»Ah, da sind Sie ja!«, rief Assmann in diesem Moment und eilte mit einem arroganten Lacheln auf sie zu. »Ich habe alles vorbereitet. Sie konnen gleich mit den Verhoren anfangen.«
»Den Verhoren?«, wiederholte Tobias verwundert.
»Ja.« Assmann schaute mit wichtiger Miene von einem zum anderen. »Sie wollten doch die Mitarbeiter befragen, oder habe ich das falsch verstanden?«
»Grundsatzlich ist das richtig«, erklarte Alexandra geduldig. »Aber wir hatten eine Unterhaltung im Sinn, bei der die Leute sich wohlfuhlen und nicht den Eindruck bekommen, sie mussten jedes Wort auf die Goldwaage legen, weil es vielleicht gegen sie verwendet werden konnte.«
Assmann zuckte ratlos mit den Schultern. »Aber genau das wird doch anschlie?end geschehen, wenn Sie den Schuldigen gefunden haben.«
»Das ist richtig. Trotzdem mochten wir uns zwanglos mit den Mitarbeitern unterhalten. Immerhin sind wir nicht von der Polizei. Wenn die Leute nicht mit uns reden wollen, mussen sie das auch nicht.«
»Sie werden Ihre Fragen beantworten, davon konnen Sie ausgehen«, versicherte Assmann ihr.
Bestimmt hat er ihnen mit einer Abmahnung gedroht, dachte Alexandra argerlich. Bernd Wilden hatte in Kurt Assmann wirklich einen wurdigen Assistenten gefunden!
Tobias wechselte einen kurzen Blick mit ihr. »Wir wollten sowieso mit den Leuten reden. Also konnen wir es auch jetzt gleich hinter uns bringen.«
»Ja, einverstanden.« Sie wandte sich an Bruder Hartmut: »Richten Sie Bruder Johannes doch bitte aus, dass er sich noch Zeit lassen kann. Wir reden zuerst mit Wildens Angestellten, danach kommen wir zu ihm.«
Der Monch lachelte sie beruhigend an. »Er wird dafur Verstandnis haben, dass Sie erst die Gelegenheit nutzen mochten, Herrn Wildens Mitarbeiter zu befragen. Schlie?lich ist es in unser aller Interesse, Licht in diese Angelegenheit zu bringen.«
Assmann nickte zufrieden, und Alexandra argerte sich im Stillen noch mehr. Sie hatte lieber zuvor gewusst, was die Bewegungsprofile ergeben hatten, die Bruder Andreas auf den Computer hatte ubertragen wollen. Dann hatte sie die Moglichkeit gehabt, die Leute gegebenenfalls sofort mit einer falschen Aussage zu konfrontieren. Na gut, uberlegte sie grimmig. Der Punkt geht an Assmann, aber das wird auch der einzige Punkt bleiben, den er fur sich verbuchen kann.
Zu dritt begaben sie sich ins Refektorium, einen weitlaufigen, L-formigen Saal mit hoher, kuppelartiger Decke, an der mehrere schlichte Kronleuchter hingen.
Zwei Tischreihen mit Holzbanken zu beiden Seiten erstreckten sich uber die ganze Lange des Raumes. In Abstanden waren diese Reihen unterbrochen, damit man vom au?eren in den inneren Bereich des Saals gelangen konnte, ohne erst um die gesamte Tafel herumgehen zu mussen. Die zehn Mitarbeiter, die zusammen mit Wilden fur das Wochenende hergekommen waren, sa?en wie die Huhner auf der Stange auf der inneren Bank und schauten nervos hin und her. Assmann hatte ihnen offenbar massiv zugesetzt.
»Wir haben bereits alles vorbereitet«, erklarte Wildens Assistent. Dabei zeigte er auf einen Tisch im linken Teil des Saals, der durch eine mobile Stellwand vom Rest des Raumes abgetrennt worden war. Auf diesem Tisch standen zwei Schreibtischlampen, die so ausgerichtet waren, dass sie eine Tischhalfte und den Stuhl auf dieser Seite in grelles Licht tauchten. Alexandra drangte sich unwillkurlich der Verdacht auf, dass Assmann die ursprunglichen Gluhbirnen durch viel starkere hatte ersetzen lassen.
Dieses Arrangement erinnerte, passend zu Assmanns Wortwahl, an ein Verhorzimmer in einem Kellerraum oder einer alten, langst nicht mehr genutzten Fabrikhalle. Obwohl diese Szene in ihrer Klischeehaftigkeit beinah lacherlich wirkte, verursachte sie Alexandra eine Gansehaut.
Sie hatte Assmann schon bei ihrer ersten Begegnung unsympathisch gefunden, doch je langer er sich in ihrer Nahe aufhielt, desto gro?er wurde ihre Abneigung gegen diesen Mann, der so wirkte, als ware er in einer anderen Zeit geboren worden.
»Aha«, sagte sie nur, stie? Tobias, den der Anblick gleicherma?en irritiert hatte, leicht an und wandte sich nach rechts. Sie nickte den wartenden Mitarbeitern freundlich zu. Manche von ihnen wirkten trotzig, andere wiederum angstlich oder unsicher.
Alexandra blieb stehen, stellte sich und Tobias vor und begru?te die Anwesenden. Dass sie Tina Wittecker bereits kannte, lie? sie absichtlich unerwahnt.
»Frau Drach, kommen Sie«, sagte Assmann dann in einem sehr bestimmenden Tonfall, der die Frau zusammenzucken lie?. Schnell stand sie auf und ging zu ihm. »Sie setzen sich schon mal dahinten an den Tisch und …«
»Nein, nein, bitte entschuldigen Sie, Frau Drach!« Alexandra fuhr zu Kurt Assmann herum. »Was soll das werden? Bitte lassen Sie uns die Befragung auf unsere Art und Weise und in der von uns gewunschten Reihenfolge durchfuhren! Ich halte namlich nichts von solchen … Stasimethoden.« Sie wies mit dem Kopf zu der von Assmann arrangierten »Sitzgruppe«. »Wir werden uns mit unseren Gesprachspartnern nach dahinten an den letzten Tisch zuruckziehen. Dort konnen wir in Ruhe reden. Ohne grelle Lampen, ohne Stellwande, okay?«
Assmann, dem die Zornesrote ins Gesicht gestiegen war, stemmte die Arme in die Seiten. »Frau Berger, das finde ich unerhort! Ich habe alles vorbereitet, um ein geeignetes Ambiente zu scha …« Weiter kam er nicht, da die Kollegen in Erheiterung ausbrachen, als Kater Brown in aller Seelenruhe zu ihm geschlendert kam, kurz an seinen Hosenbeinen schnuffelte und dann zweimal hintereinander lautstark nieste.
Als wollte er die offentliche Demutigung dieses Mannes noch unterstreichen, trottete er dann weiter und sprang auf den Tisch, auf den die Lampen gerichtet waren. In der Warme der starken Gluhbirnen lie? er sich nieder und blickte sich hoheitsvoll zu Assmann um.
Alexandra hatte bei diesem Anblick fast laut aufgelacht. Deutlicher hatte Kater Brown wohl kaum zum Ausdruck bringen konnen, was er von diesem Mann hielt. Um Kurt Assmann jedoch nicht gegen das Tier aufzubringen, bemuhte sie sich, ernst zu bleiben.
Kopfschuttelnd sah Assmann zu, wie sie die Sekretarin bat, wieder Platz zu nehmen, und stattdessen Norbert Hellinger zu sich an einen der hinteren Tische rief.
Missmutig gesellte er sich zu ihnen und nahm ebenfalls Platz.
»Entschuldigen Sie, Herr Assmann«, sagte Tobias. »Wir mochten gern allein mit den Leuten reden.«
»Tut mir leid, aber das geht nun wirklich zu weit«, ereiferte sich Kurt Assmann. »Schlie?lich mochte ich wissen, was hier gesprochen wird. Sie setzen sich einfach uber meine Arrangements hinweg, leiten selbst die Befragungen der Verdachtigen und …«
»Der Verdachtigen?«, fiel Norbert Hellinger ihm emport ins Wort. »Wer hat Sie denn zum Kommissar ernannt, dem es zusteht, uns zu verdachtigen, Herr Assmann? Und was hei?t, Sie wollen zuhoren, was hier gesprochen wird? Wenn ich mit den beiden Journalisten rede, ist das ganz allein meine Sache, und wenn mir ihre Fragen nicht gefallen, werde ich sowieso kein Wort mehr sagen. Und eines vorweg …« Er schenkte Assmann ein spottisches Lacheln. »Ich werde ohnehin nichts von mir geben, was Sie fur eine Abmahnung missbrauchen konnten. Sie halten sich fur unglaublich schlau, doch in Wahrheit sind Sie nur ein kleiner dummer Junge, der seinem zweifelhaften Vorbild nachzueifern versucht. So und nicht anders sieht’s aus!«
»Wir leben in einem freien Land«, konterte Assmann und rettete sich damit in eine Plattitude der ubelsten Art. Er lehnte sich auf der Bank zuruck und verschrankte trotzig die Arme vor der Brust. »Und von Ihnen …«, er bedachte Hellmann mit einem hochnasigen Blick, »lasse ich mir schon gar nicht vorschreiben, wo ich mich hinsetzen darf und wo nicht.«
Nun platzte Alexandra der Kragen. »Wissen Sie, Herr Assmann, wenn Sie so engagiert sind, sollten wir vielleicht kurzerhand die Reihenfolge andern und Sie vorziehen.«
»Mich vorziehen?« Er sah verstandnislos zwischen Tobias und ihr hin und her. »Was soll das hei?en?«
»Wir befragen Sie zuerst. So erhalten Sie die Moglichkeit, Ihren Kollegen mit gutem Beispiel voranzugehen«, erklarte Tobias, um dessen Mundwinkel es belustigt zuckte.
»Warum … warum sollte ich Ihre Fragen beantworten?«
Alexandra lachelte ihn gespielt harmlos an. »Ja, wissen Sie denn nicht, dass Sie auf unserer Liste der Verdachtigen ganz oben stehen?«
Assmanns Gesicht war inzwischen puterrot angelaufen, und er sprang entrustet auf und ging davon. »Fangen Sie jetzt schon wieder mit diesen unsinnigen Unterstellungen an? Das muss ich mir nicht bieten lassen!« Sie tauschte einen raschen Blick mit Tobias und wandte sich an Norbert Hellinger, der sie anlachelte. »Sie machen so einen zufriedenen Eindruck«, stellte sie fest. »Wie kommt das?«
»Den mache ich immer, wenn dieser Schnosel eins auf den Deckel bekommt. Leider ist das viel zu selten