betraf und sich auf Zeugenaussagen und Unterlagen stutzte. Wahrend die Vietnamesen den Amtsschimmel auf Trab brachten, hatte Siri weiter nichts zu tun, als zwischen Dtui und Lit zu sitzen wie eine italienische Gro?mutter, die beim ersten Rendezvous die Anstandsdame spielt. Dtui war dankbar, Lit stocksauer.
Eine Reihe ernst dreinblickender Manner in Paradeuniform, die bis auf einen samtliche verbliebenen Sitzplatze am Tisch einnahmen, machte dem betretenen Schweigen ein jahes Ende. Siri hegte den nicht ganz unbegrundeten Verdacht, dass diese Atmosphare schwerlich geeignet war, einen Berufssoldaten zu einem Mordgestandnis zu bewegen. Er ging in Gedanken verschiedene Strategien durch, doch auch als Oberstabsfeldwebel Giap schlie?lich ins Zelt eskortiert wurde, salutierte und auf dem letzten freien Stuhl Platz nahm, hatte Siri noch immer nicht die leiseste Ahnung, wie er den Mann zum Reden bringen sollte. Wie sich herausstellte, war seine Sorge vollig unbegrundet. Hauptmann Vo ubernahm die Gesprachsfuhrung.
»Oberstabsfeldwebel Giap …?«
»Jawohl?«
»Im Januar dieses Jahres dienten Sie in einer drei?ig Kilometer vor Xam Neua stationierten Einheit von Viet-Minh-Soldaten.«
Als Giap in die fremden Gesichter ringsum sah, wurde ihm klar, dass die Armee die Wahrheit von ihm horen wollte, Geheimoperation hin oder her. »Ganz recht, Herr Hauptmann.«
»Eines Abends«, fuhr Vo fort, »kam ein Handwerker aus Vieng Xai in Ihr Lager und meldete, dass er die beiden vermissten Kubaner gesehen hatte. Stimmt das?«
Hatte der Oberstabsfeldwebel mit Nein geantwortet, ware der Fall vermutlich zu den Akten gelegt worden, dachte Siri spater. Doch als der alte Soldat ein zweites Mal in die ausdruckslosen Gesichter seiner Anklager blickte, sagte ihm sein Instinkt, dass es auf all diese Fragen bereits Antworten gab.
»Ja.«
Der Hauptmann sah ihm scharf in die Augen. Er hatte nichts mehr mit dem frohlichen Burschen gemein, mit dem Siri tief in namenlosen Dschungeln Schach gespielt hatte. Aus Hauptmann Vo war ein unerbittlicher militarischer Fuhrer geworden, der von seinen Untergebenen unbedingte Loyalitat und schonungslose Offenheit verlangte.
»Als Dr. Siri das letzte Mal hier war«, fuhr er fort, »hielten Sie es anscheinend nicht fur notig, diese nicht ganz unbedeutende Tatsache zu erwahnen. Haben Sie dafur eine Erklarung?«
»Er hat mich nicht danach gefragt.«
Der Hauptmann uberspielte seinen Zorn mit einem fluchtigen Lacheln. »Er fragt Sie jetzt, Herr Oberstabsfeldwebel.«
Der alte Soldat hatte keine Wahl: Wenn er schwieg, wurde er erschossen, wenn er log, wurde er erschossen, und wenn er redete, wurde er erst vor ein Kriegsgericht gestellt und dann erschossen. Die vietnamesische Armee kannte keine Kompromisse. Jeder Widerspruch war zwecklos. Mit Stumpern wie Giap machte das Militar kurzen Prozess.
»Die Truppe wurde von unserem Leutnant personlich zusammengestellt«, begann er. Ein uniformierter Offizier stenografierte jedes seiner Worte mit. »Er wahlte nur Leute aus, die direkt unter dem Oberst gedient hatten. Einige von uns waren an der Suche nach seiner Tochter beteiligt gewesen. Wir konnten selbst entscheiden, ob wir mitmachen wollten oder nicht. Naturlich wollten wir. Wir waren zu siebt beziehungsweise acht, wenn man den alten Hmong-Spaher mitzahlt. Es musste alles sehr diskret vonstattengehen – keine Schusswaffen. Die Aktion war nicht genehmigt. Wir wurden zu strengstem Stillschweigen verpflichtet, egal, was passierte.
Wir ruckten so schnell wie moglich aus. Wir wussten ja nicht, wie lange die Kubaner noch in der Gegend sein wurden. Wir schnappten uns einen Transporter, parkten ein paar hundert Meter vor der Hohle und gingen hinein.«
»Womit waren Sie bewaffnet?«, fragte der Hauptmann.
»Wir alle hatten Messer. Zwei Kameraden hatten Armbruste, fur Distanzschusse.«
Siri hatte sich ohrfeigen konnen. Warum war er nicht von selbst darauf gekommen? Naturlich steckte keine Kugel in Odons Wunde. Sie stammte gar nicht von einer Feuerwaffe. Wenn er von einem Armbrustbolzen getroffen worden war, hatte der Angreifer ihn herausgezogen und eine Wunde hinterlassen, die einer Schussverletzung tauschend ahnlich sah. Er fragte sich, ob auch Dtui dahintergekommen war, bis ihm einfiel, dass sie ahnungslos dasa? und einer Sprache lauschte, die zu lernen sie nie das Bedurfnis verspurt hatte.
Giap fuhr fort. »Wir sturmten die Armeehohlen von beiden Seiten. Der Anfuhrer jeder Einheit hatte eine Rotlichttaschenlampe. Die Einheit, die durch das Auditorium in die Hohle eindrang, sah sie zuerst. Nach der endlosen Suche zerriss es uns fast das Herz. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie wutend uns ihr Anblick machte. Sie war tot, Herr Hauptmann.«
»Fraulein Hong Lan?«, fragte Siri, obwohl er bei diesem Militartribunal offiziell gar nicht hatte zugegen sein durfen.
»Nicht nur tot, Doktor. Ausgeweidet. Sie lag mit herausquellenden Gedarmen in ihrem nassen Grab. Sie hatten sie aufgeschlitzt. Um eine so gro?e Wunde zu verursachen, muss man mit dem Messer schon ganze Arbeit leisten. Es war widerlich, einfach widerlich. Das konnten nur diese verfluchten Kubaner gewesen sein.«
»Sie haben nur die eine Leiche gesehen?«, fragte Siri.
»Eine war mehr als genug.«
»Das ist sehr wichtig, Herr Oberstabsfeldwebel.« Siri wusste, dass er die Vernehmung an sich riss, aber er musste dringend ein paar Fragen loswerden. »Wo genau lag die Leiche?«
»In einem Grab. Ein kleiner Bach floss durch die Hohle, und das Loch befand sich direkt daneben.«
»Aber es gab nur dieses eine Grab?«
»Jawohl.«
»Und es war vollig offen?«
»Nicht ganz. Die Beine des Madchens waren mit Sand bedeckt, und neben ihr lag ein kleiner Spaten, als hatten wir die Kubaner gestort, bevor sie ihr Werk vollenden konnten.«
»Und das Wasser hatte das Blut aus dem Korper gespult?«
»Genau.«
»Fanden Sie sonst irgendwo Blut? Oder Spuren eines Kampfes?«
»Ich kann mich an nichts dergleichen erinnern. Aber Sie durfen nicht vergessen, wir hatten nur Rotlichttaschenlampen.«
»Und dann?«, fragte der Hauptmann.
»Dann gingen wir die Schweine suchen. Sie durften auf keinen Fall ungeschoren davonkommen. Wenn sie uns tatsachlich gehort hatten und abgehauen waren, konnten sie noch nicht weit sein. Der Hmong-Spaher entdeckte eine Spur vor der Konzerthohle.«
»Nur eine?«
»Jawohl. Wir nahmen an, dass die Kubaner in verschiedene Richtungen geflohen waren. Ich wei? nicht, wie lange wir nach ihnen suchten. Eine Stunde? Zwei? Dann fanden wir einen der beiden, oben vor der alten Prasidentenhohle. Er sang. So wahr ich hier sitze. Er trug weiter nichts als eine alte Turnhose und tanzte singend im Kreis. Typen wie der haben keinen fairen Prozess verdient. Wir schossen mit der Armbrust auf ihn, ohne Erfolg. Er hielt sich noch immer auf den Beinen. Wir sturzten uns auf ihn, alle sieben. Ich kann Ihnen sagen, der Bursche war stark, stark wie ein Ochse. Trotzdem. Die Sache mit dem Zement war nicht geplant.«
»Aber umbringen wollten Sie ihn schon«, sagte der Hauptmann.
»Eigentlich nicht.«
»Sie hatten Messer und Armbruste mitgenommen.«
»Nur zur Selbstverteidigung, Herr Hauptmann.«
»Ich glaube Ihnen kein Wort. Reden Sie weiter.«
»Also, der Zement war frisch gegossen und noch feucht. Als wir ihn hineinstie?en, erwachte er aus seiner Trance und merkte, was los war. Er kampfte wie ein Tiger – er kratzte und trat um sich. Dann endlich lag er still. Der Schutze zog seinen Bolzen heraus, wir strichen den Zement glatt und machten uns aus dem Staub, bevor noch jemand kam, der wissen wollte, was es mit dem Geschrei und dem Gesinge auf sich hatte.«
Die Manner um den Tisch atmeten erleichtert auf, als er verstummte.
»Herr Oberstabsfeldwebel«, fragte der Hauptmann, »haben Sie auch den zweiten Mann gefunden?«
»Nein, Herr Hauptmann. Wir sind am nachsten Abend nochmal hingefahren, aber er war spurlos verschwunden.«