Nein, entschied Alexandra. Sie wurde sich nicht dazustellen und sich mit den Resten einer bereits begonnenen Unterhaltung begnugen. Wenn sie Pech hatte, wurde Bruder Johannes sie auf ihre Fragen hin an Tobias verweisen, dem er schon einiges erlautert hatte. Und dann wurde sie sich mit Informationen aus zweiter Hand zufriedengeben mussen. Womoglich wurde Tobias ihr sogar das eine oder andere wesentlich Detail verschweigen, weil er es exklusiv fur seinen Artikel verwenden wollte.

Also machte Alexandra kehrt, bevor Pater Johannes oder Tobias sie entdeckte, und ging durch den Flur zuruck, bis sie wieder zu der Treppe gelangte, die in den ersten Stock fuhrte. Uber das Schild an der Wand hatte man einen Zettel geklebt. Darauf war handschriftlich Sale I-IV vermerkt. Da nichts darauf hinwies, dass die besagten Sale nur dem Personal vorbehalten waren, beschloss Alexandra, sich im Obergeschoss einmal umzusehen.

Am Kopf der Treppe angekommen, fand sie sich vor einer Tur mit der Aufschrift Bibliothek wieder. Neugierig klopfte sie an, und als sich niemand meldete, druckte sie vorsichtig die Turklinke hinunter. Der Raum war in Dunkelheit getaucht. Sie ertastete links an der Wand einen Lichtschalter, und gleich erwachten mehrere Neonrohren flackernd zum Leben. »Wow«, entfuhr es Alexandra beim Anblick der unzahligen kostbaren Bucher, die hier verwahrt wurden. Die Wande waren bis unter die Decke mit Bucherregalen gesaumt. Zwischen den dicken, in Leder gebundenen Folianten klaffte nirgends eine Lucke. Mehrere parallel verlaufende Regalreihen fullten den inneren Teil des Raumes, der den etwas modrigen, aber trotzdem wunderbaren Geruch nach alten Buchern verstromte.

Fast andachtig ging Alexandra tiefer in die Bibliothek hinein und wanderte langsam an einem der Bucherregale entlang. Mit den Fingern strich sie uber einen Regalboden und legte den Kopf schrag, um die Titel auf den Buchrucken entziffern zu konnen. Zu ihrem Bedauern waren sie alle in Latein, womit Alexandra bis auf wenige Begriffe kaum etwas anfangen konnte. Dennoch fand sie diese alten Bucher, die schon ihren Urgro?eltern oder deren Eltern hatten gehoren konnen, einfach faszinierend.

»Nicht schon wieder!«, ertonte auf einmal eine energische Stimme von der Tur her, begleitet von hastigen Schritten in Sandalen, die sich klatschend uber den Steinboden naherten.

5. Kapitel

»Ich habe Ihnen doch gesagt, Herr Wilden, dass die Bibliothek nicht …« Der Monch, der auf Alexandra zugesturmt war, war etwa so gro? wie sie und ein wenig beleibt. Das rotliche Haar trug er glatt nach hinten gekammt, der krause Bart lie? ihn wie einen zerstreuten Professor wirken.

»Oh, entschuldigen Sie bitte!«, sagte er und errotete leicht. »Ich hatte mit jemand anderem gerechnet …«

»Alexandra Berger«, stellte sie sich vor und gab ihm die Hand. »Vom Magazin Traveltime

»Ach, Sie sind die Journalistin, von der Bruder Johannes gesprochen hat! Angenehm, ich bin Bruder Dietmar. Entschuldigen Sie meinen Ausbruch, doch ich hatte einen anderen Gast erwartet …«

Alexandra schmunzelte. »Herrn Wilden, richtig?«

»Ja, genau. Ich habe ihm bereits mehrfach gesagt, dass die Gaste unseres Hotels die Bibliothek nur in Begleitung eines der Monche betreten durfen. Aber da er dies einfach nicht akzeptiert, habe ich jetzt den hier mitgebracht, um dem einen Riegel vorzuschieben.« Er hielt einen Schlussel in die Hohe. »Herr Wilden hat unberechtigt wertvolle Bucher abfotografiert, um sie im Internet probehalber zum Verkauf anzubieten. Angeblich hat er in kurzester Zeit Hunderte von Anfragen erhalten. Doch wir sind nicht am Verkauf unserer Bibliothek interessiert, und das haben wir diesem Mann auch versucht klarzumachen.«

»Ja, Herr Wilden macht es einem schwer, ihn zu mogen«, stellte Alexandra fest.

»Ach, niemand hier kann ihn leiden, nicht mal seine Angestellten. Er ist mit einer Gruppe leitender Angestellter im Hotel, damit sie gemeinsam einen unserer Motivationskurse absolvieren. Unserem Kursleiter fahrt er standig uber den Mund und macht irgendwelche Verbesserungsvorschlage. Er norgelt hier und kritisiert da.«

»Ja, das kann ich mir vorstellen. Dann werden Sie also jetzt die Bibliothek abschlie?en?«

»Die Bibliothek und jeden anderen Raum, in dem Wilden nichts zu suchen hat. Sie durfen sich naturlich gern hier umsehen, aber solange er im Haus ist, bleibt diese Tur abgeschlossen.«

»Danke, auf das Angebot werde ich ganz bestimmt zuruckkommen«, versicherte Alexandra ihm mit einem freundlichen Lacheln und verlie? den Raum. »Oh, was machst du denn hier?«, entfuhr es ihr, als sie im Korridor vor der Bibliothek Kater Brown entdeckte. Er sa? am Treppengelander und schaute ihr entgegen, als hatte er auf sie gewartet. Prompt kam er zu ihr und strich um ihre Beine.

»Erstaunlich«, sagte Bruder Dietmar, der die Tur zur Bibliothek abschloss. »Das habe ich ja noch nie erlebt! Kater Brown ist normalerweise sehr zuruckhaltend, vor allem gegenuber unseren Gasten. Sogar bei uns zieht er es meistens vor, uns aus sicherer Distanz zu beobachten. Eigentlich kommt er nur von sich aus naher, wenn sein Napf gefullt wird.«

»Ich fuhle mich geehrt, Kater Brown«, sagte Alexandra und hockte sich hin, um das weiche schwarze Fell des Katers zu streicheln. Er fing sogleich an zu schnurren und miaute zwischendurch immer wieder leise. »Du bist ja richtig gesprachig!«

»Ebenfalls vor allem dann, wenn es ums Essen geht«, bemerkte Bruder Dietmar lachend. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen das Klosterhotel, wenn Sie mochten. Oder hat Bruder Johannes Sie bereits herumgefuhrt?«

Sie schuttelte den Kopf. »Dazu hatte er noch keine Gelegenheit.«

Gefolgt von Kater Brown, der offenbar nicht von Alexandras Seite weichen wollte, gingen sie an einem Buro vorbei, in dem man die Verwaltung des Klosterhotels eingerichtet hatte. Dort sa?en zwei Monche an hochmodernen Computern, ein Anblick, der Alexandra im ersten Moment ein wenig stutzig machte.

»Ich kann mir vorstellen, dass Sie sich wundern. Der Raum wirkt wie ein Fremdkorper in diesen altehrwurdigen, schlichten Mauern«, bemerkte Bruder Dietmar mit einem Seitenblick auf Alexandra. »Aber wir wollen die Technik wirklich nur in dem Umfang einsetzen, der unbedingt notig ist. Der Rest des Hauses entspricht ganz den Erwartungen unserer Gaste. Es soll alles bescheiden und einfach wirken. Au?er Ihnen bekommt auch niemand die Verwaltung zu sehen, also wird die Illusion nicht gestort.« Bruder Dietmar schloss die Tur und gab Alexandra mit einer Geste zu verstehen, dass die Fuhrung weiterging.

»Wenn man vom iPad am Empfang absieht«, fugte sie schmunzelnd an.

»Ach, das. Ja. Das Benutzen von Tablet-PCs war eine der Bedingungen, damit wir den Kredit bekommen. Und die Dinger ebenfalls.« Er griff in seine Kutte und holte ein Handy hervor – genauer gesagt, ein Smartphone. »Diese Kompromisse mussten wir eingehen.«

Alexandra runzelte die Stirn. »Aber warum?«

»Eine von Hand gefuhrte Buchhaltung kann nicht auf Tastendruck die aktuellen Zahlen auswerfen, und die Leute von der Bank bestanden darauf, jederzeit diese Zahlen anfordern zu konnen, ohne erst tagelang auf die Unterlagen warten zu mussen.« Er zuckte bedauernd mit den Schultern. »Offenbar sind wir fur die Bank trotz all unserer Bemuhungen ein etwas wackliger Kandidat, und nach dem Debakel mit unserem Abt will man uns den Kredit immer nur in den Happchen uberlassen, die wir gerade benotigen. Offenbar will man so verhindern, dass noch mal jemand mit ein paar Millionen untertaucht.«

Alexandra nickte. »Na ja, aus Sicht der Bank kann man das verstehen. Aber wieso die Handys?«

»Wir sollen wie die Mitarbeiter in jedem anderen Hotel jederzeit erreichbar sein. Es geht nicht, dass wie fruher in einem einzigen Raum in unserem Kloster ein klobiges altes Telefon mit Wahlscheibe steht, das keine Anrufe aufzeichnen und keine SMS empfangen kann.« Bruder Dietmar wiegte den Kopf hin und her. »Anfangs war ich ziemlich skeptisch, weil das ja etwas … etwas sehr Weltliches ist, aber mittlerweile bin ich wie die meisten meiner Bruder von dieser Technik richtig begeistert.« Sie hatten das Ende des Korridors in diesem Trakt erreicht, der Gang bog nach links ab. Bruder Dietmar offnete eine Tur mit der Aufschrift Saal I, und mit einem Mal wurde Stimmengewirr laut.

Gut ein Dutzend Manner und Frauen standen vor im Kreis angeordneten Staffeleien und traktierten Leinwande mit Olfarbe. Ein paar der Anwesenden wandten sich kurz um und nickten Bruder Dietmar und

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