ab und kam schlie?lich zu der Stelle, von der aus es auf der einen Seite zum Foyer, auf der anderen Seite zu den Unterkunften der Monche ging. Dort befand sich auch die Kellertur, zu der Kater Brown sie gelockt hatte! Sie war nur angelehnt! Wieder lauschte Alexandra ein paar Sekunden in die Dunkelheit. Kein Zweifel, das Gerausch kam aus dem Keller!
Vorsichtig, um keinen Laut zu verursachen, zog sie die Tur weiter auf und schlich die schmale steinerne Wendeltreppe nach unten. Der gro?e Kellerraum, in dem sie am Vortag auf Bruder Dietmar und Bruder Siegmund gesto?en war, war in ein diffuses Licht getaucht, das von einer rotlich schimmernden Gluhbirne uber der Tur ausging, vor der Kater Brown gesessen hatte. Es dauerte nur einen Moment, dann hatten Alexandras Augen sich an das Licht gewohnt, und sie ging zu der Tur, die einen Spaltbreit offen stand. Durch den schmalen Spalt drang das Gerausch nun viel lauter an ihre Ohren. Es war ein aufgeregtes, hastiges Kratzen uber Holz.
Alexandra spurte, wie sich ihr die Nackenhaare aufstellten. Gebannt hielt sie den Atem an, nahm all ihren Mut zusammen und zog die Tur ein Stuck weiter auf. Der angrenzende Raum war ebenfalls von rotlichem Licht erhellt, aber Alexandra konnte niemanden entdecken, der das Kratzen verursachte. Als sie den weitlaufigen Gewolbekeller betrat, entfuhr ihr ein erschrecktes Keuchen. Zehn oder zwolf Steinsarge standen in Reih und Glied an einer der Wande! Alexandra frostelte. Ruhten darin verstorbene Mitglieder der Bruderschaft?
Das Kratzen wurde lauter, und Alexandra fuhr herum. In einem Alkoven stand eine gro?e Holzkiste … aus der das Kratzgerausch kam! Fast lautlos schlich Alexandra naher und beugte sich ein wenig vor. Das Herz pochte ihr beinah schmerzhaft hart gegen die Rippen, doch sie zwang sich, die Hande auszustrecken und den Deckel vorsichtig anzuheben. Ein schreckliches Fauchen erklang – und etwas Dunkles schoss zischend auf Alexandra zu und uber ihre Schulter hinweg tiefer in den Kellerraum hinein. Mit einem leisen Aufschrei lie? sie den schweren Deckel fallen.
Alexandra zitterte wie Espenlaub, als sie sich umdrehte und die schwarze Katze erkannte, deren gelbe Augen im Licht der getonten Gluhbirne seltsam rotlich leuchteten. Wie ein Gesandter des Teufels, ging es Alexandra unwillkurlich durch den Sinn. Die Katze warf ihr noch einen ratselhaften Blick zu, dann jagte sie durch die offen stehende Tur in den Nebenraum und die Kellertreppe hinauf.
Alexandra wollte ihr eben folgen, als sie eine Bewegung zu ihrer Linken bemerkte. Erschrocken drehte sie sich um und richtete den Lichtkegel ihrer Handy-Taschenlampe auf den Schemen, der sich dort geruhrt hatte.
»Da sind Sie ja, Frau Berger«, sagte eine vertraute, unangenehme Stimme. »Wir haben schon auf sie gewartet.«
»Herr Assmann, was … was machen Sie denn hier unten?«, flusterte Alexandra, und namenlose Angst erfullte sie.
»Du bist einfach zu neugierig«, vernahm sie eine andere Stimme, die sie kannte, aber ebenfalls nicht sofort zuordnen konnte. Aus der Dunkelheit loste sich eine Gestalt, die sich jedoch bewusst au?erhalb des Lichtkegels der Handylampe hielt.
Alexandra blinzelte. Wer war der Mann?
Plotzlich schossen Hande auf Alexandra zu und legten sich um ihren Hals. Sie druckten zu, sodass ihr die Luft wegblieb. Alexandra versuchte verzweifelt, sich zu wehren – doch es war vergebens! Sie spurte, wie alle Kraft ihren Korper verlie?, und furchtete schon, jeden Moment ohnmachtig zu werden. Doch ihre Sinne waren seltsam gescharft, und sie konnte alles um sich herum wahrnehmen.
Ein Mann schleifte sie zu der Holzkiste hinuber und offnete den Deckel. Scheinbar muhelos hob er sie hoch und legte sie in die Kiste. Als er sich wieder aufrichtete und den Deckel uber ihr schlie?en wollte, sah Alexandra endlich sein Gesicht. Es war …
… Bernd Wilden! Mit einem Aufschrei fuhr Alexandra aus dem Schlaf und riss entsetzt die Augen auf. Ihr Atem ging in schnellen, abgehackten Sto?en, sie war schwei?gebadet und zitterte am ganzen Korper wie Espenlaub. Es war nur ein Traum, sagte sie sich, als sie wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Es war nur ein boser Traum … Sie sa? in ihrem Bett, sie war nicht in einer Holzkiste gefangen.
Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder beruhigt hatte. »Mein Gott«, murmelte sie und stand auf, um sich mit ausgestreckten Armen ins Badezimmer vorzutasten. In der Dunkelheit drehte sie den Wasserhahn auf, hielt die Hande unter den Strahl und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, bis sie sich besser fuhlte. Das war’s jetzt wohl, dachte sie. Nach diesem Albtraum wurde es ihr sicher nicht gelingen, noch einmal einzuschlafen …
Ein wiederholtes Summen lie? Alexandra aufschrecken. Einen Moment sah sie sich angstlich im Zimmer um, in das das erste schwache Licht des Morgens fiel. Dann lenkte das leuchtende Handydisplay ihren Blick auf das Gerat, das auf dem Nachttisch lag. Sie hatte eine SMS erhalten!
Assmann!, war ihr erster Gedanke. Endlich!
Hektisch tastete sie nach dem Mobiltelefon und druckte die Freigabetaste. Die Nummer des Absenders sagte ihr nichts; nicht einmal die Vorwahl konnte sie im ersten Moment zuordnen.
Mit klopfendem Herzen offnete Alexandra die SMS … und spurte, wie ihr Freudentranen in die Augen traten. Ein Foto leuchtete ihr entgegen: Es zeigte Kater Brown, wie er auf dem Behandlungstisch in der Praxis von Dr. Paressi sa? … Alexandra blinzelte. Er war wohlauf, er lebte! Kater Brown lebte!
Und er hatte offenbar eine Nachricht fur sie.
Mit zitternden Fingern blatterte Alexandra weiter, um zum Text der SMS zu gelangen.
Alexandra spurte, wie sich auf ihrem Gesicht ein Strahlen ausbreitete. Sie blatterte zuruck und betrachtete wieder das Foto. Zugegeben, Kater Brown schaute noch ein wenig verschlafen in die Kamera, so als ware er gerade erst aufgewacht, aber … er lebte, er war gerettet! Nur das zahlte!
Nun gab es fur Alexandra kein Halten mehr. Wie sie war, sturmte sie auf den Flur hinaus und klopfte an Tobias’ Zimmertur. Nichts geschah. »Tobias, wach auf! Ich muss dir was zeigen.«
Endlich ertonte leises Gemurmel, Fu?e tappten auf dem Boden, und im nachsten Moment wurde die Tur aufgesto?en. »Wei?t du eigentlich, wie spat es ist?«, maulte Tobias, als er im Lichtschein ihres Handydisplays ihr Gesicht erkannte.
Alexandra hielt ihm strahlend Kater Browns Foto entgegen.
»Was ist …« Er verstummte und betrachtete das Bild. Sie konnte ihm ansehen, wie er zu verarbeiten versuchte, was er da gezeigt bekam. Dann begriff er, und mit einem Mal strahlte er uber das ganze Gesicht.
»Gerade eben reingekommen«, flusterte sie mit rauer Stimme. Ihre Kehle war auf einmal vor Freude wie zugeschnurt.
Ohne ein weiteres Wort schlang Tobias die Arme um sie und druckte sie an sich. In dem Moment verlor Alexandra endgultig die Beherrschung und lie? ihren Tranen freien Lauf. Dabei klammerte sie sich so fest an Tobias, als waren sie selbst soeben um Haaresbreite dem Tod entronnen.
Alexandra wusste nicht, wie lange sie so dastanden, aber irgendwann wurde ihr bewusst, dass sie lediglich ein kurzes Nachthemd und Tobias nichts als eine Boxershorts trug. Sie konnte seine nackte Haut unter ihren Handen spuren und loste sich verlegen von ihm. Fahrig wischte sie sich uber das Gesicht. »Wir sollen ihn gegen Mittag abholen, hat Doktor Paressi geschrieben.«
Er nickte lachelnd. »Das war der beste Grund, den du haben konntest, um mich zu wecken.«
»Ja.« Kurz druckte sie ihre Wange an seine. »Er ist uber den Berg! Ich bin so froh!«
»Ich auch«, antwortete er.
»Ja«, sagte sie noch einmal und spurte, wie sie errotete. Wieder fuhlte sie sich so seltsam befangen! »Ich gehe dann mal zuruck in mein Zimmer. Eine Stunde konnen wir ja noch schlafen.«
»Zwei Stunden«, korrigierte er sie. »Es ist Sonntag, und am Sonntagmorgen durfen die Gaste ›ausschlafen‹ … bis sieben Uhr.«
»Was fur ein Luxus!«, lachte sie und huschte schnell davon.
Es war kurz nach halb acht, als Alexandra und Tobias gemeinsam das Refektorium betraten. Die Monche – darunter auch einige, die sie bislang noch nicht kennengelernt hatten – sa?en an der Tischreihe auf der rechten Seite, die Hotelgaste an der auf der linken Seite. Leises Gemurmel und das Klirren von Geschirr und Besteck waren zu horen.
Alexandra nahm neben Tina Wittecker Platz, Tobias setzte sich ihr gegenuber hin. Die Leiterin des