15. Kapitel
»Da sind Sie ja!«, erklang eine atemlose Mannerstimme.
Alexandra fuhr zusammen. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, und fur den Bruchteil einer Sekunde furchtete sie, Wildens Morder hatte sich angeschlichen, um sie beide nun im Schutz der Nacht aus dem Weg zu raumen.
Aber dann erkannte sie im Lichtschein, der von Tobias’ Gesicht reflektiert wurde, wer da mit einer Taschenlampe vor ihnen stand.
»Bruder Johannes?«, entfuhr es ihr. »Was machen Sie denn hier?«
»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie erschreckt habe. Ich wollte mir nicht noch langer die Beine in den Bauch stehen«, gab er zuruck und richtete den Strahl der Lampe zu Boden. »Ich hatte im Foyer auf Sie gewartet, um Sie ins Haus zu lassen, und dann auf einmal sah ich einen Wagen auf den Platz einbiegen. Aber dann habe ich gewartet und gewartet, und Sie kamen nicht. Also habe ich mich auf die Suche nach Ihnen gemacht. Ich hatte schon fast befurchtet, Ihnen ware etwas zugesto?en.« Dann lie? er den Lichtstrahl uber sie wandern. »Wo ist Kater Brown?«, fragte er zogerlich. »Haben Sie ihn denn nicht mitgebracht?«
»Nein, er ist noch beim Tierarzt und wird versorgt«, sagte Alexandra. »Wir wissen auch noch nichts Genaues. Au?er dass jemand den kleinen Kerl ganz offensichtlich vergiften wollte. Hoffentlich uberlebt er!«
»Auf jeden Fall ist der Kater jetzt in guten Handen«, meinte Bruder Johannes bedruckt. »Ich hoffe auch, er kommt durch.« Nach einer kurzen Pause fugte der Monch hinzu: »Horen Sie, das mit Doktor Erzbauer tut mir ehrlich leid, das hatte bose enden konnen …«
»Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, Bruder Johannes«, versicherte Alexandra. »Sie konnten es ja nicht wissen.«
»Nur gut, dass Sie so schnell einen anderen Tierarzt gefunden haben! Wie, sagten Sie noch mal, hei?t der Veterinar, zu dem Sie gefahren sind?«
»Oh, fragen Sie mich nicht nach dem Namen!«, antwortete sie ausweichend. »Ich glaube, der Arzt hei?t … Glogauer oder so ahnlich. Na ja, er hat ja unsere Telefonnummern, und sobald wir Kater Brown wieder abholen konnen, wird er sich melden.«
»Lassen Sie sich bitte eine Rechnung geben«, sagte Bruder Johannes. »Der Kater hat schlie?lich auf unserem Grund und Boden das Gift gefressen, also werden wir auch fur die Kosten aufkommen.«
»Warten wir erst einmal ab, ob alles gut geht«, warf Tobias ein. »Wir wissen ja nicht mal, wie lange Kater Brown noch behandelt werden muss.«
»Verstehe«, sagte Bruder Johannes. »Dann werde ich beten, damit sich dieses Sprichwort nicht bewahrheitet. Sie kennen es doch sicher?« Auf Alexandras verstandnislosen Blick hin fugte er seufzend hinzu: »›Die Neugier ist der Katze Tod.‹«
»Um Himmels willen!«, rief sie. »Kater Brown darf nichts passieren! Immerhin brauchen wir die kleine schwarze Spurnase bei unserer Mordersuche noch.«
»Dann hat Bruder Andreas’ Computerubersicht Ihnen nicht weiterhelfen konnen?«, erkundigte sich der Monch.
»Nur bedingt«, antwortete Tobias. »Wir haben erfahren, dass Wilden ungewohnlich gut gelaunt war, als er das Kloster verlie?. Aber das fuhrt uns nicht zum Tater.«
»Bernd Wilden wollte wegfahren und sich am nachsten Tag mit jemandem treffen, doch da sein Handy und sein Laptop verschwunden sind, haben wir keinerlei Anhaltspunkte, mit wem er wo verabredet war.« Alexandra lie? die SMS, die Assmann ihr geschickt hatte, unerwahnt. Wahrend Bruder Johannes und Tobias rekapitulierten, was sie bisher zusammengetragen hatten, zog sie ihr Handy aus der Tasche und schrieb eine SMS an Kurt Assmann.
Hoffentlich antwortete der Mann bald!
Tobias sah auf die Uhr. »Oje. Es ist schon fast ein Uhr. Ich wurde mich jetzt gern aufs Ohr legen. Es war ein unerwartet hektischer Tag.«
»Das kannst du laut sagen«, stimmte sie ihm zu und stie? sich vom Zaun ab, dann gingen sie im Schein von Bruder Johannes’ Taschenlampe zu dritt zuruck zum Kloster.
Im Foyer fiel Alexandra etwas ein. »Ach, Bruder Johannes, durfen wir uns mal in aller Ruhe im Keller umsehen? Nur, wenn es keine Umstande macht?«
»Glauben Sie, Sie finden da einen Hinweis auf den Tater?«
»Eigentlich nicht, aber wir hatten einfach ein besseres Gefuhl, wenn wir wussten, dass wir keine Moglichkeit au?er Acht gelassen haben, nach Hinweisen zu suchen.«
Bruder Johannes nickte. »Ja, naturlich. Ich kann Sie beide gern morgen fruh durch den Keller fuhren. Sagen wir, gleich nach dem Fruhstuck?«
»Einverstanden«, willigte Alexandra ein und sah, dass auch Tobias zustimmend nickte.
Bruder Johannes fuhrte die kleine Gruppe weiter an und leuchtete ihnen den Weg zu ihren Zimmern. Er wartete, bis beide abgeschlossen hatten, dann entfernten sich seine Schritte auf dem Flur. Alexandra schmunzelte, denn sie musste unwillkurlich an die Bemuhungen eines Herbergsvaters denken, der die Jungen und Madchen in seinem Haus strikt voneinander getrennt hielt, um sie daran zu hindern, Dummheiten zu machen. Aber da bestand bei Tobias und ihr doch gar keine Gefahr! Schlie?lich wollte sie nichts von diesem Mann! Trotzdem musste sie wieder an den seltsamen Ausdruck in Tobias’ Augen denken und an die ungewohnte Befangenheit, die sie selbst in seiner Nahe ergriffen hatte. »Unsinn! Es lag nur an der romantischen Sommernacht«, sagte sie sich dann und lauschte noch einmal auf den Korridor hinaus. Als sie sicher war, dass sich niemand mehr drau?en aufhielt, offnete sie die Tur und huschte zu Kurt Assmanns Zimmer hinuber. »Herr Assmann, sind Sie da? Herr Assmann?«, fragte sie mit unterdruckter Stimme. Doch auch nach dreimaligem Klopfen regte sich nichts hinter der Zimmertur, und Alexandra schlich zuruck in ihre Kammer. Kurt Assmann schien wirklich nicht ins Kloster zuruckgekehrt zu sein. Hoffentlich war ihm nichts zugesto?en!
Im Licht des Laptopmonitors zog Alexandra sich aus und tappte ins angrenzende Bad. Dabei kreisten ihre Gedanken unaufhorlich um die Frage, wohin Assmann wohl gefahren war.
Vor dem Zubettgehen fuhr sie noch rasch den Computer runter und griff nach ihrem Handy. Seltsam, Kurt Assmann hatte sich immer noch nicht auf ihre SMS gemeldet! Seufzend deckte Alexandra sich zu. Doch an Schlaf war nicht zu denken. Ihre Gedanken fuhren Achterbahn. Ob Kater Brown wohl noch lebte? Hoffentlich hatte Dr. Paressi ihn stabilisieren konnen! Wer hinter diesen Mauern war nur so grausam, ein unschuldiges Tier zu vergiften?
Alexandra stellte noch einmal sicher, dass ihr Handy noch ausreichend aufgeladen war, dann kuschelte sie sich in ihre Kissen und schloss die Augen. Sie musste einfach versuchen, noch ein wenig zu schlafen, sonst wurde sie sich morgen wie geradert fuhlen.
Ein Gerausch riss Alexandra aus dem Schlaf. Als sie die Augen aufschlug, herrschte um sie herum noch tiefe Dunkelheit. Sie schaute auf die Uhr. Halb vier. Wer war um diese Zeit denn schon auf den Beinen?
Verschlafen setzte sie sich auf und lauschte, aber das Gerausch war zu leise, zu weit entfernt, um es bestimmen zu konnen. Hastig stand sie auf und tappte zur Tur, um sie einen Spaltbreit zu offnen. Der Korridor war in Dunkelheit getaucht, nur die wenigen winzigen grunen Leuchtdioden, die den Fluchtweg kennzeichneten, spendeten einen schwachen Lichtschein.
Das scharrende Gerausch war nun etwas deutlicher zu horen, aber noch immer konnte Alexandra sich nicht erklaren, von welcher Quelle es verursacht wurde. Alexandra war versucht, dieser Sache sofort auf den Grund zu gehen, doch dann besann sie sich eines Besseren. In ihrem kurzen Nachthemd wollte sie nun doch niemandem begegnen. In aller Eile zog sie sich an, dann griff sie nach ihrem Handy, schaltete die integrierte Taschenlampe ein und verlie? das Zimmer.
Einen Moment uberlegte sie, ob sie Tobias wecken sollte, aber dann entschied sie sich dagegen. Er wurde sie nur wieder necken, ein Angsthase zu sein.
Auf leisen Sohlen wandte sie sich nach links und huschte bis zum Ende des Korridors, bog dann nach rechts