Gelegenheit gewartet, sich irgendeinen angestauten Frust von der Seele zu reden. »So fromm, wie die alle tun, sind die auch nicht.«
»Ich verstehe nicht …«
»Uberlegen Sie doch mal. Da tun die standig so, als hatten sie kein Geld, und dann macht sich deren Boss mit ein paar Millionen aus dem Staub. So viel Geld muss man erst mal haben! Mochte wissen, wie die diese Menge Kohle zusammengetragen haben. Ob da alles legal gelaufen ist, wage ich mal zu bezweifeln.«
Alexandra zuckte mit den Schultern. »Ich habe mich vorab uber das Kloster erkundigt und bin nirgendwo auf Hinweise gesto?en, dass au?er dem Abt noch irgendjemand gegen Gesetze versto?en hat«, sagte sie, um dem Mann mehr zu entlocken.
»Ach, kommen Sie«, hielt der Tankwart dagegen. »Wie der Herr, so ’s Gescherr. So hei?t das doch, nicht wahr? Als hatte sich da nur der Boss bedient! Und selbst wenn der als Einziger in die Kasse gegriffen hat, sind die anderen nicht besser. Ich habe von regelma?igen Saufgelagen gehort, und die Chrissie, die Tochter vom Hausmeister des Landschulheims, soll von einem dieser Kuttentrager schwanger sein.«
»Na ja, Monche sind auch nur Menschen.« Sie horte selbst, wie abgedroschen ihre Bemerkung klang, doch sie wollte den Mann am Reden halten.
»Nee, nee. Das sind doch Kirchenleute. Die Kirche soll lieber den Armen helfen, anstatt dem Papst zig Weltreisen im Jahr zu spendieren.« Er schuttelte murrend den Kopf. »Ich wunschte, ich hatte ein paar Millionen, mit denen ich mich absetzen konnte.« Stirnrunzelnd sah er wieder auf das Display. »Ah, jetzt geht’s.« Er reichte ihr die Kreditkarte und den Kassenbon. »Gute Fahrt wunsche ich Ihnen.«
»Ja, danke«, sagte sie mit ein wenig Bedauern in der Stimme. Eigentlich hatte sie noch gern etwas mehr uber die Geruchte erfahren, die das Kloster zum Thema hatten, aber offenbar war der Tankwart nur so lange an Smalltalk mit einer Kundin interessiert, bis der Bezahlvorgang abgeschlossen war. Nicht, dass Alexandra viel auf dieses pauschalisierende Gerede gegeben hatte, doch es war immer interessant, dem »Volk aufs Maul zu schauen«, wie sie das in der Redaktion nannten.
Der Mann hatte bereits wieder die Zeitung aufgeschlagen. Mehr war ihm also nicht zu entlocken. Mit einem kurzen Gru? verlie? Alexandra die Tankstelle und ging zu ihrem Wagen.
Es war gegen vier Uhr, als Alexandra ins Klosterhotel zuruckkehrte. Nachdem sie die Einkaufe im Schrank verstaut hatte, verlie? sie ihr Zimmer und lief dabei ausgerechnet wieder Bernd Wilden in die Arme. Er hatte soeben ein neues Opfer gefunden, einen Monch, der damit beschaftigt war, den langen Korridor zu fegen.
»Konnen Sie dafur nicht einen nassen Aufnehmer benutzen, verdammt noch mal?«, zeterte er, als er den Mann mit dem Besen erreicht hatte. »Mit diesem Ding wirbeln Sie mehr Staub auf, als Sie uberhaupt wegfegen konnen.«
»Tut mir leid, aber dann wird der Fu?boden rutschig, und wir wollen nicht, dass jemand sturzt«, gab der altere, etwas beleibte Monch leise zuruck. Er trug sein wei?es Haar so kurz geschnitten, dass man fast meinen konnte, er hatte eine Glatze.
»Dann stellen Sie eben Schilder auf, dass der Boden rutschig ist«, entgegnete Wilden, der plotzlich bemerkte, dass Alexandra ein Stuck von ihm entfernt vor ihrem Zimmer stand und sich das Schauspiel ansah. »In einem vernunftigen Hotel ist das Personal im Ubrigen fur die Gaste unsichtbar. Da wird gefegt und gewischt und sauber gemacht, wenn niemand da ist, der sich davon gestort fuhlen konnte.«
Alexandra hatte von diesem Auftreten jetzt wirklich genug, auch wenn Wildens Unverschamtheiten diesmal nicht gegen sie gerichtet waren. Energisch ging sie auf die beiden Manner zu. »Sagen Sie, Herr Wilden, mussen Sie sich eigentlich immer und uberall so aufblasen?«
Wilden drehte sich zu ihr um. »Reden Sie mit mir?«
»Mit wem denn sonst?«, konterte sie.
»Wenn Sie schon meinen, Sie mussten mich ansprechen, dann sparen Sie sich wenigstens Ihren Sarkasmus! Ein einfaches ›Ja‹ hatte ausgereicht und mich nicht so viel Zeit gekostet.«
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Mussen Sie sich immer so aufspielen? Ist das eine Art Zwang bei Ihnen?«
»Ich gebe Ihnen jetzt mal einen kostenlosen Ratschlag, den Sie sich zu Herzen nehmen sollten, junge Dame. Es gibt eine wichtige Regel, wie man sich als Untergebener in der Offentlichkeit zu verhalten hat: Man soll sich nie mit einem Fremden anlegen. Es konnte ja sein, dass er schon morgen Ihr Vorgesetzter wird, und dann stehen Sie mit ganz, ganz schlechten Karten da.«
Alexandra konnte nun nicht mehr anders, sie musste laut lachen. Sie musterte Wilden von oben bis unten, und einmal mehr stellte sie fest, dass der Napoleon-Komplex nicht blo? ein Mythos war. »Wissen Sie was?«, sagte sie. »Sie konnen mich mal gernhaben, Sie kleiner Wichtel!« Damit drehte sie sich um, lachelte dem Monch noch einmal zu und machte sich auf den Weg ins Foyer. Sie hatte vor, sich dort nach Bruder Johannes zu erkundigen, der ihr als Ansprechpartner genannt worden war, um sie mit Hintergrundinformationen zum Hotel zu versorgen. Am Empfang arbeitete mittlerweile ein anderer, etwas jungerer Monch. Das dunkelbraune Haar trug er langer als alle Monche, die ihr bislang begegnet waren. Er stand vor der Tafel mit den Steckkarten und betrachtete sie.
»Verzeihung, darf ich kurz storen?«, fragte Alexandra.
Der Monch drehte sich zu ihr um. Er hatte ein schmales Gesicht mit tief liegenden, dunklen Augen, die ihm eine ein wenig unheimliche Ausstrahlung verliehen. Moglicherweise war er aber auch nur ubernachtigt. Als er Alexandra erblickte, verzog er den Mund zu einem Lacheln, dem sie ansehen konnte, dass es von Herzen kam.
»Was kann ich fur Sie tun, Frau … Berger, richtig?« Seine Stimme hatte etwas angenehm Sanftes und bildete einen krassen Gegensatz zu seinem dusteren Erscheinungsbild.
»Ja, genau. Ich wollte nachfragen, ob Bruder Johannes wohl etwas Zeit fur mich hat. Ich …«
»Stimmt, Sie sind die Journalistin«, unterbrach er sie. »Ich bin ubrigens Bruder Jonas.« Er ergriff ihre Hand und druckte sie.
Der Monch war eigentlich ein wirklich gut aussehender Mann, und er war noch recht jung. Was ihn wohl dazu veranlasst hat, sich fur ein Leben im Kloster zu entscheiden?, uberlegte Alexandra. Was immer es auch war, er hatte letztlich der Welt da drau?en nicht entkommen konnen. Wie musste er sich jetzt fuhlen, da das Kloster zum gro?ten Teil zu einem Hotel umfunktioniert worden war? Seine Plane, ein rein monastisches Leben zu fuhren, waren vom Schicksal vereitelt worden, was frustrierend sein musste.
»Bruder Johannes hatte am Telefon davon gesprochen, dass ich mit ihm wegen meines Artikels reden kann.«
»Er ist im Augenblick im Krautergarten«, erwiderte der junge Monch und zeigte auf einen Grundriss neben dem Empfang, der ihr zuvor gar nicht aufgefallen war. »Wenn Sie diesen Flur nehmen, bis zu dieser Tur dort, dann gelangen Sie geradewegs in den Krautergarten.«
Sie pragte sich den Weg ein, dann nickte sie Bruder Jonas zu und verlie? das Foyer.
Aus dem Refektorium, das sich auf der anderen Seite an den Empfangsbereich anschloss, war Stimmengewirr zu horen. Vermutlich sa?en dort einige Gaste bei einem Kaffee zusammen.
Nachdem Alexandra einem anderen Korridor gefolgt war, von dem aus eine Treppe ins Obergeschoss fuhrte, gelangte sie zu einer Tur mit Butzenscheiben, die in den Krautergarten fuhrte. Er lag eingebettet zwischen zwei lang gestreckten Gebaudetrakten. Im gegenuberliegenden Trakt befand sich Alexandras Zimmer, wahrend der Teil, den sie soeben durchquert hatte, wohl die Unterkunfte der Monche beherbergte. Jedenfalls hatten sich an den Zimmerturen dort keine Nummern befunden. Also waren sie zumindest derzeit noch nicht fur den Hotelbetrieb vorgesehen.
Alexandra trat in die Warme des Sommernachmittags hinaus, die sich im Hof zwischen den langlichen Gebaudetrakten staute. Der Krautergarten prasentierte sich als eine Reihe gepflegter Beete. Unzahlige kleine Schilder, die im Boden steckten, gaben eine genaue Auskunft daruber, was wo ausgesat oder gepflanzt worden war. In der Mitte befand sich ein Zierbrunnen, der so gar nicht in diese ansonsten so schlicht gehaltene Umgebung passen wollte.
Rechts von Alexandra wasserte ein Monch mit einem Gartenschlauch die Beete. Er stand mit dem Rucken zu ihr, doch Alexandra erkannte in ihm Bruder Andreas, der sie bei ihrer Ankunft im Hotel begru?t hatte.
Er war in seine Arbeit vertieft, und Alexandra wollte ihn nicht storen. Sie schaute nach links – und gab einen frustrierten Laut von sich, denn dort stand ein weiterer Monch, den sie bislang noch nicht gesehen hatte. Er unterhielt sich angeregt, und das ausgerechnet mit Tobias Rombach. Da Tobias einen Notizblock in der Hand hielt und mitschrieb, musste der Monch Bruder Johannes sein.