Wildens Zeiten wurde es uberstrapaziert, und Assmanns Vortrag gestern Abend handelte auch von Teamfahigkeit und dem ganzen Blabla. Mir reicht’s erst mal.«
Tobias schmunzelte. »Kurt Assmann wird nicht begeistert sein, dass Sie den Kurs sausen lassen …«
»Pah, der soll schon still sein, der Faulpelz. Scheint ja selbst immer noch im Bett zu liegen und zu schlafen. Jedenfalls hat er sich bisher noch nicht blicken lassen.«
Nein, in seinem Zimmer ist er nicht, wollte Alexandra erwidern, biss sich aber auf die Zunge. »Vielleicht hat er ja … heute Morgen schon ganz fruh das Haus verlassen, um irgendetwas zu erledigen«, sagte sie stattdessen vage und lie? Tina Wittecker nicht aus den Augen.
»Nein, das kann nicht sein. Seine Angeberkarre steht ja dahinten.« Tina zeigte uber die Wiese hinweg zum Parkplatz.
»Oh, tatsachlich.« Mit leisem Erschrecken stellte Alexandra fest, dass Assmanns Cabrio tatsachlich dort parkte, wenn auch nicht da, wo Assmann ihn am Samstagmittag abgestellt und wo sie ihn am Vorabend vergeblich gesucht hatte. Der Sportwagen parkte am hinteren Ende des Parkplatzes, halb verborgen vom Transporter des Klosterhotels.
Alexandra wechselte einen alarmierten Blick mit Tobias. Dann hatte Kurt Assmann allem Anschein nach das Gelande ja gar nicht verlassen, um den Laptop in Empfang zu nehmen! Ein unbehagliches Gefuhl uberkam Alexandra, da sie unwillkurlich daran denken musste, mit welcher Verschworermiene die leitenden Angestellten beim Fruhstuck beisammengesessen hatten.
»Na, der wird schon irgendwann auftauchen«, sagte Tina und fugte im Weitergehen augenzwinkernd hinzu: »Im Brunnen liegt er jedenfalls nicht, da habe ich schon nachgesehen.«
Tobias schuttelte amusiert den Kopf, Alexandra fand die Bemerkung jedoch gar nicht lustig, enthielt sich aber jeden Kommentars. Stattdessen wahlte sie noch einmal Assmanns Handynummer. Es klingelte, doch auch diesmal meldete der Mann sich nicht. Wenn er nach ihrer Ruckkehr von Dr. Paressi immer noch nicht aufgetaucht war, wurden sie etwas unternehmen mussen …
Es war kurz nach zehn, als sie vor der Tierarztpraxis in Echternacherbruck vorfuhren. Sie hatten diesmal Alexandras Wagen genommen, die die Strecke in deutlich gema?igterem Tempo zuruckgelegt hatte, auch wenn sie wie Tobias darauf brannte, Kater Brown an sich zu drucken.
»Schon eigenartig«, wunderte sich Tobias, als hatte er ihre Gedanken gelesen. »Wir kennen den Kater erst seit zwei Tagen, er gehort uns gar nicht, und trotzdem benehmen wir uns beide so, als ware er schon seit Jahren unser gemeinsames Haustier.«
Alexandra nickte. »Es kommt mir auch so vor, als wurde ich den kleinen Schwarzen schon seit einer Ewigkeit kennen.« Sie stellte den Motor ab und stieg aus. Auf der von Baumen gesaumten Stra?e war um diese Zeit am Sonntagmorgen nur wenig los. Lediglich ein paar Manner und Frauen waren unterwegs, die, der Kleidung nach zu urteilen, aus der Kirche kamen. Ein kuhler Wind wurde vom Fluss herubergetragen. Vogel zwitscherten in den Baumen. Zwei Amseln jagten sich auf dem Rasen vor dem Doktorhaus.
Tobias und Alexandra gingen die Auffahrt entlang und folgten dem Trampelpfad bis zu der ins Souterrain fuhrenden Au?entreppe. Die Tur zur Praxis stand offen.
Dr. Paressi erwartete sie schon. »Ah, dann haben mich meine Ohren doch nicht getauscht! Kommen Sie herein! Mein kleiner Patient wartet bereits ganz ungeduldig auf seine Entlassungspapiere.« Sie begru?te die beiden mit Handschlag, dann schloss sie die Tur. »Folgen Sie mir!«, sagte sie und ging vor ihnen durch den Warteraum ins Sprechzimmer. Auf dem Behandlungstisch stand eine gro?e pinkfarbene Transportbox; darin sa? Kater Brown, der sofort ein energisches Miauen von sich gab, als er Alexandra und Tobias hereinkommen sah.
»Sie konnen schon horen, dass es ihm wieder gut geht.« Dr. Paressi offnete die Gitterverschlusse an der Vorderseite der Box.
»Ja, mein Su?er, ich bin ja da«, redete Alexandra liebevoll auf den Kater ein. Er kam heraus und stellte sich auf die Hinterbeine, um seinen Kopf an ihrem Kinn zu reiben. Dabei schnurrte er zufrieden. »Es ist ja alles wieder gut. Wir mussen nur noch den bosen Menschen schnappen, der dir das angetan hat.«
»Ich nehme an, Sie wurden gern wissen, was meine Untersuchung des Fleischs ergeben hat«, sagte die Arztin. »Also, der Attentater ist bei seinem Bemuhen, den Kater zu ermorden, glucklicherweise uber sein Ziel hinausgeschossen. Ich habe in jedem der Fleischbrocken eine gro?e Menge eines hochkonzentrierten Betaubungsmittels gefunden. Es muss in das Fleisch injiziert worden sein, weil die Konzentration im Inneren am hochsten ist und nach au?en immer starker abnimmt. Dieses Mittel hat einen leicht stechenden Geruch, der eine Katze normalerweise davon abhalten wurde, von dem Fleisch zu fressen. Weil es aber injiziert wurde, dringt der Geruch kaum nach au?en. Jedenfalls ist das unmittelbar nach der Behandlung der Fall. Je langer das Fleisch nach dem Praparieren liegen bleibt, desto starker wird es von dem Mittel durchdrungen. Der Attentater war aber offenbar der Meinung, dass die Nase des Katers zu empfindlich sein konnte. Also hat er die Fleischbrocken in einer Fischso?e gewalzt. Das hat Ihrem Kater Brown das Leben gerettet. Er reagiert namlich allergisch auf einen Bestandteil dieser So?e, den ich auf die Schnelle noch nicht bestimmen konnte. Ich werde Ihnen diese Information aber nachreichen, damit Sie zukunftig darauf achten konnen, dass er mit dieser Substanz nicht mehr in Beruhrung kommt.«
Dr. Paressi streichelte den Kater ebenfalls. »Durch diese So?e wurde bei ihm zunachst eine heftige allergische Reaktion ausgelost, nachdem er nur ein paar kleine Bissen von einem Fleischstuck geschluckt hatte. Diese Reaktion au?erte sich in einem massiven Anschwellen der Schleimhaute, verbunden mit schwerer Atemnot. Das hat eine Ohnmacht ausgelost, die ihn aber glucklicherweise daran hinderte, mehr zu fressen. Wie Sie ja selbst sagten, hatte er ein wenig erbrochen, aber das bisschen, was in seinen Magen gelangt war, reichte aus, um ihn in einen tiefen Schlaf sinken zu lassen. Mit der Dosis des Betaubungsmittels, die sich in der ganzen Fleischportion auf dem Teller befand, hatte man zwei Kuhe umbringen konnen.«
Alexandra schlug vor Schreck die Hand vor den Mund.
»Dann hat ihm also seine Allergie das Leben gerettet«, sagte Tobias kopfschuttelnd.
Die Arztin nickte.
»Und mussen wir jetzt irgendetwas beachten?«, fragte Alexandra. »Muss Kater Brown noch Medikamente nehmen?«
»Nein«, erklarte Dr. Paressi. »Ich habe ihm etwas gegen die allergische Reaktion gespritzt und seinen Magen ausgepumpt. Au?erdem hat er eine Infusion mit einem harntreibenden Mittel erhalten, damit die Reste des Betaubungsmittels aus dem Blutkreislauf gespult werden. Seit heute fruh ist er wieder topfit. Deshalb habe ich Ihnen auch das Foto geschickt.«
»Ja, das war wirklich eine sehr nette Idee«, sagte Alexandra und trat einen Schritt zur Seite, damit Tobias den Kater ebenfalls ausgiebig streicheln konnte.
»Sie mussen naturlich darauf achten, dass der Attentater keine Gelegenheit mehr bekommt, einen zweiten Versuch zu unternehmen«, betonte die Arztin. »Ich konnte den Kater auch noch ein paar Tage hier in der Praxis unterbringen, wenn Ihnen das lieber ist.«
»Das Angebot wurden wir gern annehmen«, sagte Tobias. »Aber ich glaube, wir mochten auf Kater Browns Spurnase nicht verzichten. Es konnte ja sein, dass er uns noch einmal auf eine brauchbare Fahrte fuhrt.« Er schilderte in groben Zugen, was sich im Klosterhotel zugetragen hatte.
Die Tierarztin betrachtete das Tier nachdenklich, dann hatte sie eine Idee. »Wie war’s, wenn wir ihn an die Leine legen?«
Zehn Minuten spater verlie?en sie die Praxis. Kater Brown trug ein weinrotes Geschirr, an dem eine Ausziehleine befestigt war, die es ihm erlaubte, sich uber zehn Meter von Alexandra und Tobias zu entfernen, ohne dass er ihnen entwischen konnte.
Tobias nahm ihn hoch, stieg ein und legte den Kater auf seinen Scho?. »Ich gebe dir die Halfte zu den Behandlungskosten dazu.«
»Ach was, das ist nicht notig.«
»Mag sein, aber ich mochte es so«, beharrte er. »Eigentlich mussten wir Bruder Johannes die Rechnung vorlegen, doch die Monche haben sowieso kein Geld.«
Alexandra bedachte ihn mit einem uberraschten Blick, dann erklarte sie sich einverstanden, startete den Motor und lenkte den Wagen auf die Landstra?e in Richtung Lengenich.
Kater Brown genoss es, auf Tobias’ Oberschenkeln zu liegen. Zugegeben, er hatte Alexandras Scho? vorgezogen, aber sie hielt ja das Lenkrad in der Hand – da war es bei Tobias schon gemutlicher.
Notfalls hatte er sich auch wieder unten in den Fu?raum gelegt – alles war besser als diese harte Kiste in