nach allem, was uns zu Ohren gekommen ist, war er bei seinen anderen Mitarbeitern nicht unbedingt sehr beliebt. Wir beide sowie einige der Monche sind auch mit ihm aneinandergeraten, weil er – mit Verlaub – sehr cholerisch auftrat.«

Der Assistent schuttelte den Kopf. »Es tut mir leid, wenn ich Ihnen da widersprechen muss, doch Herr Wilden ist ein Mann mit Weitblick. Ich wurde ihn fast als Visionar bezeichnen wollen, wenn das nicht so ein abgegriffenes Wort ware. Sehen Sie, Bernd Wilden hat immer die Gesamtheit im Blick, die sich anderen, einfachen Leuten nicht erschlie?t. Sie empfinden ihn als rucksichtslos. Doch Sie irren! Er ist … er … war … ein wundervoller Mensch.«

Alexandra hatte allmahlich das Gefuhl, eine Miniausgabe von Wilden vor sich zu haben, und verkniff sich jeden Kommentar.

»Sagen Sie«, meinte Tobias, »gibt es eigentlich jemanden, der jetzt von Wildens Tod profitiert?«

Assmann legte den Kopf schief. »Wie meinen Sie das, wenn ich fragen darf?«

»Wer erbt sein Vermogen?«

»Seine Frau, nehme ich an. Ich kenne sein Testament nicht, aber er wird seine Vermogenswerte wohl ihr und den Kindern vermacht haben.«

»Und in beruflicher Hinsicht? Wer steigt durch Wildens Tod auf der Karriereleiter nach oben?«

Assmann riss entsetzt die Augen auf, doch dann entspannten sich seine Zuge wieder, und er schien einen Moment nachzudenken. »Das ist ein interessanter Gedanke, muss ich sagen. Von dieser Seite hatte ich das noch gar nicht betrachtet. Ich … nein, warten Sie, ich muss auf jeden Fall vorausschicken, dass ich auf den ersten Blick keinen dieser Leute fur fahig halte, einen Menschen zu toten. Es sind durchweg anstandige Mitarbeiter, die zwar die eine oder andere Schwache haben, aber einen Mord? Nein, nein. Andererseits …« Er hob vielsagend die Hande. »Man schaut einem anderen Menschen immer nur vor die Stirn, nicht wahr?«

Alexandra fragte: »Konnten Sie uns ein paar Namen nennen und nach Moglichkeit auch den Grund, warum diese Leute von Wildens Tod profitieren konnten?« Sie druckte Tobias den Notizblock in die Hand, da sie mit dem Kater auf dem Arm nicht schreiben konnte. Von Assmann schien Kater Brown keine Notiz zu nehmen, jedenfalls ging sein Blick nicht ein Mal in dessen Richtung. Unwillkurlich fragte sie sich, ob das wohl etwas zu bedeuten hatte. Wusste er, dass Assmann nur ein aufgeblasener Wichtigtuer war? Ignorierte er ihn deswegen?

Der Assistent fuhr sich durchs Haar. »Wenn es darum geht, wer seinen Posten erben konnte, dann kommen Viola Dessing und Volker Kramsch infrage. Sie sind beide seit fast zwanzig Jahren im Verband, und als Bereichsleiter sind sie dem Kreisgeschaftsfuhrer unmittelbar unterstellt. Edwin Gro? ware auch ein Kandidat. Er ist zwar erst seit funf Jahren mit dabei, aber er leitet die Verwaltung, und damit hat er fast noch bessere Chancen, weil das ein Posten fur einen Verwaltungsfachmann ist. Frank Wiesmann von der Finanzabteilung konnte auch noch infrage kommen.« Er zahlte die Namen an den Fingern ab und nickte dann. »Ja, die vier.«

»Und wer hat sonst noch etwas von Wildens Tod?«, hakte Alexandra nach. »Musste vielleicht jemand um seinen Job bangen?«

Assmann lachte. »Da wei? ich fast nicht, wo ich anfangen soll. Nachdem Herr Wilden den Posten des Kreisgeschaftsfuhrers ubernommen hatte, sorgte er im Verband dafur, dass die Arbeit neu organisiert und verteilt wurde. Allein im ersten halben Jahr hat er siebzehn Verwaltungsstellen gestrichen und die Angestellten entlassen, weil sie nichts geleistet haben. Es gab drei Mitarbeiter in der Abteilung, die fur die Beschaffung von Spenden zustandig waren, und die drei haben ubers Jahr nicht einmal genug Spenden zusammenbekommen, um ihre eigenen Gehalter zu finanzieren. Die Buchhaltung wurde auf die halbe Mitarbeiterzahl reduziert. Die reine Erfassung der Belege wurde an eine Steuerberatungskanzlei vergeben, deren Gebuhrenrechnung nicht mal ein Viertel der Personalkosten ausmacht, die diese uberflussigen Mitarbeiter uns verursachen. Wenn es darum geht, wer durch Herrn Wilden seine Stelle verloren hat – und zwar zu Recht«, er zuckte mit den Schultern, »diese Leute werden sicher noch auf ihn wutend sein. Sie wollten einfach nicht einsehen, wie viel sie uns kosten. Viele von ihnen werden inzwischen sogar noch wutender sein, weil sie geklagt haben und vom Gericht die Rechtma?igkeit der Kundigung bestatigt bekamen.«

»Vielleicht wurde es ja vorerst genugen, uber die Leute zu reden, die mit ihm im Klosterhotel abgestiegen sind«, entgegnete Alexandra. »Die anderen werden wohl nicht so uber Wildens Aktivitaten auf dem Laufenden sein, um ein Attentat in der Eifel planen zu konnen.«

»Oh, ach so.« Wieder nickte Assmann. »Also, Gro?, Dessing, Kramsch und Wiesmann hatten wir bereits, dann waren da noch … Norbert Hellinger, dieser Exhippie, der jeden Tag in diesen albernen langen Hemden mit Batikmuster zur Arbeit erscheint, obwohl Herr Wilden ihn mehrfach aufgefordert hatte, seinem Beispiel zu folgen und mit Anzug und Krawatte ins Buro zu kommen. Hellinger hat bis vor Kurzem die Zivildienstleistenden betreut; jetzt kummert er sich um die Leute vom Bundesfreiwilligendienst, aber … ihn brauchen wir nicht mehr lange.«

»Wieso nicht?«

»Die Freiwilligen bedeuten viel weniger Verwaltungsaufwand; den kann eine Halbtagskraft bequem erledigen. Und wenn wir einen jungeren Bewerber einstellen, konnen wir noch zusatzliche Lohnkosten sparen. Hellinger ist so eine Art Klotz am Bein, eine Erblast, wenn man so will.« Kurt Assmann lachte uber sein Wortspiel wie uber einen guten Witz. »Seit uber drei?ig Jahren dabei, als der Verband noch eine staatliche Einrichtung war und das Personal nach Beamtentarif bezahlt wurde. Ihn zu kundigen wurde uns unverhaltnisma?ig viel Geld kosten.«

»Also warten Sie, dass er … was macht? In Rente geht?«, fragte Tobias. Seine Miene lie? erkennen, dass er sich zusammenrei?en musste, um nicht aus der Haut zu fahren. Alexandra fand auch, dass man so nicht von langjahrigen verdienten Mitarbeitern redete – und dass man sie nicht wie eine Altlast behandelte, die man schnellstmoglich loswerden wollte.

»Nein, um ehrlich zu sein, versuchen wir, ihm die Arbeit so unertraglich wie moglich zu machen, damit er hoffentlich von sich aus kundigt und wir keine Abfindung zahlen mussen.«

»So unertraglich wie moglich?«, wiederholte Alexandra und bemuhte sich um einen neutralen Tonfall. Sie brauchten Assmann. Vielleicht konnte er ihnen mit seinen Antworten weiterhelfen. Unter diesem Gesichtspunkt war es nicht moglich, ihm zu zeigen, wie sehr sie ihn verachtete. Aber vielleicht ergab sich diese Gelegenheit ja noch … »Hei?t das, er muss bei Wind und Wetter auf dem Hof arbeiten? Oder wie muss ich mir das vorstellen?«

»Das ware sicher wirkungsvoller, doch wenn er dann krankfeiert, haben wir ja auch nichts davon.« Assmann seufzte. »Nein, nein. Erst haben wir sein Buro mit einer anderen Abteilung zusammengelegt, die den ganzen Tag Publikumsverkehr hat, sodass er schon mal keine ruhige Kugel mehr schieben kann. Dann haben wir die Raume neu zugeteilt und seinen Schreibtisch in eine winzige Kammer gestellt, wahrend die Akten im Nebengebaude in den dritten Stock ausgelagert worden sind. Nun muss Hellinger fur jeden Vorgang zwei Etagen runtergehen, den Hof uberqueren und drei Etagen hochsteigen. Und dann naturlich das Ganze noch mal in umgekehrter Reihenfolge.« Wildens Assistent grinste. »Es hat ihn ziemlich murbe gemacht, aber er ist ein verdammt zaher Bursche. Ich wei? noch nicht, was wir als Nachstes versuchen.« Er zuckte unschlussig mit den Schultern. »Okay, wen haben wir noch? Anna Maximilian aus der Buchhaltung … Nein, mit der gibt es keine Probleme. Tina Wittecker vom Mahlzeitendienst ist ein anderes Thema. Sie ist vollig uneinsichtig, was notwendige Rationalisierungen angeht.«

Alexandra nickte nur und warf Tobias einen Seitenblick zu. In ihrem Fall kannten sie bereits die Version der Gegenseite, und die war Welten von Assmanns Darstellung entfernt.

»Bei ihr haben wir das Problem, dass diese Frau sich beharrlich weigert, ihr enormes, detailliertes Betriebswissen schriftlich festzuhalten. Sie hat ein exzellentes Gedachtnis, egal, ob es um die Fahrtrouten, ihre Mitarbeiterinnen oder die Kunden geht, die mit Essen beliefert werden. Sie wei? beispielsweise, vor welchem Haus die Fahrerinnen vor den Garagen parken konnen, ohne sich Arger einzuhandeln. Oder bei welchem Kunden man dreimal klingeln oder zweimal klopfen muss, weil er sonst aus Angst vor Einbrechern die Tur nicht offnet. Solange sie das alles nur in ihrem Kopf mit sich herumtragt, konnen wir sie nicht einfach durch eine andere Mitarbeiterin ersetzen. Au?erdem war sie gerissen genug, ihre Fahrerinnen dazu anzuhalten, genauso wie sie vorzugehen und sich keine Notizen zu machen. Das ist ein verschworener, hinterhaltiger Haufen, sage ich Ihnen! Auf diese Weise hat Tina Wittecker uns in der Hand, schlie?lich konnen wir nicht den Mahlzeitendienst fur zwei Wochen schlie?en, um mit komplett neuem Personal wieder an den Start zu gehen. Bis dahin sind all unsere Kunden abgesprungen und zur Konkurrenz gewechselt.«

»Dann hat sie aber nichts von Wildens Tod«, hielt Alexandra dagegen. »Das wurde sie beim nachsten Geschaftsfuhrer doch sicher genauso handhaben.«

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