Alexandra nickte. »Im Hotel hat bis zur Ankunft der Gruppe keiner mit Wilden zu tun gehabt. Er ist den Monchen naturlich machtig auf den Geist gegangen – aber plant man deshalb einen Mord? Nein, nein, wenn es eine geplante Tat war, kommen eigentlich nur die Mitarbeiter infrage.«
Tobias wiegte zweifelnd den Kopf. »Ich wei?, er hat die Geduld dieser Monche wirklich aufs Au?erste strapaziert. Trotzdem glaube ich nicht, dass es ihm gelungen sein konnte, einen von ihnen so sehr aus der Fassung zu bringen, dass er sich vergisst und ihn umbringt.«
»So richtig kann ich mir das auch nicht vorstellen«, sagte Alexandra. »Schon gar nicht, wenn ich bedenke, was Tina Wittecker uber den Verein erzahlt hat. Vielleicht hatten die von ihr erwahnten Herren und Damen intern die Nachfolge langst unter sich ausgemacht und haben nun alle zusammengearbeitet, um Bernd Wilden aus dem Weg zu schaffen. Wenn das der Fall sein sollte, haben wir vermutlich uberhaupt keine Chance, den Tater zu finden, weil sich die Mitarbeiter gegenseitig ein Alibi geben werden.«
Tobias nickte grimmig.
»Ja, und Polizeiobermeister Pallenberg habe ich auch immer noch irgendwie auf meiner Liste, weil er das Ganze zu schnell als Unfall abgetan hat.« Sie schaute nachdenklich drein. »Naturlich ist es unwahrscheinlich, dass er der Morder ist, aber mich interessiert, welchen Grund der Gute hat, so eisern wegzusehen.«
»Der Rechtsmediziner wird schon feststellen konnen, ob man Wilden vor seinem ›Sturz‹ in den Brunnen erst noch eins ubergezogen hat.«
»Das Problem ist aber, dass bis dahin einige Tage vergangen sind und es nur die Fotos gibt, die Pallenberg von der Leiche und ihrem Fundort gemacht hat«, erwiderte sie.
»Vielleicht finden wir ja au?er den roten Flecken auf den Kieselsteinen und der Blutspur am Brunnen noch etwas, das uns weiterhilft«, meinte Tobias. »Was ist noch in der Tute?«
»Das Packchen Kaugummi und die Kondome.«
»Hm, Kondome …«
»Ich wei?, was du uberlegst«, sagte Alexandra. »Mit wem wollte er wahrend seines Hotelaufenthaltes denn Sex haben? Aber Tina Wittecker hat uns zwei Kolleginnen genannt, die infrage kommen konnten.« Sie zog den Notizblock aus der Handtasche. »Wo war das denn? Ah, hier. Yasmin Tonger und Regina Drach, seine beiden Sekretarinnen.«
Tobias kratzte sich am Hinterkopf und nickte der Wirtin dankend zu, die ihnen eine Terrine Linsensuppe servierte. Sein uberraschter Blick wanderte zu Alexandra, die mit den Schultern zuckte. Sie konnte sich nicht erinnern, die Suppe bestellt zu haben. Wahrscheinlich hatte Tobias’ freche Bemerkung uber Dosensuppe an Angelikas Kochinnen-Ehre gekratzt. »Vielleicht haben die Kondome aber auch nur Alibifunktion«, sagte er. Alexandra hob fragend die Augenbrauen.
»Wenn er sie mit sich herumtragt, beweist er sich und allen anderen, die sie zu sehen bekommen, was fur ein Schwerenoter er doch ist.« Er hatte gerade den ersten Loffel zum Mund gefuhrt, als er uberrascht aufsah. »Hm, die Linsensuppe schmeckt gar nicht so schlecht!« Er wandte sich zur Theke, um der Wirtin ein Lob auszusprechen, als die Tur geoffnet wurde und ein neuer Gast das Lokal betrat.
Der Fremde war elegant gekleidet; der Schnitt seiner blonden Haare wirkte wie eine zweifelhafte Hommage an die Drei?igerjahre. Alexandra empfand auf Anhieb eine heftige Antipathie gegen den Mann.
»Das ist ein Armani-Anzug«, raunte Tobias ihr zu. »Aber kein gewohnlicher. Der Schnitt verrat: Es ist ein echter Gigliario. Gigliario hat sich diese besondere Schulterpartie als Patent schutzen lassen.«
»Wieso denn das? Die Schulterpartie erinnert mich an den Schnitt eines Sweatshirts«, sagte sie.
»Ganz genau, das ist das Markenzeichen eines Armani von Gigliario. Da hat jemand aber eine Menge Geld.« Auf Alexandras fragenden Blick fuhr Tobias fort: »Was so ein Anzug kostet, kann ich dir nicht genau sagen, weil uber die Preise nicht geredet wird. Gigliario lasst sich angeblich von einem neuen Kunden eine umfassende Bankauskunft vorlegen, au?erdem Kopien der Einkommensteuererklarungen der letzten drei Jahre. Vorher nimmt er nicht mal einen Auftrag an. Interessenten konnen von Gluck reden, wenn sie heute bestellen und in drei Jahren ihren Anzug bekommen. Einer meiner Kollegen hat mal uber Gigliario schreiben durfen, daher wei? ich uberhaupt, dass es so was Exklusives …«
»Elitares«, warf sie ein.
Tobias nickte. »… so was Elitares gibt. Angeblich bekommt man allein fur die Anzahlung anderswo einen kleinen Sportwagen. Aber das erzahlt man sich nur hinter vorgehaltener Hand.«
Alexandras Blick wanderte wieder zu dem Neuankommling. »Dann muss er sich verfahren haben. Was kann so jemand in dieser Gegend zu suchen haben? Na ja, vielleicht will er die halbe Eifel aufkaufen und bar bezahlen.«
Ehe Tobias etwas darauf erwidern konnte, wandte sich der Gast mit hochmutiger Miene an die Wirtin hinter der Theke: »Wo finde ich das Klosterhotel ›Zur inneren Einkehr‹?«
»Wer will das wissen?«, erkundigte sich Angelika ungeruhrt.
Der Mann besah sie langsam von oben bis unten. Ihm war deutlich anzusehen, was er von Angelikas enger Achtzigerjahre-Jeans und dem ausgewaschenen roten T-Shirt hielt. »Auch wenn es Sie nichts angeht: Mein Name ist Kurt Assmann. Ich bin der stellvertretende Kreisgeschaftsfuhrer des Laurentius-Hilfswerks in Kaiserslautern. Konnen Sie mir also jetzt den Weg zum Klosterhotel beschreiben oder nicht?«
»Ich kann«, sagte die Wirtin kuhl. »Aber ich will nicht. Und wissen Sie auch, warum? Mir gefallt ihre eingebildete Nase nicht.« Damit drehte sich Angelika auf dem Absatz um und rauschte in die Kuche.
Kurt Assmann sah ihr noch einen Augenblick konsterniert nach, dann verlie? er hocherhobenen Hauptes das Lokal.
»Wir sollten ihn aufhalten«, meinte Alexandra. »Wenn wir schon die Gelegenheit haben, mit ihm zu reden, dann lieber sofort, bevor ihm Wildens Mitarbeiter vielleicht irgendetwas erzahlen und er beschlie?t, mit uns besser nicht zu kooperieren.« Sie warf einen raschen Blick auf den schlafenden Kater Brown. »Komm, Tobias, es wird ja nicht lange dauern!« In Richtung Kuche rief sie: »Wir sind gleich wieder da, wir mussen nur kurz mit dem Mann reden.«
Angelikas Kopf tauchte in der Kuchentur auf. Viel Spa?!«
In diesem Moment sah der Kater auf und spitzte die Ohren. Er stellte fest, dass Alexandra nicht mehr auf dem Stuhl neben ihm sa?, sprang sofort auf und setzte ihr nach. Todesmutig druckte er sich an ihre Beine und hatte Alexandra fast zu Fall gebracht, hatte Tobias nicht geistesgegenwartig nach ihrem Arm gegriffen.
»Pass doch auf, ich tu dir sonst noch weh!« Sie setzte sich hin und streichelte dem Kater uber den Rucken. »Was ist denn in dich gefahren? Hast du gedacht, wir lassen dich hier zuruck?« Sie nahm das Tier auf den Arm, und sofort rieb der Kater seinen Kopf an ihrer Wange. »Na komm, dann begleitest du uns zu diesem netten Herrn da drau?en.«
Als sie auf den Parkplatz traten, war Kurt Assmann eben dabei, in einen silbernen Gelandewagen zu steigen.
»Herr Assmann, mein Name ist Tobias Rombach. Und das ist meine Kollegin Alexandra Berger«, begann Tobias. »Sie sind doch der Assistent von Herrn Wilden, richtig?«
Der jungere Mann schien diese Bezeichnung nicht zu mogen. »Warum interessiert Sie das?«
»Wir sind Gaste im Klosterhotel ›Zur inneren Einkehr‹«, erklarte Alexandra und bemerkte, dass sich Assmann bei ihren Worten unwillkurlich straffte. Dennoch musste er zu ihr aufsehen, denn er reichte ihr nicht einmal bis zum Kinn.
Wie typisch fur Wilden, sich einen Assistenten zu suchen, der noch ein paar Zentimeter kleiner war als er selbst!
Kurt Assmann rausperte sich und setzte eine wichtige Miene auf. »Dann wissen Sie von dem tragischen Unglucksfall?«, fragte er ernst. »Ich habe mich sofort auf den Weg gemacht, als mich Frau Tonger heute Vormittag anrief.«
»Ja, tragisch.« Alexandra nickte. »Und weil die Todesumstande nicht ganz klar sind und die Polizei offenbar anderes zu tun hat, stellen wir ein paar Untersuchungen an.«
»Sie? Wer sind Sie denn uberhaupt?«
»Mein Kollege und ich sind Journalisten. Wir haben Wildens Leiche gefunden. Leider konnten wir Ihre Kollegen noch nicht befragen, da sie gerade eine Wanderung unternehmen und …«
Assmann schuttelte unglaubig den Kopf. »Die gehen einfach wandern und amusieren sich, obwohl Herr Wilden tot ist? Wie pietatlos!«
Tobias rausperte sich. »Nun, wir konnen nicht beurteilen, wie Sie zu Herrn Wilden gestanden haben, aber