darum mussten wir ein paar Uberstunden einlegen, um punktlich fertig zu werden. Als wir spatabends zu unseren Hutten hinuntergingen, war es schon dunkel.

Wir waren alle drei fix und fertig und freuten uns nur noch auf ein gutes Essen und unser Bett. Wir waren gerade beim Fu?ballplatz angekommen. Wie so oft herrschte dieser schreckliche Nebel, der einem kalte Schauer uber den Rucken jagt, wenn man nur hindurchgeht. Da sahen wir sie.«

»Die Kubaner?«, fragte Siri.

»Und das Madchen.«

»Hong Lan? Die Vietnamesin?«

»Da bin ich mir nicht ganz sicher, aber naturlich kannten wir die Geschichten uber schwarze Magie und die Entfuhrung und so weiter. Der gro?ere der beiden hatte das Madchen auf dem Arm. Sie wissen schon, wie man alte Leute tragt. Sie schien unter Drogen zu stehen. Sie wirkte irgendwie benommen.«

»Oder tot?«, fragte Dtui dazwischen.

»Schon moglich. Ihre Arme baumelten, und ihr Kopf hing schlaff herunter. Sie kamen etwa drei?ig Meter vor uns aus dem Nebel. Ich und die Jungs erstarrten. Wir kamen uns vor wie in einem dieser Geisterfilme aus Hongkong. Der Gro?ere ging mit dem Madchen voraus. Der Kleine war etwa funf Schritte hinter ihm, und er hatte ein gro?es Messer in der Hand. Oder war es ein Schwert? Es sah jedenfalls ziemlich gefahrlich aus.«

»Haben die beiden Sie gesehen?«

»Wenn ja, haben sie sich das nicht anmerken lassen. Aber sie machten, ehrlich gesagt, nicht den Eindruck, als ob sie sehr viel mitbekommen hatten – sie waren wie in Trance.«

»Wohin wollten sie?«, fragte Siri.

»Zum Hauptquartier der Armee.«

»In die Konzerthalle, ah, -hohle?«

»In diese Richtung, ja. Wir wagten nicht zu sprechen, bis sie weg waren, weit weg. Und auch dann flusterten wir nur. Der Nebel tragt den Schall. Wir steckten die Kopfe zusammen und uberlegten, was wir tun sollten. Wir wussten, dass die Vietnamesen das Madchen gesucht hatten, aber die Mutter war schon abgereist – zuruck nach Hanoi, wenn mich nicht alles tauscht. Also fuhr einer der Jungs mit dem Fahrrad zum Armeestutzpunkt hinaus – der an der Kreuzung bei Xam Neua. Erinnern Sie sich?«

»Den gab es noch? Ich dachte, die Viet Minh waren Ende 75 abgezogen.«

Der alte Soldat lachte, machte sich jedoch nicht die Muhe, dieses Gaunerstuck der PL naher zu erlautern.

»Und weiter?«, wollte Dtui wissen.

»Nichts weiter.«

»Was soll das hei?en?«

»Wir haben nichts mehr davon gehort.«

»Und Sie haben auch nicht nachgefragt?«

»Am nachsten Morgen sind wir nach Xam Neua zuruckgefahren und haben uns mit dem Bauinspektor getroffen. Er verlangte ein paar kleinere Anderungen. Sie wissen ja, wie diese Leute sind. Damit war die Angelegenheit fur uns beendet. Wir hatten sie eigentlich schon vergessen.«

»Himmel! Ich an Ihrer Stelle ware geplatzt vor lauter Neugier«, sagte Dtui.

»Stimmt«, bestatigte Siri. »Ich habe Schwester Dtui bereits des Ofteren vor Neugier platzen sehen, und ich kann Ihnen sagen, Bui, das ist wei? Gott kein schoner Anblick.«

Zwei Stunden vor Einbruch der Dunkelheit kehrten Siri und Dtui nach Vieng Xai zuruck. Sie schauten rasch im Gastehaus vorbei, um nach Panoy zu sehen. Lit hatte drei Nachrichten fur sie hinterlassen, mit der Bitte, sich schnellstmoglich mit ihm in Verbindung zu setzen. Siri und Dtui ignorierten sie, packten zwei Taschenlampen sowie diverses Werkzeug ein und machten sich zu den Hohlen auf.

Als sie die Konzerthalle betraten, staunte Dtui nicht schlecht. Ohne die nachtlichen Tanzer kam sie dem Doktor noch gro?er vor.

»Seit unserer Ankunft in Houaphan zieht mich irgendetwas hierher«, gestand Siri. »Ich hatte vermutlich auf meinen Instinkt horen sollen.«

»Die ist ja riesig«, sagte Dtui. »Wo fangen wir mit der Suche an?«

»Oben befinden sich die Unterkunfte und das Generalsquartier. Darunter liegt dieser Saal, und dort hinten gibt es mehrere Nischen und einen langen Tunnel, der quer durch den Berg in den Mess- und Kuchenbereich fuhrt. Ich schlage vor, wir folgen einfach unserem Riecher und sehen uns ein wenig um.«

»Doc?« Dtui lie? den Lichtstrahl ihrer Taschenlampe uber die hohen, gewolbten Wande wandern. Die unregelma?igen Felsvorsprunge warfen bedrohliche Schatten. »Wir sind … ah … ganz allein hier, nicht?«

»Das will ich doch stark hoffen«, antwortete Siri. »Jedenfalls bis Mitternacht.«

»Wieso bis Mitternacht?«

»Weil dann die Disco losgeht.«

Er naherte sich der Buhne, wahrend sie sich fragte, ob das einer von Dr. Siris dummen Witzen war oder sie ernstlich um seinen Verstand furchten musste. Gemeinsam suchten sie die Wande nach Zeichen oder Symbolen wie denen ab, die sie am Altar gesehen hatten. Ohne Erfolg. Blieb die Frage, weshalb die beiden Kubaner mit Hong Lan hierhergekommen waren, wo sie doch in der Prasidentenhohle einen Opferschrein errichtet hatten?

Sie durchkammten das Auditorium Zentimeter fur Zentimeter und machten sich dann an die Untersuchung der Hohlennischen. Hier hatte die Armeefuhrung militarische Strategien entwickelt, sich in der Kunst des Bombenbauens und des Guerillakriegs geubt und bei Kerzenlicht Tischtennis gespielt. Es gab einen kleinen Raum, in dem von Dr. Siri personlich angelernte Krankenschwestern Medikamente verabreicht hatten, und einen weiteren, der als Waffenkammer genutzt worden war. Aber keiner von ihnen gab ein Geheimnis preis.

»Gehen wir zur Kuche durch«, beschloss Siri, als sie sich dem schmalen Tunnel naherten, der funfzig Meter weit in den massiven Fels hineinreichte. Sie stiegen uber einen unterirdischen Bach hinweg, der in einer Betonrinne verlief und einst als Sammelstelle fur Trinkwasser gedient hatte. Siri betrat den Tunnel als erster – und blieb schlagartig stehen. Fast hatte Dtui ihn uber den Haufen gerannt.

»He«, sagte sie.

»Dtui, treten Sie ein Stuck zuruck.«

Sie gehorchte. »Was ist denn?«

Siri war aus zwei Grunden stehen geblieben. Zum einen hatte er das Gefuhl, dass in seinen Beinen die Beine eines anderen steckten, die in die entgegengesetzte Richtung wollten. Zum anderen erinnerte er sich an die Vision, die ihm im Waschraum des Gastehauses zuteilgeworden war – Isandro, dessen Leiche friedvoll im Wasser lag. Er drehte sich um und inspizierte die etwa zwei Meter lange Wasserrinne. Das Quellwasser sammelte sich auf der einen Seite des Ganges und floss auf der anderen wieder ab. Sobald es den schmalen Kanal verlassen hatte, suchte es sich rasch seinen Weg und verschwand zwischen den Felsen.

»Leuchten Sie mal hierher, Dtui.« Auf einer Lange von drei oder vier Metern fiel der Boden sanft ab. Die Erde war eine Mischung aus Lehm, Sand und feinem Kies. Es war eine der wenigen Stellen, die man seinerzeit nicht zubetoniert hatte, vermutlich wegen des flie?enden Wassers. Ohne seine alten Ledersandalen auszuziehen, stieg Siri in das knocheltiefe Nass und ging in die Hocke.

»Sehen Sie etwas?«, fragte Dtui.

»Ich wei? nicht genau. Waren Sie wohl so gut, ein paar Meter zuruckzutreten und die Lampe anders zu halten?« Sie gehorchte. »Ein bisschen hoher, wenn es geht. Ausgezeichnet. Fallt Ihnen etwas auf?«

Sie tat ihr Bestes. Sie kniff die Augen zusammen, ruttelte und schuttelte die Lampe und gab sich alle Muhe, etwas zu sehen, konnte au?er den welligen Furchen jedoch nichts Ungewohnliches entdecken. Es sei denn naturlich, die Furchen … Sie hob die Lampe noch hoher und ging langsam zuruck in Siris Richtung. Endlich sah sie, was er gesehen hatte. Es mochte an der Dichte oder Beschaffenheit des Bodens oder an der leichten Erhohung liegen, aber sie erkannte zwei ovale Umrisse. Sie lagen direkt nebeneinander und waren so gleichma?ig und akkurat angeordnet, dass sie unmoglich auf naturliche Art und Weise entstanden sein konnten.

»Ja, ich sehe sie, Dr. Siri. Sie glauben doch nicht etwa …?«

»Es gibt nur eine Moglichkeit, das herauszufinden.« Er richtete sich auf und lie? seinen alten Armeerucksack von seinen Schultern gleiten. Er enthielt das Werkzeug, das sie aus Vientiane mitgebracht hatten. Da sie nicht hatten wissen konnen, was sie erwartete, waren sie fur alle Falle gerustet. Er reichte Dtui eine kurzstielige Gartenschaufel und wappnete sich mit einer Maurerkelle.

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