»Aber das Blut erscheint von selbst.«

Meej lachte. »Nein.«

»Sie wissen anscheinend mehr als ich.«

»Das junge Madchen ist seit vorgestern hier. Ich wei? nicht, ob sie eine Verwandte ist oder nur ein Madchen aus dem Dorf, das sich um die alte Dame kummert. Eines schonen Tages ist Frau Duaning einfach verschwunden. Nachdem die Kleine sie hier gefunden hatte, lief sie davon und kam ein paar Stunden spater mit drei Schweinen und einer Machete wieder.«

»Und warum habe ich sie dann noch nicht gesehen?«

»Die wei?e Medizin ist ihr nicht ganz geheuer. Sie halt sich hinter dem Haus versteckt. Offenbar besteht ihre einzige Aufgabe darin, die Fu?e der alten Frau in Blut zu baden, bis es vorbei ist.«

»Wei? sie, was ihr fehlt?«

»Sie hat nichts gesagt.«

»Wissen Sie, wo sie ist?«

»Ja.«

»Wurden Sie mich zu ihr bringen?«

»Ah …«

»Was denn?«

»Konnten Sie vorher vielleicht Ihre wei?e Uniform ausziehen? Sonst halt die Kleine Sie fur einen Geist.«

Dtui sah an sich hinunter, betrachtete die einzige Schwesterntracht, die sie mitgebracht hatte, und musste lacheln. Wei? konnte man sie eigentlich nicht mehr nennen. »Gibt es hier oben so dicke Geister? Na schon. Bringen Sie das Madchen in Frau Wunderlichs Zimmer, und ich ziehe derweil mein Geisterkostum aus.« Sie streifte einen grunen OP-Kittel uber ihre Uniform.

Zehn Minuten spater schob Meej ein etwa zehnjahriges Madchen in das kleine Krankenzimmer, in dem au?er Frau Wunderlich nur drei schwer sedierte Patienten lagen. Das Madchen hatte ein Marmeladenglas mit frischem Blut im Arm. Dtui lachelte, doch beim Anblick ihrer gleichma?igen wei?en Zahne wich die Kleine zuruck. »Sprichst du Laotisch?«, fragte Dtui.

Das Madchen sah zu Meej. »Nein«, sagte er.

»Wurden Sie sie dann bitte fragen, warum sie nach Hause gelaufen ist und die Opferschweine geholt hat?«

Er tat wie gehei?en. Dtui fiel auf, dass die Fragen ebenso lang waren wie die Antworten kurz. »Sie sagt, die Frau ist besessen.«

»Wie kommt sie darauf?«

Das Madchen zeigte auf den Mund der Frau, die mit schwacher Stimme die ewig gleiche Litanei herunterbetete. »Das«, sagte sie.

»Was, das?«

Frau Wunderlich sagte immer wieder dieselben Worte vor sich hin, in tadellosem nordlaotischen Dialekt.

»Sie sagt, die alte Frau spricht kein Laotisch. Nicht ein einziges Wort.« Dtui zog erstaunt die Augenbrauen hoch und stie? einen leisen Pfiff aus. »Aha.«

»Und das ist noch nicht alles«, sagte Meej.

»Noch seltsamer kann es wohl kaum werden.«

»Doch, Schwester Dtui. Sie sagt, die Stimme, mit der die Alte spricht – diese Stimme gehort nicht Frau Duaning. Jemand anders spricht durch sie.«

Als Genosse Lit am spaten Nachmittag im Gastehaus eintraf, sa? Dr. Siri auf der Veranda. »Wohlsein, Genosse Doktor.« Sie gaben sich die Hand. »Ich habe von der wundersamen Heilung unseres … Hausgastes gehort.«

»Auf die stille Post ist offenbar Verlass.«

»Ich mochte Ihnen danken. Wenn etwas passiert ware, hatten wir die gro?ten Schwierigkeiten bekommen.«

»Nicht der Rede wert.«

»Trotzdem lasst die Partei ihren aufrichtigen Dank ubermitteln, und …«

»Heraus damit.«

»Wir waren Ihnen uberaus dankbar, wenn Sie die Identitat unserer Gaste vertraulich behandeln wurden.«

»Mist, ich wollte sie gerade im Staatsrundfunk verkunden. Wem, zum Teufel, sollte ich wohl davon erzahlen?«

»Vor allem ware es mir lieb« – er senkte die Stimme -, »wenn Sie Ihrer Assistentin gegenuber Stillschweigen bewahren konnten.«

»Warum? Gilt sie jetzt schon als Sicherheitsrisiko?«

»Nicht … nein, sie … Bitte.«

»Ich werde mein Moglichstes tun. Haben Sie Neuigkeiten fur mich?«

»Mehr, als ich erwartet hatte«, sagte der gro? gewachsene Mann und nahm dem Doktor gegenuber Platz. Siri schenkte ihm aus der Thermoskanne eine Tasse Tee ein und lie? sie abkuhlen.

»Ich habe soeben mit der Einwanderungspolizei in Hanoi gesprochen. Ich hatte gestern dort angerufen und die Namen Ihrer kubanischen Pfleger durchgegeben. Die Kollegen mussten sich durch riesige Aktenberge wuhlen. Sie wissen ja, wie das ist. Wie es scheint, sa? keiner der beiden Manner in der gebuchten Maschine. Genauer gesagt, gibt es nicht den geringsten Hinweis darauf, dass sie das Land uberhaupt verlassen haben.«

»Aber sie wurden nach Hanoi gebracht?«

»Ja. Dort sind sie auch angekommen. Sie hatten eine Militareskorte. Ich habe mit dem Fahrer gesprochen. Er erinnert sich genau.«

»Dann durfen wir also annehmen, dass sie auf der Stelle kehrtgemacht und den Ruckweg angetreten haben?«

»Ich wei? nicht. Wenn ja, musste es jemandem aufgefallen sein. Ich habe meine Leute angewiesen, sich ein wenig umzuhoren.«

»Gibt es etwas Neues uber den vietnamesischen Oberst?«

»Sein Name war Ha Hung. Ich furchte, die Ermittlungen haben sich totgelaufen – im wahrsten Sinne des Wortes. Drei Monate, bevor der Betonweg gegossen wurde, kam der Oberst ums Leben.«

»Unter welchen Umstanden?«

»Ein Hinterhalt der Hmong.«

»Und was wurde aus seiner Tochter?«

»Keine Ahnung. Angeblich ging die Familie nach dem Tod ihres alten Herrn nach Vietnam zuruck. Was die Suche nicht eben leichter macht.«

»Wurden Sie es trotzdem probieren? Mir zuliebe?«

»Aber sicher. Sonst noch was?«

»Dr. Santiago wollte auf dem Weg zum Krankenhaus bei Kilometer 8 rasch hier vorbeischauen. Ich habe ihn gebeten, einen Blick auf unsere Mumie zu werfen. Vielleicht erkennt er den Mann ja wieder.«

»Hmm. Nach allem, was von ihm noch ubrig ist, wird ihn wohl auch der gro?e Dr. Santiago nicht identifizieren konnen. Er ist vermutlich ohnehin zu sehr damit beschaftigt, blutjungen Madchen nachzusteigen, die ohne Weiteres seine Enkelinnen sein konnten.« Siri bemerkte den hasserfullten Unterton durchaus, doch sein Interesse war zu gering, um der Sache auf den Grund zu gehen. Lit blickte sich um. »Mir ist aufgefallen, dass Schwester Dtui nicht an unseren letzten beiden Lagebesprechungen teilgenommen hat. Das hangt doch hoffentlich nicht damit zusammen, dass ich ihr neulich den Kopf gewaschen habe?«

»Ich will es mal so sagen, mein Junge. Man mag einen Gibbon domestizieren konnen, indem man ihm immer wieder mit dem Hammer auf den Schadel schlagt, Menschen hingegen reagieren auf eine Gehirnerschutterung im Allgemeinen allergisch.«

»Zu meinen Aufgaben gehoren auch Bildung und Erziehung.«

»Man haut den Leuten eine Philosophie nicht um die Ohren, junger Mann. Man macht sie nach und nach damit vertraut.«

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