Mahlzeitendienstes machte wie ihre Kollegen noch einen recht verschlafenen Eindruck, aber als sie Alexandra sah, lachelte sie freundlich.

»Guten Morgen, Frau Berger«, sagte sie. »Hallo, Herr Rombach.« Obwohl es noch so fruh am Tag war, war sie bereits perfekt geschminkt.

Sie erwiderten die Begru?ung, und Tina Wittecker stellte gleich darauf fest: »Sie beide sehen auch ziemlich geschafft aus, wenn ich das einmal so sagen darf. Dabei mussten Sie sich doch gestern Abend gar nicht den Vortrag unseres hochverehrten Herrn Assmann anhoren.«

»Oh, hat er noch lange auf Sie eingeredet?«, erkundigte sich Alexandra.

»Ja, ich meine, es war Viertel vor elf, als wir uns endlich in unsere Zimmer zuruckziehen durften. Der Gute konnte gar kein Ende finden. Und dann diese unterschwelligen Drohungen, weiteren Mitarbeitern zu kundigen.« Sie nahm eine Scheibe Brot, verteilte ein wenig Margarine darauf und zog sich dann den Kaseteller heran. »Er versucht wirklich, Wilden in jeder Hinsicht zu ubertreffen. Und ich glaube, dass der Vorstand ihm die kommissarische Leitung des Verbands ubertragen wird.«

»Oh«, entfuhr es Alexandra. »Das durfte aber einigen Leuten gar nicht gefallen.«

Tina Wittecker grinste sie an. »Sehen Sie mal ans Tischende, was da fur eine Stimmung herrscht!«

Alexandra beugte sich vor, um nach der Kaffeekanne zu greifen, dabei warf sie einen unauffalligen Blick in die angegebene Richtung. Die Bereichsleiter sa?en dort und starrten so finster vor sich hin, als hatten sie in der vergangenen Nacht die Kundigung erhalten. Sie schenkte sich Kaffee ein.

Tobias war ihrem Blick gefolgt. »Wo ist eigentlich Assmann?«, fragte er scheinbar ahnungslos und sah sich suchend im Refektorium um. Bevor Alexandra und er zum Fruhstuck gekommen waren, hatten sie noch einmal an Assmanns Zimmertur geklopft – ohne eine Antwort zu erhalten. Als sie ihn dann auf dem Handy angerufen hatten, war kein Telefonklingeln aus dem Zimmer zu horen gewesen, und Assmann hatte sich nicht gemeldet.

»Noch nicht aufgetaucht«, sagte die Angestellte. »Phh, vielleicht wartet er ja darauf, dass ihm das Fruhstuck auf dem Zimmer serviert wird. Soll er ruhig hungern, dann hat er wenigstens mal einen guten Grund fur seine schlechte Laune.«

Alexandra nickte nur. Offenbar waren Tobias und sie die Einzigen, die von der geplanten Ubergabe des Laptops an Kurt Assmann wussten. Sie beschlich ein ungutes Gefuhl. Nicht, dass Assmann etwas zugesto?en war! Alexandra nahm sich vor, ihm gegen zehn Uhr noch einmal eine SMS zu schicken, in der sie ihn dringend aufforderte, sich baldmoglichst bei ihr zu melden. Notfalls mussten sie versuchen, seine Freundin zu erreichen, und sie fragen, ob sie in der vergangenen Nacht etwas von Assmann gehort hatte.

»Guten Morgen, Frau Berger«, riss eine leise Stimme Alexandra aus ihren dusteren Gedanken. Sie hob den Kopf und entdeckte Bruder Johannes neben ihrem Tisch. »Haben Sie Neuigkeiten von Kater Brown?«

Alexandra schuttelte den Kopf. Beim Anblick seiner besorgten Miene fiel es ihr zwar nicht leicht, den Monch im Ungewissen zu lassen, aber sie konnte nicht riskieren, dass er etwas ausplauderte, was niemand wissen sollte. Vielleicht wurde sich der Giftattentater ja selbst verraten, solange er im Unklaren war, ob Kater Brown uberlebt hatte. »Nein, leider nicht.«

»Sprechen Sie von dem schwarzen Kater, der Ihnen schon die ganze Zeit nachlauft?«, erkundigte sich Yvonne Tonger, die neben Tobias sa? und die Frage des Monchs mitbekommen hatte. »Ist er etwa entlaufen?«

»Nein«, antwortete Alexandra. »Offenbar wurde er vergiftet.«

Kaum hatte sie ausgesprochen, machte sich am Tisch erschrockenes Schweigen breit. Alle Angestellten sahen zu ihr heruber, und Alexandra nutzte genauso wie Tobias die Gelegenheit, um die Mienen der Leute genauer zu studieren. Einige waren sichtlich entsetzt, andere schauten unglaubig drein, und ein paar wenige – vor allem Gro?, Dessing und Kramsch – demonstrierten volliges Desinteresse. Vielleicht lag es daran, dass die leitenden Angestellten zu sehr mit Wildens mutma?licher Nachfolge beschaftigt waren, dass das Schicksal einer Katze sie so kaltlie?.

»Wussten Sie das nicht?«, fragte Alexandra verwundert in die Runde. »Ich dachte, das hatte sich langst herumgesprochen.«

»Das ist der Unterschied zwischen einem Kloster und einem Marktplatz«, warf Bruder Johannes ein und lachelte sanft. »Wenn Sie gefruhstuckt haben, konnen wir wie verabredet in den Keller hinuntergehen. Sagen Sie einfach Bescheid, wenn Sie beide fertig sind.«

Als Bruder Johannes an seinen Tisch zuruckkehrte, lie? Alexandra einen kritischen Blick uber die versammelten Monche wandern, die in ihr Fruhstuck vertieft waren und schwiegen. Keiner von ihnen sah in ihre Richtung.

Stattdessen bombardierten die Angestellten des Laurentius-Hilfswerks sie mit Fragen zu dem Giftanschlag, die Tobias und Alexandra so vage wie moglich beantworteten.

Nachdem sie zu Ende gefruhstuckt hatten, gab Bruder Johannes ihnen ein Zeichen. »Kommen Sie bitte!«, sagte er, ging ihnen voran ins Foyer und nahm den Bund mit den Kellerschlusseln vom Schlusselbrett. Dann geleitete er sie zu der Kellertur.

Er schloss auf und betatigte einen Lichtschalter links neben dem Turrahmen. Eine Reihe von Deckenlampen flammten auf und sorgten in dem schmalen Treppenhaus fur genugend Helligkeit.

Sie gelangten in den Keller, der deutlich besser beleuchtet war als in Alexandras Traum. Unbehagen machte sich in Alexandra breit, als sie sich dem angrenzenden Kellerraum naherten. Und fast meinte sie, wieder Wildens drohende Stimme zu horen: Du bist einfach zu neugierig …

Alexandra rausperte sich, weil sie glaubte, seine Hande um ihren Hals zu spuren.

Ein Schauer kroch ihr den Rucken herunter, und ihr stockte der Atem, als Bruder Johannes die Tur offnete, die so in den Angeln quietschte, dass es ihr in den Ohren wehtat.

16. Kapitel

Mit einem Laut der Erleichterung lie? Alexandra die angestaute Luft entweichen. So unsinnig es auch war, hatte sie einen Moment befurchtet, wieder in ihrem Albtraum gefangen zu sein und von der Teufelskatze angesprungen zu werden. Aber nichts geschah. Mit ruhigen Schritten ging Bruder Johannes vor ihnen in den nachsten Raum, wo er das Licht einschaltete. Mehrere Neonrohren erwachten flackernd zum Leben und tauchten den Gewolbekeller in kaltes blauliches Licht.

Dieser Kellerraum wies keinerlei Ahnlichkeit mit dem aus ihrem Albtraum auf, was Alexandra mit gro?er Erleichterung erfullte. Anstelle von Steinsargen wurden die Wande von langen Regalreihen beansprucht, in denen sich Kartons uber Kartons stapelten.

Tobias blieb vor einem der Regale stehen und studierte die Beschriftung, die aus Zahlen-und Buchstabenkombinationen bestand. »Was ist da drin?«

»Das hier ist unser Archiv«, erklarte Bruder Johannes und machte eine allumfassende Handbewegung. »In den Kartons verwahren wir den Schriftverkehr mit allen moglichen Institutionen, kirchlichen wie weltlichen. Einiges davon ist ein paar Hundert Jahre alt.« Er drehte sich zu Alexandra um. »Es ist lange her, dass ich den Bestand gepruft habe, aber in den Regalen lagern sicher drei-, vierhundert Kisten. Ich wei? nicht, ob Sie hoffen, hier etwas zu finden, was mit Herrn Wildens Tod in Zusammenhang stehen konnte, doch ich halte es fur sehr unwahrscheinlich. Er war nicht hier unten, und das sind Vorgange, die sogar lange vor meiner Zeit abgeschlossen wurden. Alle aktuelleren Akten befinden sich entweder in der Verwaltung oder auf dem Speicher.«

Alexandra nickte. »Um ehrlich zu sein, ich wusste nicht mal, wonach ich hier suchen sollte. Aber wir wollen uns ja auch nur einmal grundlich in diesem Keller umsehen, ob uns irgendetwas ins Auge fallt.« Sie bog in einen Seitengang ein und betrachtete die Bodenbretter. »Nein, ich glaube, in diesem Raum werden wir nicht fundig«, sagte sie schlie?lich. »Diese Kartons sind alle gleichma?ig mit Staub uberzogen. Hatte der Tater hier kurzlich irgendetwas versteckt, das ihn uberfuhren konnte, dann wurde uns das sofort auffallen.«

Wahrend sie redete, blickte sie aufmerksam umher, auf der Suche nach etwas, das vielleicht mit der hitzigen Diskussion der Bruder Dietmar und Siegmund zusammenhing. Doch ihr fiel nichts Verdachtiges auf. Hier war seit Jahren wirklich nichts angeruhrt worden. Alexandra war im hintersten Winkel des Raumes angelangt und wollte eben kehrtmachen, als sie auf dem Boden etwas bemerkte. Sie betrachtete ihre Entdeckung nur fluchtig,

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