laotischer Kip. Wunderschone Scheine, von denen der Konig, mit kantigem Kiefer und Burstenschnitt, den Betrachter trotzig anfunkelte. Nach zwei verheerenden Entwertungen und der Umstellung auf den schwachen liberation kip besa?en sie allerdings nur noch asthetischen Wert.

Siri hatte genug gesehen, au?erdem bekam er allmahlich Platzangst. Er ging zur Seitentur zuruck und trat hinaus in die glei?ende Sonne. Als seine Augen sich an das grelle Licht gewohnt hatten, blickte er an sich hinunter und bemerkte, dass sein dunkelblaues Safarihemd und seine schwarze Hose mit einer dicken wei?en Staubschicht uberzogen waren. Er wollte sich eben abklopfen, als er sah, dass sich der Staub bewegte. Er fuhr mit der Handkante uber seinen Armel und schaute etwas genauer hin. Verblufft stellte er fest, dass er vom Kragen bis zu den Manschetten mit winzigen wei?en Spinnen ubersat war. Als er die Spinnweben beiseitegewischt hatte, um das Zimmer zu durchsuchen, hatten die Tiere sich an seine Kleidung geheftet. Er betrachtete sich voller Bewunderung – Millionen mikroskopisch kleiner Spinnen reflektierten das Sonnenlicht wie ein schillernder Elvis-Presley- Anzug.

Als Siri ins Gastehaus Nr. 1 zuruckkam, stand Lits Jeep vor der Tur. Er fragte sich, warum die Ermittlungsarbeit allein ihm uberlassen blieb, wahrend der Sicherheitschef weiter nichts tat, als hin und wieder einen Gastauftritt zu absolvieren und sich Unmengen von Notizen zu machen. Auf der Vortreppe fiel ihm die Antwort ein. Wie Santiago angedeutet hatte, war Lit in erster Linie Burokrat. Ein treuer Parteisoldat, der seitwarts befordert wurde – diesen Monat Chef der Sicherheitsabteilung, nachsten Monat Leiter der Abfall- und Abwasserentsorgung. Dabei ging es weniger um Qualifikation als um Vertrauen. Er war weder Polizist noch ausgebildeter Ermittler und hatte keinen Schimmer, wie er diesen, seinen wichtigsten Fall handhaben sollte, der bis in hochste Kreise zu reichen schien. Zwar befanden sich unter seinen Leuten zweifelsohne kompetente Polizisten, doch durfte er sich keinesfalls dabei erwischen lassen, wie er in einer so bedeutenden Angelegenheit wie dieser die Zugel aus der Hand gab. Da kam ihm Siri wie gerufen.

»Dr. Siri, ich hatte nicht gedacht, dass wir uns noch einmal wiedersehen«, sagte der Chef und stand auf, um dem Doktor die Hand zu schutteln.

»Genosse Lit, Sie hatten jederzeit bei Kilometer 8 vorbeischauen konnen. Sie wussten doch, wo ich zu finden war.«

»Ich wollte Sie nicht storen. Ich wei? ja, wie hektisch es dort drau?en manchmal zugeht. Aber wollen wir uns nicht in den Speisesaal setzen? Ich habe uns ein paar Flaschen vietnamesisches Bier mitgebracht. Ich bin gespannt, wie Sie mit den Ermittlungen vorangekommen sind.«

Das Bier erwies sich als keine gute Idee. Es war warm und schon ein wenig schal, und Siri wusste aus Erfahrung, dass es ihm einen machtigen Brummschadel bescheren wurde. Trotzdem verlief die Besprechung durchaus angenehm. Er schilderte Lit in allen Einzelheiten, was geschehen war – der Altar, die Opferungen, das Geheimversteck in der Prasidentenhohle – und verschwieg ihm lediglich die Begegnung mit Odons Geist und der Fledermaus. Lit schien beeindruckt und machte sich eifrig Notizen. Viel mehr hatte er offenbar nicht beizutragen. Weder war es ihm gelungen, Oberst Ha Hungs Familie ausfindig zu machen, noch hatte er einen Zeugen fur die Ruckkehr der beiden Kubaner aus Hanoi auftreiben konnen. Siri bezweifelte, dass der Mann es uberhaupt versucht hatte.

Eine Frage lie? Siri keine Ruhe: Warum hatten die zustandigen Behorden ein erkleckliches Summchen fur den Bau eines Weges bereitgestellt, der vom Haus des Prasidenten zu dessen fruherer Hohle fuhrte, obwohl die Hohle verlassen war und seit dem Auszug niemand auch nur das geringste Interesse dafur bekundet hatte? Lit erklarte ihm, es handele sich um einen historischen Ort wie Lincolns Hutte oder Hitlers Bunker, und in nicht allzu ferner Zukunft wurden Scharen von Touristen nach Vieng Xai pilgern, um die Grundungsstatte der stolzen, ruhmreichen Republik in Augenschein zu nehmen.

Diese Antwort genugte Siri, obwohl er sich Busreisen nach Vieng Xai nur schwer vorstellen konnte. Sie tranken ihr Bier aus Teetassen, bis Lit schlie?lich in den Nebel davonfuhr, der mit dem Einbruch der Dunkelheit gekommen war.

Jetzt sa? Siri mit einer Tasse starkem Kaffee auf der Veranda. Ihm fehlte der Klang der klui, die ihre immer gleiche Melodie spielte. Der Wachposten im ersten Stock war verschwunden, ebenso die Sperrholzwand, und die Zimmer standen leer. Keiner der Angestellten schien zu wissen oder preisgeben zu wollen, wohin man die konigliche Familie gebracht hatte, und Siri glaubte nicht, dass er sie jemals wiedersehen wurde. Das Kuchenpersonal war zu Bett gegangen und hatte Siri gebeten, die Tasse uber Nacht mit auf sein Zimmer zu nehmen. Die Tassen waren, wie Teller und Besteck, nummeriert und wurden zu jedem Monatsletzten einer grundlichen Inventur unterzogen.

Nach den zwei arbeitsreichen Tagen im Krankenhaus genoss er die nachtliche Ruhe von Vieng Xai. Obwohl es sich um eine mittlere Gro?stadt handelte, waren die Einwohner Landmenschen, die fruh schlafen gingen und mit der Sonne aufstanden. Er genoss die Kalte und die feuchten Wolken, die so tief hingen, dass er nur auf einen Stuhl zu klettern brauchte, um hineinzugreifen. Er genoss das ferne Krahen eines nicht ganz stimmsicheren Hahns und das Bellen der Lemuren hoch oben in den Karsten. Und dann, als wollte der Gott des Elends personlich ihm die Laune verderben, plarrte auf einmal die verfluchte Diskothek los. Es war kein Plattenspieler und kein Radio. Der Bass lie? den Boden unter seinen Fu?en erzittern. Er horte junge Leute einen Refrain mitgrolen, dessen Text sie nicht verstanden.

Da er seit seiner Ruckkehr noch nicht auf seinem Zimmer gewesen war, lag seine Tasche mit der Lampe neben ihm auf dem Stuhl. Irgendetwas drangte ihn, der Sache auf den Grund zu gehen und dem Beat zu folgen. Das Echo in einem Tal voller Felsnadeln kann bisweilen tauschen, doch der Larm schien aus dem Hohlenkomplex der Armee zu kommen. Der lag knapp einen Kilometer entfernt, hinter dem Fu?ballplatz. Er trank seinen Kaffee aus und steckte die Tasse in seine Tasche. Ohne seine Taschenlampe hatte er sich mit Sicherheit verlaufen. Am Himmel standen weder Mond noch Sterne, und da das Personal des Gastehauses bereits im Bett lag, brannte auch kein Licht, das ihm den Weg hatte weisen konnen. Orientierung boten ihm allein das Pochen unter seinen Fu?en und die immer lauter werdende Musik. Doch als er sich dem Krach auf leisen Sohlen naherte, geschah etwas Unerhortes. Plotzlich packte ihn der Rhythmus.

In ihrer Zeit an der Pariser Universitat hatten Siri und Boua gelegentlich in kleinen Studentencafes miteinander getanzt. Nach ihrer Ruckkehr in die Heimat hatten sie sich den rauschhaften lumwong- Kreistanzen hingegeben, einer Art Zeitlupen-Muckenklatschen zu Musikbegleitung. Doch weder das eine noch das andere erforderte besonderes Rhythmusgefuhl, was Siri sehr entgegenkam, denn er verfugte uber nichts dergleichen. Kopfnicken und Fingerschnippen waren ihm fremd, trotzdem bewegte er sich zu seinem Erstaunen im Takt der Musik. Er schwang sogar die Huften. Der Mittelfinger seiner rechten Hand schnipste immer wieder gegen den Daumenballen und erzeugte dabei ein Gerausch wie ein Streichholz auf einer nassen Reibflache. Es war eine bizarre, aber keineswegs unangenehme Empfindung. Er fuhlte sich eins mit der Musik, eine unerklarliche Symbiose, die er noch bis vor Kurzem fur unmoglich gehalten hatte.

Er uberquerte das holprige Fu?ballfeld und nahm den unbefestigten Weg, der am Haus des Generals vorbei zu den Armeehohlen fuhrte. Er war bereits ein paar Mal dort gewesen. Oben lagen die in den Berg gehauenen Wohnungen der Militarfuhrung. Darunter erstreckte sich eine riesige naturliche Hohle, die man zum Konzertsaal ausgebaut hatte. Am einen Ende befand sich eine betonierte Buhne mit einem tiefen Orchestergraben. Die Sitzreihen stiegen zum schmalen Hohleneingang hin sanft an, durch den tagsuber ein wenig Licht und nachts kuhle Luft hereinstromte. Der Saal verfugte uber eine Quelle, an der die Konzertbesucher ihren Durst loschen konnten, und eine Akustik, um die ihn selbst die Mailander Scala beneidet hatte.

Hier sollte in der nachsten Woche das Konzert fur Freundschaft und Zusammenarbeit stattfinden, ein startrachtiges Spektakel zur Feier der Unterzeichnung des laotisch-vietnamesischen Funfundzwanzig-Jahres- Vertrages uber Freundschaft und Zusammenarbeit der beiden Staaten. Die fruheren Hohlenbewohner wurden zu einem nostalgischen Wochenende anreisen, die auslandischen Gaste in ihre eleganten neuen Hauser einladen und sie am Sonntagabend in dieses unterirdische Wunderwerk entfuhren, um sich eine Vorstellung der besten vietnamesischen Tanzer und Musiker anzusehen. Danach wurden sie sich beim lumwong ins Reiswhisky-Nirwana schunkeln, bis sie in ihr Quartier zuruckgetragen werden mussten. Siri hatte Lit gefragt, warum das Unterhaltungsprogramm ausschlie?lich von Vietnamesen bestritten werde. Zwar rage die Provinz Houaphan geografisch gesehen in das Nachbarland hinein wie der Hintern einer dicken Frau aus einem schmalen Badezimmerfenster, gehore seines Wissens aber immer noch zu Laos. Lit betete die entsprechenden Parolen herunter – »unseren vietnamesischen Gasten Respekt zollen«, »von erfahreneren Kunstlern lernen« -, hatte jedoch keine Erklarung dafur, warum Laos nicht eine einzige Attraktion zu bieten hatte, mit der man die Gaste hatte

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