„Das klingt vernunftig, Doktor“, entgegnete Conway. „Es wurde mich nicht uberraschen, wenn die Verdauungsprozesse wirklich sehr langsam vonstatten gingen.
Ich beginne mich namlich allmahlich zu fragen, ob diese Kreatur nicht mehr pflanzlicher als tierischer Natur ist. Ein Organismus dieser Gro?e aus normalem Fleisch, Blut, Knochen und Muskeln ware zu schwer, um sich uberhaupt zu bewegen. Aber dieser hier bewegt sich, wenn auch sehr langsam, wie er eben auch alles andere sehr langsam tut.“ Er brach ab, bundelte den Strahl zu maximaler Helligkeit und Reichweite und fuhr dann fort: „Sie sollten lieber an Bord kommen, damit wir uns einen Weg durch diese Zahne brennen konnen.“
„Nicht notig, Doktor“, antwortete der Melfaner. „Die Zahne sind verfault und vollig weich und sprode. Sie konnen einfach durchfahren, und wir folgen Ihnen.“
Edwards lie? das Fahrzeug auf den Boden herabsinken und bewegte es dann mit einer fur Melfaner bequemen Krabbelgeschwindigkeit vorwarts. Hunderte dieser langen verfarbten Pflanzenzahne brachen und taumelten langsam durch das trube Wasser, bis sie diese Barriere plotzlich uberwunden hatten.
„Wenn die Zahne eine spezialisierte Form pflanzlichen Lebens sind“, sagte Conway nachdenklich, „dann nehmen sie nur ein sehr scharf umrissenes Gebiet ein, was darauf hindeutet, da? jemand fur ihre Anpflanzung verantwortlich ist.“
Edwards brummte zustimmend, hielt an, um zu sehen, ob alle durch den Tunnel gekommen waren, den sie eben geschlagen hatten, und sagte dann: „Der Kanal wird wieder breiter und tiefer, und ich kann eine weitere, vermutlich spezialisierte pflanzliche Lebensform erkennen. Ganz schon gro?, nicht? Und dahinten ist noch eine. Die Dinger sind uber die ganze Gegend verteilt.“
„Das ist weit genug“, sagte Conway. „Wir wollen nicht den Weg nach drau?en aus den Augen verlieren.“
Edwards schuttelte den Kopf. „Ich kann an beiden Seiten genau solche Offnungen wie die da sehen. Wenn das hier ein Magen ist, und dafur sieht er gro? genug aus, dann hat er mehrere Zuleitungen.“
Conway wurde plotzlich bose und entgegnete: „Wir wissen doch, da? es allein in diesem toten Abschnitt Hunderte von diesen Maulern gibt; und die Anzahl der Magen ist reine Vermutungssache. Wenn uns der Radarschirm keine Lugen erzahlt hat, handelt es sich dabei um gro?e, flache, leere Hohlen mit einem Durchmesser von mehreren Kilometern. Wir haben das Problem noch nicht einmal angeknabbert!“
Edwards gab einen verstandnisvollen Laut von sich und zeigte nach vorn. „Das sieht wie Stalaktiten aus, die in der Mitte weich geworden sind. Ich hatte nichts dagegen, darauf mal einen genaueren Blick zu werfen.“
Selbst der Hudlarer stieg aus, um sich die gro?en, scharf gebogenen Saulen, die das Dach trugen, genauer anzusehen. Indem sie ihre tragbaren Analysegerate benutzten, konnten sie nachweisen, da? diese Saulen einen Teil der Muskulatur des Schichttiers darstellten und nicht, wie sie zuvor gedacht hatten, eine weitere pflanzliche Lebensform waren — obwohl die Oberflache aller Muskelstutzen in diesem Bereich von etwas bedeckt war, das Ahnlichkeit mit ubergro?en Algen hatte. Diese blasenartigen Gebilde ma?en fast einen Meter im Durchmesser und sahen aus, als wenn sie jeden Moment platzen wurden. Ein Melfaner, der dem tiefer liegenden Muskelgewebe eine Probe entnehmen wollte, beruhrte aus Versehen eine: sie platzte und loste in der Nahe ungefahr zwanzig weitere Blasen aus. Sie sonderten eine dicke milchige Flussigkeit ab, die sich schnell ausbreitete und sich im Wasser der Umgebung aufloste.
Der Melfaner gab unubersetzbare Gerausche von sich und krabbelte zuruck.
„Was ist los?“ fragte Conway in scharfem Ton. „Ist das Zeug giftig?“
„Nein, Doktor. Es hat zwar einen starken Sauregehalt, ist aber nicht unmittelbar schadlich. Wenn man ein Wasseratmer ware, wurde man sagen, sie stinkt. Aber sehen Sie sich die Auswirkung auf den Muskel an.“
Die gro?e Muskelsaule, die sowohl im Boden als auch in der Decke fest verwurzelt war, zuckte, und ihr scharfer Bogen begann, sich gerade zu machen.
„Ja“, sagte Conway lebhaft, „das erhartet unsere Theorie uber den Verdauungsvorgang der Kreatur. Aber ich glaube, wir sollten jetzt lieber zur Descartes zuruckkehren; diese Gegend scheint nicht so tot zu sein, wie wir gedacht haben.“
Spezialisierte Zahnpflanzen dienten als Filter und todliche Barriere fur Nahrung, die in den Magen der Kreatur gesogen wurde. Weitere symbiotische Pflanzen, die auf den Muskelsaulen wuchsen, sonderten ein Sekret ab, das die Muskeln steif werden und den Magen sich ausweiten lie?, und zogen gro?e Mengen nahrungsreiches Wasser herein. Vermutlich hatte das Sekret auch den Zweck, die Nahrung aufzulosen und sie fur die Aufnahme durch die Magenwand oder andere spezialisierte Pflanzen vorzuverdauen. Sie hatten jedenfalls genugend Proben entnommen, damit Thornnastor den Mechanismus der Verdauung in allen Einzelheiten herausfinden konnte. Wenn die Starke des Verdauungssekrets von der in den Magen gelangten Nahrung verdunnt worden war, verringerte sich auch die Wirkung des Sekrets auf die Muskeln und ermoglichte so den Saulen, zum Teil wieder zusammenzuklappen und unverdaute Substanzen auszusto?en.
Auch von den anderen Saulen begannen jetzt Blasen abzuplatzen. Das bedeutete nicht automatisch, da? das Tier noch lebendig war, sondern nur, da? ein toter Muskel noch immer auf den richtigen Reiz reagierte — doch das Hohlendach wurde angehoben, und automatisch stromte immer mehr Wasser herein.
„Ich bin auch ihrer Meinung, Doktor“, stimmte Edwards zu, „lassen Sie uns hier verschwinden. Aber konnten wir nicht durch ein anderes Maul raus? Vielleicht sto?en wir dadurch auf irgend etwas Neues.“ „Gut“, antwortete Conway mit dem unguten Gefuhl, er hatte nein sagen sollen. Wenn schon tote Muskeln zucken konnten, zu welchen anderen Formen unwillkurlicher Bewegungen war der gigantische Kadaver dann noch fahig? Er fugte hinzu: „Sie fahren. Ich bleibe drau?en bei den ETs, aber lassen Sie die Ladeluke und die Besatzungsschleuse offen…“
Ein paar Minuten spater hielt sich Conway an einem handlichen Vorsprung fest, wahrend das Fahrzeug den ETs in eine andere Rachenoffnung folgte. Er hoffte jedenfalls, es ware ein Maul und keine Verbindung zu irgend etwas anderem, das tiefer im Tier lag, denn Edwards berichtete, der Gang schlangele sich auf einen lebenden Kustenabschnitt zu. Noch bevor sich Conways sinkende Fu?temperatur so auf sein Sprachzentrum auswirken konnte, da? er sie alle den Weg zuruckbeorderte, den sie gekommen waren, gab es eine Unterbrechung.
„Major Edwards, halten Sie bitte das Fahrzeug an“, sagte einer der Melfaner. „Hier unten, Doktor Conway. Ich glaube, ich hab einen toten. Kollegen gefunden.“
Es war ein drambonischer SRJH, nicht mehr durchsichtig, sondern milchig und verschrumpelt und mit einer langen, quer uber seinen Korper verlaufenden Schnittwunde, der holpernd uber den Boden trieb.
„Thornnastor wird mit Ihnen zufrieden sein, mein Freund“, lobte ihn Conway begeistert. „O’Mara und Prilicla ebenfalls. Lassen Sie uns mit den restlichen Proben an Bord gehen. Ahm. ich bin zwar kein Wasseratmer, aber ist er nicht.“
„Nein“, antwortete der Melfaner auf die unausgesprochene Frage. „Ich wurde sagen, er ist noch nicht lange genug tot, um direkt absto?end zu sein.“
Der Chalder rauschte zuruck, griff mit seinen Tentakeln den toten SRJH, trug ihn zum gekuhlten Aufbewahrungsfach fur die Proben und kehrte dann an seinen Platz zuruck. Wenige Sekunden spater krachzte ein flaches, tonloses Translatorwort in ihren Empfangern.
„Gesellschaft.“
Edwards richtete samtliche Lichter nach vorn und machte so eine kampfende und sich windende Menagerie sichtbar, die praktisch den gesamten Rachen vor ihnen ausfullte. Conway erkannte zwei Arten gro?er Meeresraubtiere, die offenbar in der Lage gewesen waren, sich einen Weg durch die sproden Zahne zu schlagen, mehrere kleinere, ungefahr zehn SRJHs und ein paar Fische mit Tentakeln und gro?en Kopfen, die er noch nie gesehen hatte. Zuerst war es unmoglich zu sagen, wer mit wem kampfte oder ob die betroffenen Wesen uberhaupt selbst wu?ten, worum es ging.
Edwards lie? das Fahrzeug zu Boden sacken. „Kommen Sie wieder rein! Schnell!“
Halb auf das Fahrzeug zurennend, halb schwimmend, beneidete Conway die Melfaner so sehr um ihre Beweglichkeit unter Wasser, da? es wehtat. Er holte einen Hudlarer ein, um dessen Panzer sich die Kiefer eines gro?en Raubtiers geschlossen hatten. Genau uber ihm umhullte ein SRJH eine der neuen Lebensformen, und der drambonische Arzt farbte sich bereits rot, wahrend er seinen Patienten auf die einzige Art behandelte, die er kannte. Es ertonte ein tiefes nachhallendes Drohnen, als eines der Raubtiere auf das Fahrzeug losging und zwei der vier Lampen einschlug.
„In den Laderaum!“ schrie Edwards mit heiserer Stimme. „Wir haben keine Zeit, an Besatzungsschleusen herumzufummeln!“
„La? mich los, du Dummkopf“, sagte der Hudlarer mit dem Raubtier auf dem Rucken. „Ich bin
