deshalb schlage ich vor, dass ich Ihnen zuerst einmal zeige, wann Herr Wilden wo im Haus beobachtet wurde. Ich kann jederzeit anhalten und Ihnen die Angabe einblenden, welche Person ihn jeweils bemerkt hat.«
Der Punkt, der Wilden darstellte, wanderte vom Foyer durch die Gange zu den Gastequartieren. Dort hatte man Bernd Wilden gesehen, wie er sich in sein Zimmer zuruckzog. Dann machte die Uhr einen Sprung von gut einer halben Stunde, und der Punkt geriet wieder in Bewegung. Er ging den Weg zuruck, den er gekommen war, verlie? das Gebaude und blinkte ein letztes Mal ein Stuck vom Brunnen entfernt. Der Richtung nach zu urteilen, musste er auf dem Weg zum Parkplatz sein.
Alexandra stand auf und stellte sich vor den Fernseher. »Da wurde Wilden also zum letzten Mal gesehen, richtig?«
Bruder Andreas nickte.
»Um 21.50 Uhr«, sagte sie mehr zu sich selbst. »Und von wem?«
»Von Bruder Jonas.«
Sie griff nach dem Notizblock und schrieb etwas auf. »Mit ihm mussen wir noch reden, Tobias«, erklarte sie, dann bat sie Bruder Andreas, ihr zu zeigen, wo im Haus sich die anderen Personen zu diesem Zeitpunkt aufhielten. »Hm«, machte sie, als Dutzende Lichtpunkte aufleuchteten und neben jedem der dazugehorige Name angezeigt wurde. »Wenn alle Angaben der Wahrheit entsprechen, dann war um zehn vor zehn nur Bruder Jonas noch drau?en. Die anderen, Gaste wie Monche, befanden sich im Kloster, und zwar … jeder in seinem Zimmer, wenn ich mich nicht irre.«
»Ja, das ist richtig«, bestatigte Bruder Johannes. »Bruder Jonas hatte am Freitagabend die Aufgabe, kurz vor dem Zubettgehen noch eine Runde um das Kloster zu drehen und sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist und alle Turen verschlossen sind. Er hat dann nach der Ruckkehr ins Kloster die Eingangstur hinter sich abgeschlossen.« Der Monch kam zu ihr und zeigte auf den Lichtpunkt, der den fraglichen Mann darstellte. »Bruder Andreas, kannst du funf Minuten vorgehen?«
»Schon erledigt.« Der Lichtpunkt befand sich nun innerhalb des Grundrisses, und nach weiteren funf Minuten hatte er sich in eines der Quartiere fur die Monche weiterbewegt. Die Uhr schlug auf 22.00 Uhr um, von da an verharrten alle Punkte regungslos.
»Wenn Bruder Jonas die Tur zum Foyer abschlie?en sollte, muss er Wilden darauf hingewiesen haben, dass er nicht mehr ins Haus hereinkommt, wenn er tatsachlich zum Parkplatz weitergeht«, sagte Tobias und sah zu Bruder Johannes. »Konnen Sie Bruder Jonas gleich herbitten? Wir mussen wissen, woruber die beiden geredet haben.«
»Ich erledige das schon«, warf Bruder Andreas ein und griff nach dem Telefonhorer.
Wahrenddessen ging Alexandra die Namensliste der Monche und die der Gaste durch und versah jeden Namen mit einem Hakchen, der den farbigen Punkten zugeordnet war. »Es sind alle vollzahlig«, stellte sie schlie?lich fest. »Und jeder befindet sich in seinem Quartier … sofern alle die Wahrheit gesagt haben. Also gut …«
Kurz darauf klopfte es, die Tur wurde geoffnet, und Bruder Jonas trat ein. Wieder fielen Alexandra die tief liegenden Augen des jungen Monchs auf.
»Wir haben festgestellt, dass Sie am Freitagabend Herrn Wilden offenbar als Letzter lebend gesehen haben«, begann sie. Wie ungeschickt von mir, dachte sie, als sie das Erschrecken sah, das sich auf Bruder Jonas’ Gesicht abzeichnete.
»Aber ich habe nicht …«, sagte er hilflos und sah sich erschrocken nach Bruder Johannes um.
»Nein, nein, Bruder Jonas, wir verdachtigen dich nicht, dass du Herrn Wilden etwas angetan haben konntest«, beruhigte ihn der altere Monch sofort. »Frau Berger und Herr Rombach wollten nur wissen, ob Herr Wilden noch etwas gesagt hat.«
»Oh.« Bruder Jonas atmete erleichtert auf. »Ich … hatte eben meine Runde um das Kloster beendet, als mir Herr Wilden entgegenkam. Ich sagte ihm, dass ich in ein paar Minuten abschlie?en wurde, doch er winkte ab und erwiderte, ich musse nicht auf ihn warten. Er habe am nachsten Morgen irgendwo einen Termin und wolle lieber noch am Abend hinfahren und die Nacht dort in einem Hotel verbringen. Ich habe mich daraufhin noch einmal vergewissert, um ein Missverstandnis auch ganz sicher auszuschlie?en, und Herr Wilden hat dann bekraftigt, er musse nicht zuruck ins Kloster, ich konne ruhig abschlie?en. Er hatte vor, erst am Samstag zuruckzukommen, vermutlich nicht vor Mittag, sagte er noch.«
»Und dann ist er direkt zum Parkplatz gegangen?«, hakte Tobias nach.
»Ja.« Der junge Monch nickte. »Jedenfalls ging er in diese Richtung weg. Ich habe mich ins Haus zuruckgezogen und hinter mir abgeschlossen. Daher wei? ich nicht, wohin er tatsachlich gegangen ist.«
»Und Sie haben auch niemanden sonst gesehen, der sich zu diesem Zeitpunkt vor dem Gebaude aufgehalten hat?«, wollte Alexandra wissen.
»Nein, ganz sicher nicht. Die anderen Gaste mussen sich alle im Kloster befunden haben. Wie meine Mitbruder.«
»Ich dachte da eher an einen Fremden. An jemanden, der auf dem Parkplatz auf Wilden gewartet hat«, erlauterte sie. »Es konnte ja sein, dass Herr Wilden abgeholt werden sollte.«
Bruder Jonas schuttelte den Kopf. »Nein, da war niemand. Der Kontrollgang um das Kloster und die Kapelle schlie?t auch die Nebengebaude und den Parkplatz mit ein, und dort standen auch nur Ihre Wagen«, er deutete mit einer Kopfbewegung auf Alexandra und Tobias, »au?erdem die von Wildens Mitarbeitern, sein Porsche und unser Transporter.« Er hob kurz die Schultern. »Hatte dort ein anderer Wagen gestanden, dann ware mir das sicher aufgefallen, und ich hatte den Fahrer auf jeden Fall angesprochen. Immerhin gehort der Parkplatz zum Grundstuck des Klosters, und wenn sich dort ein Fremder aufhalt, frage ich ihn naturlich, was er da zu so spater Stunde zu suchen hat.«
»Es kann aber sein, dass noch ein Wagen auf den Parkplatz gefahren ist, als Wilden auf dem Weg dorthin war?«
Er hob die Schultern. »Tja, Frau Berger, wie gesagt, solange ich noch vorn im Foyer war, habe ich nichts in der Art beobachtet. Ware in der Zeit ein Wagen zum Kloster gekommen, hatte ich das Motorgerausch eigentlich horen mussen.«
»Gut«, sagte Alexandra nachdenklich. »Und sonst ist Ihnen nichts Ungewohnliches aufgefallen?«
»Nein … au?er … Herr Wilden war recht guter Laune, jedenfalls fur seine Verhaltnisse. Sehen Sie, als er mir entgegenkam, da wusste ich ja, ich muss ihm sagen, dass ich in ein paar Minuten die Eingangstur abschlie?en wurde. Um ehrlich zu sein, befurchtete ich einen Wutausbruch … Ich rechnete fest damit, dass Wilden von mir verlangen wurde, bis zu seiner Ruckkehr an der Tur auf ihn zu warten.«
»Und stattdessen?«
»Stattdessen sagte er zu mir: ›Ja, ja, machen Sie ruhig Ihre Arbeit.‹ Er erzahlte mir von seinen Planen, noch an diesem Abend wegzufahren, und machte einen frohlichen … ja au?erst zufriedenen Eindruck. So als hatte er irgendetwas erreicht, was ihm wichtig war.«
Alexandra sah zu Tobias hinuber, der ihr zunickte. »Bruder Jonas, das war’s fur den Moment, vielen Dank«, sagte sie, und der junge Monch verlie? nach kurzem Gru? das Zimmer. »Bruder Andreas, konnen Sie die Informationen so filtern, dass wir uns ein Bild davon machen konnen, in welcher zeitlichen Abfolge Wilden vor dem Verlassen des Klosters wo gesehen wurde und wo sich jeweils die Person aufgehalten hat, von der er beobachtet wurde?«
»Einen Moment bitte.« Der Monch tippte kurz auf seiner Tastatur herum und deutete dann mit einer Kopfbewegung auf den Bildschirm.
Alexandra ging einen Schritt zuruck und betrachtete die Anzeige. »Hm«, machte sie. »Es sieht ganz so aus, als hatte Wilden funf Minuten vor dieser kurzen Unterhaltung mit Bruder Jonas sein Zimmer verlassen und ware dann zielstrebig in Richtung Parkplatz gegangen. Er wurde von allen nur aus der Ferne gesehen. Doch wieso war er wohl so gut gelaunt, als er das Kloster verlie??«
»Vielleicht hat ihn jemand angerufen und ihm etwas Erfreuliches mitgeteilt«, meinte Tobias. »Moglicherweise war ihm ja ein neuer Posten angeboten worden, der fur ihn mehr Einfluss, mehr Macht uber andere und naturlich auch mehr Geld bedeutete.«
»Was wir nicht herausfinden konnen, solange wir sein Handy nicht haben. Sollten wir Kurt Assmann fragen, ob er sich vorstellen kann, wieso sein Chef so zufrieden wirkte?« Alexandra sah auf die Uhr. »Viertel nach neun«, murmelte sie, dann fragte sie Bruder Johannes: »Welches Zimmer hat Herr Assmann?«
Der Monch drehte sich zu Bruder Andreas um und wollte die Frage eben weitergeben, da antwortete der