Sie nickte und legte den Kater in seinem Deckenbett vorsichtig auf die Ruckbank. Dabei fiel ihr Tobias’ schwarze Laptop-Tasche hinter dem Fahrersitz auf. »Du hast doch einen Mobilfunk-Stick?«

»Ja klar«, konnte er noch antworten, dann war sie auch schon eingestiegen. Als er kurz darauf den Motor startete, war Alexandra bereits damit beschaftigt, den Computer hochzufahren.

»Passwort?«, fragte sie ungeduldig.

»Skywalker.«

Sie tippte es ein, dann offnete sie den Browser. »Bitte beeil dich, Tobias!«, forderte sie ihn auf, als er den Wagen zur Parkplatzausfahrt lenkte.

»Nach der Zeichnung zu urteilen mussen wir am Schullandheim vorbei, um nach Neuerburg zu kommen«, sagte Tobias. Nachdem er auf die Landstra?e eingebogen war, gab er Gas.

»Wir fahren nicht nach Neuerburg«, antwortete Alexandra und tippte hastig auf der Tastatur herum.

Mit fliegenden Fingern zog sie ihr Handy hervor, wahlte eine Nummer und wartete. »Ist da die Praxis Paressi? Ja, ich habe hier einen Kater, der vermutlich vergiftet wurde … Nein, bewusstlos … Ja, wir sind in Lengenich … Nein, nach Neuerburg ist es zu weit, finde ich … Ja, gut, vielen Dank … In zwanzig Minuten, wurde ich sagen … Ja, bis gleich.«

Als sie das Gesprach beendet hatte, sah sie im Lichtschein, den der Monitor des Laptops verbreitete, dass Tobias den Kopf schuttelte.

»Wieso fahren wir nicht zu Doktor Erzbauer nach Neuerburg?«

»Wir fahren nach Echternacherbruck«, erklarte Alexandra. »Das ist ein wenig naher als Neuerburg. Trotzdem: Beeil dich!«, bat sie und vergro?erte auf dem Laptop die Karte mit der Fahrtroute.

»Ich wurde meinen Fuhrerschein zwar noch gern eine Weile behalten …«

Alexandra schien ihn gar nicht gehort zu haben. Sie schaute konzentriert an der Kopfstutze vorbei durch die Windschutzscheibe in die Dunkelheit. »Da vorne links, der Hauptstra?e nach.«

Baume und Busche zuckten im Scheinwerferlicht voruber, wahrend Alexandra sich nervos auf die Unterlippe biss und immer wieder einen besorgten Blick auf den bewusstlosen Kater Brown warf. Alexandras Herz klopfte zum Zerspringen! Hoffentlich erreichten sie die Tierarztpraxis noch rechtzeitig!

»Da ist es!«, sagte Alexandra erleichtert, als sie um zwei Minuten nach elf mit quietschenden Reifen in der Einfahrt zu einem Einfamilienhaus am Ufer der Sauer zum Stehen kamen. In weiser Voraussicht hatte die Arztin die Leuchtreklame eingeschaltet, die auf die Tierarztpraxis hinwies.

Kaum hatte Tobias den Wagen geparkt, sprang er auch schon hinaus und offnete die Tur, um Alexandra, die den Kater aufgenommen hatte, beim Aussteigen zu helfen.

»Denk an das Fleisch!«, rief sie ihm zu und eilte uber den Rasen zu einer Treppe, die in die im Souterrain gelegene Praxis fuhrte.

Als Tobias ins Sprechzimmer kam, hatte Alexandra der Arztin bereits alles erklart, was sie uber den Zustand des Katers wusste. Kater Brown lag auf einem Behandlungstisch aus glanzendem Edelstahl, der zum Teil von einer Plastikmatte bedeckt war.

Dr. Paressi war eine zierliche Frau Mitte drei?ig mit fast schwarzem Lockenkopf, bei deren Statur sich Alexandra unwillkurlich fragte, wie diese Frau wohl die Kraft aufbrachte, um einen schweren Hund, beispielsweise einen Berner Sennenhund oder einen Rottweiler, zu behandeln.

Dr. Paressi leuchtete Kater Brown mit einer schmalen Stifttaschenlampe in die Augen, horchte ihn grundlich ab und druckte vorsichtig die Kiefer auseinander, um ihm in den Rachen zu sehen.

»Davon hat er wohl gefressen«, erklarte Tobias und deutete auf den Teller mit den Fleischbrocken, den er auf dem Tresen links vom Behandlungstisch abstellte. »Ein wenig davon hat er erbrochen.«

»Wie viel er gefressen hat, wissen wir nicht«, erganzte Alexandra. »Wir hatten ihn eine Weile nicht gesehen.«

»Ja, verstehe«, erwiderte die Tierarztin und fuhr mit der Untersuchung fort.

»Und? Was konnen Sie uns sagen?«, drangte Alexandra, die sich schreckliche Sorgen um Kater Brown machte.

»Ich mochte mich erst genauer au?ern, wenn ich meine Untersuchung abgeschlossen habe«, erwiderte die Frau ruhig und sachlich. Ganz offensichtlich war sie den Umgang mit besorgten Tierhaltern gewohnt und lie? sich von deren Nervositat nicht anstecken. »Ich mochte Sie zu diesem Zeitpunkt weder unnotig aufregen noch bei Ihnen eine womoglich trugerische Zuversicht wecken. Ich werde den Kater behandeln. Aber Sie fahren jetzt bitte wieder nach Hause. Sobald ich Genaueres wei?, werde ich Sie anrufen. Geben Sie mir bitte Ihre Adresse und eine Telefonnummer, unter der ich Sie heute Nacht erreichen kann.« Sie reichte Tobias einen Zettel, er begann sofort zu schreiben. »Und das ist Ihr Kater?« Sie schaute Alexandra freundlich an.

»Nein, Kater Brown lebt im Klosterhotel ›Zur inneren Einkehr‹ in Lengenich. Dort wohnen wir zurzeit.«

»Und Sie sind zu mir gekommen, weil Ihnen die Praxis von Doktor Erzbauer zu weit entfernt schien?«

»Ja, eigentlich hatte man uns dorthin geschickt. Einer der Monche wollte uns auch telefonisch bei ihm anmelden …«

»Hm«, murmelte die Arztin, die nun mehrere Spritzen bereitlegte und Flaschchen mit farblosen Losungen aus einem kleinen Kuhlschrank nahm. »Bei ihm anmelden. Interessant.«

Alexandra sah hilfesuchend zu Tobias. »Warum das?«

Dr. Paressi schaute zwischen den beiden hin und her. »Nun, er wird Doktor Erzbauer nicht erreicht haben. Der Kollege ist leider vor etwa vier Wochen bei einer Wanderung in den Alpen todlich verungluckt, und die Praxis ist seitdem geschlossen.«

Alexandra schnappte erschrocken nach Luft. »Dann … dann waren wir vergeblich zu ihm gefahren?«

Die Arztin nickte. »Sie hatten einen gro?en Umweg fahren mussen und waren wahrscheinlich zu spat bei mir eingetroffen. Ein Gluck fur Kater Brown, dass Sie sich gleich anders entschieden hatten.« Wahrend sie eine Spritze aufzog, fugte sie hinzu: »Uber die genauen Hintergrunde, wie der Kater an dieses Fleisch dort kam, werden Sie mich noch genauer informieren mussen. Aber nicht jetzt. Jetzt habe ich zu tun.«

»Sie sind doch auch der Meinung, dass Kater Brown vergiftet wurde, oder?«, vergewisserte sich Alexandra.

Die Arztin nickte. »So sieht es fur mich aus. Lassen Sie mich jetzt bitte meine Arbeit machen, ich rufe Sie an.«

Sie verabschiedeten sich und warfen einen letzten Blick auf den reglos auf dem Behandlungstisch liegenden Kater. »Viel Gluck, mein Kleiner!«, raunte Alexandra ihm noch zu, dann kehrten sie zu Tobias’ Leihwagen zuruck. Tobias hatte trostend einen Arm um Alexandra gelegt.

In diesem Moment klingelte ihr Handy, und ihr blieb vor Schreck beinahe das Herz stehen. Sie wollte sich schon umdrehen und zuruck in die Praxis laufen, als sie auf dem Display eine ihr fremde Handynummer sah. Das war nicht Dr. Paressis Nummer!

»Hallo?«, meldete sie sich zogerlich.

»Frau Berger?«, tonte eine aufgeregte Mannerstimme an ihr Ohr. Schnell schaltete sie das Telefon auf Lautsprecher. »Hier ist Bruder Johannes.«

»Ja … Was gibt es denn?«

»Gott sei Dank! Ich habe schon dreimal versucht, Sie zu erreichen, bin aber irgendwie nicht durchgekommen. Horen Sie, bei Doktor Erzbauer hat sich niemand gemeldet, und ich musste mich erst nach einem anderen Tierarzt umhoren. Ich kenne mich da nicht so gut aus. Von einem Mitbruder habe ich schlie?lich erfahren, dass Doktor Erzbauer vor Kurzem verstorben ist. Ich habe sofort nach einer anderen Adresse gesucht und …«

»Es hat sich bereits erledigt«, unterbrach sie ihn beschwichtigend.

»Ist Kater Brown etwa …?«

»Nein, er wird jetzt gerade behandelt. Der Tierarzt macht einen recht kompetenten Eindruck, aber … Na ja«, sie seufzte besorgt, »wir mussen abwarten. Hoffentlich kann Kater Brown noch geholfen werden!«

»Sie mussen fest daran glauben, Frau Berger. Das tue ich auch«, versuchte Bruder Johannes, sie aufzumuntern. »Wir beten hier fur ihn, vielleicht mochten Sie sich uns ja spater anschlie?en.«

»Mal sehen«, sagte sie ausweichend, bedankte sich und beendete das Telefonat.

Gemeinsam gingen sie zu Tobias’ Wagen und stiegen ein, als Alexandras Handy den Eingang einer SMS meldete. »Hm«, murmelte sie und offnete die Kurznachricht.

»Was ist?«

Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату