Nach einer Weile, als ihre Beine nicht mehr so zitterten, stand sie auf und ging zu der kleinen Gruppe, die immer noch heftig diskutierte.

»Du kannst jetzt aufhoren, den Mann zur Schnecke zu machen, Tobias«, sagte sie und brachte zu ihrem eigenen Erstaunen ein Lacheln zustande. »Wir haben es ja uberlebt.«

Tobias’ Gesicht war vor Zorn gerotet. »Ja, aber dieser Idiot kann trotzdem nicht einfach so auf ein Grundstuck rasen, auf dem es von Schulern nur so wimmelt.«

Alexandra nickte. »Ja. Danke, dass du mich so lieb verteidigst.« Sie sah an ihm vorbei zu Frau Buchel, die den Mann noch immer mit Vorwurfen uberhaufte. »Oje. Ich glaube, wenn sie gleich in dieser Laune den Kurierdienst anruft, dann ist der Gute die langste Zeit Fahrer gewesen.«

»So, und jetzt knopfe ich mir die Lukasse vor«, erklarte Frau Buchel und marschierte auf die drei Schuler zu, die in einiger Entfernung stehen geblieben waren, um das Geschehen zu beobachten. Sie machten nicht den Eindruck, als bereuten sie ihr Handeln sonderlich. »Das wird fur die Burschen Konsequenzen haben.«

Alexandra hatte die Standpauke, die die Jungen erwartete, mit Freuden verfolgt, doch da kam der Fahrer auf sie zu. Er wirkte zerknirscht, als er ihr die Hand reichte. »Tut mir leid«, sagte er und konnte ihr dabei kaum in die Augen sehen. »Ich war so in Eile … Da habe ich einfach nur aufs Gas gedruckt.«

Alexandra nickte nur und ging dann zu Kater Brown, um ihn hochzunehmen. Als sie ihm uber den weichen Kopf streichelte, schmiegte er sich sofort an sie und begann zu schnurren. Er schien den Schrecken zum Gluck uberwunden zu haben.

Mit dem Kater auf dem Arm stieg Alexandra in ihren Wagen und wartete, bis sich Tobias zu ihnen gesellte. Erst dann entlie? sie Kater Brown aus der Umklammerung und setzte ihn Tobias auf den Scho?.

Puh, das war ja gerade noch mal gut gegangen! Kater Brown lie? sich von dem Brummen des Motors einlullen und schloss die Augen. Er war froh, von diesem schrecklichen Ort fortzukommen. Er mochte den gro?en Park mit seiner Unruhe und den vielen Menschen nicht. Und die drei Jungen, die ihn aus dem Auto geholt hatten, konnte er erst recht nicht ausstehen! Schon als sie ihn durch die Scheibe hindurch angestarrt und dabei so laut geredet und gelacht hatten, war ihm klar gewesen, dass sie nichts Gutes im Schilde fuhrten. Und dann war es ihnen irgendwie gelungen, die Tur zu offnen und ihm ein Handtuch uberzuwerfen, damit er nichts sehen konnte.

Naturlich hatte er sich mit Krallen und Zahnen zur Wehr zu setzen versucht, aber das Handtuch war zu dick gewesen, und er war von den lauten Jungen weggebracht und in einen dunklen, engen Raum gesperrt worden. Zum Gluck hatte er schnell das kleine Fenster entdeckt, aus dem er bald nach seiner Entfuhrung hatte entkommen konnen.

Und dann hatten sich die Ereignisse auch schon ubersturzt. Alexandras Rufe … und das schreckliche Motorgerausch, das immer lauter geworden war. Ein wei?es Ungetum war auf ihn zugeschossen. Obwohl er normalerweise sehr schnell laufen konnte, war er wie gelahmt gewesen und hatte das Blechmonster nur anstarren konnen. Gleich bist du mausetot, hatte er gedacht – und Alexandra auch. Doch da hatte sie ihn schon gepackt, und sie waren gemeinsam den Abhang heruntergerollt … Sie war schon ein Teufelsmadchen! Kein Zweifel, sie hatte ihm eines seiner sieben Leben gerettet …

»›Es wurde schon wieder hell‹, hat Frau Buchel gesagt«, uberlegte Tobias nach einer Weile, wahrend er Kater Brown streichelte, der seit der Abfahrt vom Schullandheim auf seinem Scho? lag und doste. »Damit scheidet der Polizist als Tater aus. Der Mord ereignete sich irgendwann nach zweiundzwanzig Uhr, und er kann sich nur im Schutz der Dunkelheit abgespielt haben, weil alles andere zu riskant gewesen ware. Wenn es hell wird, kann man vom Kloster aus den Parkplatz und die Flache rund um den Brunnen beobachten, ohne selbst gesehen zu werden.«

Alexandra nickte. »Trotzdem hatte ich es Pallenberg nicht zugetraut, dass er sich regelma?ig als Sanitater fur die Schulpartys zur Verfugung stellt. Vielleicht ist er doch nicht so faul, wie wir dachten.«

Tobias schnaubte. »Na, ich wei? nicht. Kann doch sein, dass er sich seine Arbeit nur danach aussucht, ob sie ihm Spa? macht oder nicht. Du hast ja gehort, was Frau Buchel sagte. Bisher wurde auf einer solchen Party noch nie ein Sanitater gebraucht. Also kann Pallenberg an solchen Abenden eine ruhige Kugel schieben und den Wohltater spielen. Und da von abgesehen, bekommt er von den Lehrern bestimmt das eine oder andere Bier spendiert. So war das gewiss auch gestern Abend. Und dann wurde er nach vielleicht einer Stunde Schlaf zum Kloster gerufen, um sich dort mit einem mysteriosen Todesfall zu befassen. Ihm ist gleich klar, dass ihm jede Menge Arbeit bevorsteht, wenn er von einem Totungsdelikt ausgeht. Also sagt er einfach, es war ein Unfall, und damit hat sich die Sache. Eine kurze Notiz fur die Akten, und weg mit dem Fall.«

»Oder er glaubt nach der Auseinandersetzung in Angelikas Kneipe, den Morder zu kennen, und will ihn schutzen, indem er die Ermittlungen erst gar nicht aufnimmt beziehungsweise verzogert.«

»Die verschworene Dorfgemeinschaft, die zusammenhalt?«

»Ganz genau. Und je enger dieser Zusammenhalt ist, desto besser lasst sich ein Verbrechen vertuschen.« Alexandra setzte den Blinker, bog in die Einfahrt zum Klosterhotel ein und lenkte den Wagen in eine schmale Parklucke neben Kurt Assmanns Mercedes Cabrio.

Kaum hatte sie den Schlussel im Zundschloss gedreht, hob Kater Brown den Kopf, stand auf und reckte sich auf Tobias’ Scho?. Der Blick, mit dem er ihn bedachte, schien zu sagen: Na los, offne mir die Tur! Ich bin zu Hause.

»Ich finde, er hat uns schon ganz gut im Griff«, bemerkte Tobias und lachte, als er dem Kater zusah, wie er zielstrebig in Richtung Kloster davonflitzte.

Sie folgten Kater Brown langsam. Alexandra zog ihr Handy aus der Handtasche und wahlte noch einmal Bernd Wildens Mobilfunknummer. Wieder meldete sich niemand. Alexandra seufzte frustriert. »Vielleicht gibt es ja irgendeine Moglichkeit, an Wildens Verbindungsnachweis fur die letzten zwei Tage heranzukommen«, uberlegte sie laut.

»Kein Problem«, scherzte Tobias. »Wir suchen uns einfach einen Richter, der uns eine Generalvollmacht erteilt, diese Daten abzufragen. Dann fahren wir mal eben bei allen Mobilfunkanbietern im Land vorbei – schlie?lich wissen wir ja nicht, mit welchem Wilden uberhaupt einen Vertrag abgeschlossen hat –, halten ihnen den richterlichen Wisch vor die Nase und lassen uns den Einzelverbindungsnachweis aushandigen, sobald wir den richtigen Ansprechpartner gefunden haben.« Er schaute demonstrativ auf die Uhr. »Hm, wenn wir uns beeilen, sind wir vielleicht bis Montag wieder zuruck.«

»Blodmann!« Alexandra schuttelte den Kopf. »Ich habe gerade an etwas ganz anderes gedacht. Euer Magazin stellt doch von Zeit zu Zeit Technikneuheiten vor, und ich wei?, dass ihr erst vor Kurzem ein Sonderheft zum Thema ›Computer‹ herausgebracht habt. Vielleicht hat da ja irgendjemand auch was uber Telekommunikation geschrieben. Wenn dem so ist, kannst du den Kollegen moglicherweise um Hilfe bitten und ihn fragen, ob er irgendwie herausfinden kann, mit wem Wilden zuletzt telefoniert hat.«

Tobias sah sie verdutzt an. »Stimmt, daran hatte ich jetzt gar nicht gedacht … Ich werde gleich mal nachhoren, wer dafur der beste Ansprechpartner ist.« Er gab ihr zu verstehen, schon einmal vorauszugehen, wahrend er die Nummer seiner Redaktion wahlte.

Alexandra kraulte Kater Brown, der sich inzwischen auf dem Brunnenrand zusammengerollt hatte, hinter den Ohren und betrat dann das Foyer. Bruder Hartmut stand hinter dem Tresen und telefonierte, nickte ihr jedoch freundlich zu.

»Ja, bis zum Vierzehnten … sieben Personen … ist notiert … Ja … die Bestatigung geht am Montag per Brief an Sie raus … Vielen Dank … Ihnen auch … Auf Wiederhoren.« Er legte den Horer zur Seite und wandte sich Alexandra zu.

»Konnen Sie mir sagen, wo sich Bruder Johannes im Augenblick aufhalt?«

»Ich rufe ihn sofort an«, versprach er ihr und griff wieder zum Horer.

Wahrend er darauf wartete, dass Bruder Johannes sich meldete, trat Tobias zu ihnen. Alexandra warf ihm einen fragenden Blick zu, doch er zuckte mit den Schultern.

»Heute ist die Redaktion nur mit ein paar Leuten besetzt, aber Susi versucht, den Redakteur und die Autoren zu erreichen«, berichtete er leise. »Sie wei?, dass die Sache eilt, doch wir haben Wochenende, und ich habe keine Ahnung, wie schnell die Autoren reagieren werden.« Er grinste schief. »Ich habe vorsichtshalber ausrichten lassen, dass es sich um eine sehr knifflige Sache handelt. Das ist fur die Jungs genau der richtige Ansporn. Die sind ganz hei? auf alles, was nach Herausforderung klingt.«

»Entschuldigen Sie, Frau Berger«, meldete sich Bruder Hartmut zu Wort. »Bruder Johannes wird in einer Viertelstunde in seinem Zimmer auf Sie warten.«

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