und wohlbehalten in ihrer Zelle, und Woot wartete auf sein Kopfgeld. Sobald er seinen Lohn erhalten hatte, wollte er zuruck auf die Stra?e, um Aufstandische aufzuspuren, Doppelagenten zu enttarnen und Sympathisanten des royalistischen Regimes unschadlich zu machen. Aber der Bezirksstellenleiter wollte ihn nicht ausbezahlen.

»Woot«, sagte er. »Wei?t du was? Ich glaube nicht, dass Vientiane mir deine Geschichte abkauft.«

»Was soll das hei?en?«, entgegnete Woot aufgebracht. »Ich habe ihn in flagranti dabei erwischt, wie er sich am Flugplatz Notizen machte.«

»Und wo sind die Beweise?«

»Mann, ich hab’s dir doch erklart. Bevor ich ihm den Zettel wegnehmen konnte, hatte er ihn auch schon verschluckt. Hatte ich ihm vielleicht die Finger in den Rachen schieben und den Wisch wieder herausfischen sollen, oder was?«

Hauptmann Bounyasith war ein alter Saufkumpan von Woot und erhielt einen prozentualen Anteil an samtlichen Kopfgeldern, die er seinen Au?endienstmitarbeitern ausbezahlte. Er gab sich alle Muhe, die Geschichte ins Rollen zu bringen, aber sie kam einfach nicht vom Fleck. »Au?erdem«, sagte er, »ist der Flugplatz seit dem Abzug von Air America stillgelegt.«

»Aufklarung, Genosse. Aufklarung. Die Aufstandischen haben den Flugplatz offenbar als kunftiges Operationsziel ins Auge gefasst. Komm schon. Lass mich nicht hangen, Bruder.«

»Ich sage dir nur, was ich dazu aus Vientiane zu horen bekommen werde. Weiter nichts.« Der mude alte Hauptmann tunkte seufzend einen vietnamesischen Keks in seinen Tee. Der Keks zerbrach, und die Einzelteile versanken in der Tasse. Der Hauptmann fluchte halblaut. Alles schien ihm unter den Fingern zu zerbrockeln.

»Na schon«, lenkte Woot schlie?lich ein. »Immerhin sitzt der Aufstandische hinter Gittern.«

Der Hauptmann fischte mit einem Kugelschreiber nach den Uberresten des verlorenen Backwerks, fand jedoch nicht den geringsten Hinweis darauf, dass der Keks jemals existiert hatte. »Hast du denn nicht gemerkt, dass der Bursche nicht ganz dicht ist?«, sagte er. »Oder dachtest du, das fallt beim Verhor schon keinem auf?«

»Alles Tarnung.«

»Tarnung? Du meinst, er tut nur so, als ob er aussehen wurde, wie er aussieht? Du meinst, er hat in Wahrheit gar keinen Sprachfehler und auch keine Horprobleme? Du meinst, er hat weder schuppige Haut noch Plattfu?e und stinkt auch nicht wie eine Feldlatrine?«

Eine Weile herrschte Schweigen.

»Er ist gut, das muss man ihm lassen.«

Hauptmann Bounyasith lehnte sich zuruck und kippte seinen Tee durch das offene Fenster in den Hof. Sie horten, wie die Huhner sich gackernd daruber hermachten. »Nein, Woot. Das haut nicht hin. Das glaubt uns doch kein Mensch.«

»Schei?e!« Der Spitzel, der in der ganzen Provinz als Spitzel bekannt und beruchtigt war, stand auf und verfluchte sein Gluck. »Was hast du mit ihm vor?«

»Ich gebe ihm einen Happen zu essen und lasse ihn dann wieder laufen.«

»Er hatte nicht zufallig Geld bei sich?«

»Keinen blanken Kip.«

»Mist. Nicht mal mein Benzingeld kriege ich zuruck. Was fur ein Schei?tag.«

14

FRAU WUNDERLICH KEHRT HEIM

Obwohl Frau Wunderlichs Dorf nur funf Kilometer von Vieng Xai entfernt lag, fuhrte keine Stra?e dorthin. Siri, Dtui, Panoy und ihr Fuhrer waren einem schmalen Pfad gefolgt, der sich gemachlich durch ein sanftes Tal schlangelte, vorbei an Felsnadeln, die wie obszon gereckte Finger in die Hohe ragten. Das Dorf lag dummerweise auch noch auf einer Hugelkuppe, als ob es sich in grauer Vorzeit vor einer Flut dorthin gefluchtet hatte. Die letzten funfzig Meter schien es fast senkrecht bergan zu gehen. Dtui hatte Panoy den ganzen Weg getragen, und obwohl die Kleine kaum mehr wog als eine Feder, hatte Dtui das Gefuhl, dass ihr das letzte Stuck den Rest geben wurde. Zum Gluck erkannte das Madchen, das Frau Wunderlichs Fu?e mit Blut bestrichen hatte, die dicke Krankenschwester wieder und kam ihr entgegen, um sie von ihrer Last zu befreien.

Die Dorfbewohner hie?en sie verwirrt willkommen und fuhrten sie zur Hutte des Schamanen, der in einer Ecke sa? und sich langsam hin und her wiegte. Mit einer muden Armbewegung bat er die Fremdlinge herein. Er war um die vierzig, muskulos und freundlich, aber derart benebelt, dass Siri und Dtui bei seinen Worten beinahe eingeschlafen waren. Er hatte angeblich einen Trank aus heimischen Krautern erfunden, der, dreimal taglich eingenommen, jedes Hungergefuhl vertrieb. Er versetzte ihn au?erdem in einen anhaltenden Rauschzustand, den er nur ungern durch Arbeit unterbrach.

»Wissen Sie«, lallte er mit schwerer Zunge, »ein Exorzismus bedarf grundlicher Vorbereitung. Das kann viele, viele Tage dauern. Manchmal sogar Wochen. Jahre.« Er hatte offenbar keinen Schimmer, wer ihm gegenubersa?. Dr. Siri wusste nur zu gut, dass sich ein Exorzismus notfalls auch binnen einer Stunde zuwege bringen lie?. Sofern die geistige Verfassung des Schamanen es erlaubte. Was hier eindeutig nicht der Fall war.

»Gro?er, verehrter Hexenmeister«, sagte Siri. »Sie haben selbstverstandlich Recht. Aber hier in Ihrem Dorf liegt eine arme, bedauernswerte Frau in Betelnussblatter gehullt, die nicht verbrannt werden kann, solange ihre Seele nicht in ihren Korper zuruckgekehrt ist. Wir haben Ihnen diese Seele mitgebracht, sie steckt im Korper dieses kleinen Madchens. Einen Exorzismus kann man das kaum nennen – ich wurde es eher mit einer Yamswurzel vergleichen, die es in einen anderen Garten umzusetzen gilt. Es konnte einfacher nicht sein.«

Ganz so einfach war es naturlich nicht, aber Siri brauchte den Schamanen nur dazu zu bringen, sein Handwerkszeug zusammenzusuchen, den Rest wurde Yeh Ming erledigen. Der Schamane stie? einen langen, tiefen Seufzer aus und begann die damit verbundenen Schwierigkeiten aufzuzahlen. Siri hatte fur solchen Unsinn keine Zeit. Er beschloss, dem Mann ein wenig Feuer unter dem Hintern zu machen. Er ergriff seine Hand und druckte sie fest. Die Anwesenden bemerkten, wie mit dem Schamanen eine Veranderung vor sich ging. Er schien Dinge zu schauen, die au?er ihm niemand sehen konnte. Als wurde er mit Informationen vollgepumpt wie ein Autoreifen mit Luft. Bevor er platzen konnte, lie? Siri seine Hand los.

»Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?« Der Schamane lachelte. »Herzlich willkommen.«

Binnen Stundenfrist standen die notigen Requisiten bereit. Der Schamane trug einen roten Umhang mit heruntergezogener Kapuze. Es war eine bescheidene Angelegenheit. Au?er den beiden Betroffenen, dem Schamanen, Siri und Dtui waren nur drei Zeugen zugegen, unter ihnen auch die Ehefrau des Schamanen, die diverse Schlaginstrumente spielte, was sich anhorte wie eine Schublade voll klappernder Kuchenutensilien. Normalerweise hatte es Siri nicht gestort, aber jetzt verursachte ihr mangelndes Rhythmusgefuhl ihm bislang ungekannte Qualen.

Er hatte all das schon einmal erlebt, wenn auch in ungleich gro?erem Ma?stab, doch fur Dtui war es die erste paranormale Zeremonie, und sie wollte, sie hatte die Geistesgegenwart besessen, die Kamera aus der Pathologie mitzunehmen. Fasziniert betrachtete sie das Tablett, auf dem Steine und Schmuckgegenstande, ein Dolch und, als Opfergaben, Zigaretten und Lebensmittel lagen. Den Kegel aus kunstvoll gefalteten Bananenblattern, den sie schon des Ofteren bei Hochzeiten und Beerdigungen, aber noch nie so uppig geschmuckt gesehen hatte. Lange, ungesponnene wei?e Baumwollfaden zogen sich von der Spitze des Gebildes zu Panoy und Frau Wunderlich, die rucklings auf dem Fu?boden lagen. Zu ihrer aller Gluck hatten die Frauen des Dorfes den Leichnam der alten Dame mit Parfum und Moschusolen eingerieben, die den Verwesungsgeruch des Todes so weit dampften, dass die Zeremonie stattfinden konnte.

Der Schamane hockte volle zwanzig Minuten im Schneidersitz vor dem Schrein und skandierte eine Reihe reichlich abgedroschener Mantras. Ein zeremonieller Dolch ragte aus der lockeren Erde zu seinen Fu?en. Siri schloss die Finger um sein Amulett. Ein nervoser Angstschauer kroch ihm ins Genick. Bei seinem letzten Exorzismus hatten die Phibob den Schamanen getotet und Siri fast das Leben ausgesaugt. Diesmal war er besser vorbereitet, trotzdem hoffte er instandig, dass die bosen Geister zu so fruher Stunde noch schliefen.

Der Schamane, der dem Nirwana ohnehin ein Stuckchen naher schien als viele andere, verfiel rasch in Trance. Seine Frau zog ihm die Kapuze uber den Kopf, und Dtui fragte sich, ob er jetzt uberhaupt noch sehen

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