war. Niemand hatte solche Verhaltnisse vorhersehen konnen, weil man nicht damit gerechnet hatte, da? der Feind lediglich in einen begrenzten Krieg mit dem Hospital treten wurde. Waren namlich Nuklearwaffen zum Einsatz gekommen, hatte es gar keine Uberfullung geben konnen — und moglicherweise auch kein Orbit Hospital mehr. Conway horte Murchison die meiste Zeit uberhaupt nicht zu, aber sie schien es gar nicht zu bemerken — vielleicht deshalb, weil sie ihm ebenfalls nicht zuhorte.

Der Freizeitbereich war ihrer Erinnerung nach in allen Einzelheiten derselbe geblieben, diese Einzelheiten selbst hatten sich jedoch im gesamten Bereich auf dramatische Weise verandert. Da der Schwerpunkt des Hospitals uber dem Freizeitbereich lag, war die — wenn auch sehr geringe — Anziehungskraft nach oben gerichtet. Daher hatten sich samtliche nicht befestigte Materialien, die sich normalerweise auf dem Boden oder in der Bucht befanden, an der Decke gesammelt und bildeten dort ein durchsichtiges, kunterbuntes Gemisch aus mit Sand durchsetztem Wasser, Luftlochern und herabhangenden riesigen Wassertropfen, durch das die uberschwemmte Sonne in einem tiefen, satten Violett schien.

„Oh, das ist aber hubsch!“ sagte Murchison. „Und irgendwie auch sehr erholsam.“

Die Beleuchtung verlieh ihrer Haut eine warmen, dunklen Teint, den Conway vollkommen unbeschreiblich, aber hinrei?end schon fand. Murchisons Lippen hatten einen weichen, ins Schwarze ubergehenden Violetton, waren leicht geoffnet und entblo?ten so die scheinbar von innen heraus leuchtenden Zahne. Ihre Augen waren gro? und geheimnisvoll und strahlten.

„Der richtige Ausdruck ist romantisch“, entgegnete Conway.

Sie katapultierten sich vorsichtig in den gewaltigen Raum hinein und auf das Restaurant zu. Unter ihnen zogen die Baumkronen vorbei, und sie trieben durch Nebelwolkchen, die aus kuhlendem Dampf bestanden, der von der warmen „Unterwassersonne“ erzeugt wurde und der ihre Arme und Gesichter mit Feuchtigkeit benetzte. Conway ergriff Murchisons Hand und hielt sie sanft fest, doch ihre Fluggeschwindigkeiten entsprachen sich nicht ganz genau, und sie begannen sich um ihren gemeinsamen Schwerpunkt zu drehen. Conway winkelte langsam den Arm an und zog Murchison zu sich heran, wodurch sich ihre gemeinsame Drehung beschleunigte. Dann schob er den anderen Arm um ihre Taille und zog sie noch naher zu sich.

Anfangs wollte Murchison protestieren, aber dann ku?te sie ihn plotzlich — es war herrlich — und schmiegte sich genauso fest an ihn wie er sich an sie, und der leere Strand, die Felsen und der violette, wasserige Himmel wirbelten wild um sie herum.

In einem kurzen Moment der Gelassenheit dachte Conway, da? sich sein Kopf so oder so gedreht hatte, selbst wenn es sein Korper nicht getan hatte — schuld war dieser einmalige Ku?. Schlie?lich flogen sie engumschlungen zur Felsenspitze auf der anderen Seite der Bucht, prallten sanft auf und stoben lachend auseinander.

Am kunstlichen Grun zogen sie sich auf das ehemalige Restaurant zu. Im Innern war es dammerig, und wahrend des langsamen Falls in Richtung Decke hatte sich unter dem transparenten Dach und auf den Unterseiten der Tischbaldachine eine Menge Wasser angesammelt. Dort hatten sich Pfutzen gebildet, die wie zerbrechliche, fremdartige Fruchte aussahen, die sich sanft krauselten, als Conway und Murchison vorbeikamen, oder in Hunderte von kleinen, silbrigen Tropfen zerplatzten, sobald sie gegen einen Tisch stie?en. Bei der niedrigen Decke und dem dammerigen Licht war es schwierig, nicht irgendwo anzusto?en, und deshalb befanden sich die beiden schon bald in einem Meer von Wassertropfen, die sich scheinbar an sie herandrangten und unzahlige winzige, verzerrte Spiegelbilder von ihnen zuruckwarfen. Conway empfand all das wie eine fremde Traumwelt — und es war ja auch wie in einem Traum, der einem alle Wunsche erfullte, daran lie? die dunkle und schone Gestalt Murchisons an seiner Seite uberhaupt keinen Zweifel.

Sie setzten sich an einen der Tische, und zwar vorsichtig, um nicht das Wasser aus dem Baldachin uber ihren Kopfen herauszuschutteln. Conway legte Murchisons Hand in seine — die beiden anderen Hande benotigten sie, um sich auf den Stuhlen festzuhalten — und sagte: „Ich mochte mit dir reden.“

Sie lachelte ihn nur an, wenn auch ein wenig skeptisch.

Conway versuchte zu sprechen. Er bemuhte sich, Dinge zu sagen, die er zuvor viele Male geprobt hatte, doch alles, was er jetzt hervorbrachte, war nur ein unzusammenhangendes Durcheinander. Sie ware schon, sagte er, und er wolle nicht nur ihr Freund sein, und es sei ziemlich dumm von ihr gewesen, im Hospital zu bleiben. Er liebe und begehre sie und hatte liebend gerne Monate damit zugebracht — wenn auch vielleicht nicht allzu viele Monate —, sie in die Ecke zu drangen, bis sie nichts anderes mehr als „ja“ hatte sagen konnen. Jetzt aber habe man keine Zeit, irgend etwas richtig zu machen. Die ganze Zeit uber habe er nur an sie gedacht, und sogar die Operation an dem TRLH hatte er nur deshalb bis zum Ende durchgehalten, weil er mit den Gedanken bei ihr gewesen sei. Und wahrend des gesamten Bombardements habe er sich daruber Sorgen gemacht, da? sie.

„Ich hab mir uber dich auch Sorgen gemacht“, unterbrach ihn Murchison sanft. „Du bist in allen Abteilungen des Hospitals gewesen, und jedesmal ist dort eine Rakete eingeschlagen. Und du hast immer genau gewu?t, was zu tun war, und. und ich hatte Angst, du wurdest dich noch selbst umbringen.“

Auf Murchisons Gesicht lag ein Schatten, die Uniform klebte feucht an ihrem Korper. Conway spurte, wie sein Mund austrocknete.

„An dem Tag mit dem TRLH bist du einfach wunderbar gewesen“, fuhr Murchison mit warmer Stimme fort. „Es war, als ob man mit einem Diagnostiker zusammenarbeiten wurde. Sieben Bander, hat O’Mara gesagt. Ich. ich hatte ihn vorher gebeten, mir eins zu geben, um dir zu helfen. Aber das hatte er abgelehnt, weil er.“ — Sie zogerte und schaute beiseite — „. weil er meinte, Frauen seien sehr wahlerisch darin, von sich Besitz ergreifen zu lassen. Ihre Gehirne seien, ich meine.“

„Wie wahlerisch denn?“ fragte Conway mit belegter Stimme. „Sind. Freunde von der Wahl ausgeschlossen?“

Wahrend er sprach, beugte er sich unwillkurlich nach vorn und lie? dabei aus Versehen den Stuhl los, an

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