paar tiefe Atemzuge und schluckte die Ubelkeit in seiner Kehle hinunter.
»Dass sie in den letzten Monaten ihres Lebens gelitten hat. Wir konnen nur hoffen, dass die Entfuhrer ihr Schmerzmittel gegeben haben.« Er musste an die Opiumbonbons in der Prasidentenhohle denken.
»Sie konnen unmoglich so herzlos gewesen sein …«
»Wissen Sie was? Ich glaube …« Den zweiten Galleschwall konnte er nicht mehr herunterwurgen, und Dtui beobachtete amusiert, wie er herumwirbelte und sich erbrach. Sie hatte langer durchgehalten als der gro?e Chirurg.
Eine halbe Stunde spater prasentierten sie Lit ihre Befunde. Obwohl sie das Klassenzimmer langst verlassen hatten und im Schatten der Felswand hinter dem Krankenhaus sa?en, wurden sie den Geruch nicht los. Sie hatten nicht mit Sicherheit feststellen konnen, ob Hong Lan an ihrem Krebsleiden gestorben war. Um an ihr Zwerchfell zu gelangen, hatte der Tater zunachst das Abdomen aufschneiden mussen. Dabei ware das Madchen wahrscheinlich verblutet, aber auch das lie? sich weder beweisen noch widerlegen. Und wie schon bei Isandro hatten sie keinerlei Anhaltspunkte fur eine andere Todesursache gefunden. Zufrieden notierte Genosse Lit, dass »in beiden Fallen Hinweise auf ein Verbrechen« vorlagen, und schloss seinen Bericht mit den Worten: »Beiden Leichen wurde das Herz entnommen, und da sich zum fraglichen Zeitpunkt nur ein weiterer Verdachtiger am Tatort aufhielt, darf davon ausgegangen werden, dass Odon beide Morde verubte.«
Da Lits eigentlicher Fall – die Leiche in Beton – gelost war, bereitete es ihm umso gro?ere Genugtuung, dass die anderen beiden Morde ungeklart blieben. Seine Vorgesetzten konnten wohl kaum von ihm verlangen, einen toten Tatverdachtigen zu befragen. Er wusste, dass die Armee selbst uber das Strafma? fur Giap und die anderen Mitglieder des Lynchmobs befinden musste. Angesichts der Schwere des Verbrechens, fur das die Soldaten Rache genommen hatten, rechnete er eher mit einem Tadel und einer Degradierung als mit standrechtlicher Erschie?ung. Aber das brauchte ihn nun nicht mehr zu kummern. Er war aus dem Schneider.
Bevor er den Bericht einreichte, erklarte er Dtui, er werde beizeiten zuruck sein, um die »Vereinigungsformalitaten« abzuschlie?en. Womit er offenbar die Hochzeit meinte, und es wunderte Dtui nicht im Geringsten, dass er uber eine Verlobung sprach wie uber eine Firmenfusion. Sie wanderte mit Siri am Fu? des Berges entlang und atmete den Duft des wilden Wasserschlauches, der dort uppig gedieh. Inzwischen hielten sie sich an die ausgetretenen Pfade. Dtui bezweifelte, dass sie je wieder den Mut zu einem Spaziergang uber nicht markierte Felder oder durch jungfrauliche Walder aufbringen wurde.
Sie war ebenso besorgt wie ihr Chef, und seit Lit gegangen war, hatten sie kein Wort mehr gesprochen. Der Mann war trunken gewesen vor Gluck. Als habe er die letzte Hurde auf dem Weg zu seiner nachsten Beforderung genommen. Siri bemerkte Dtuis murrische Miene.
»Uberlegen Sie, was Sie dem Genossen Lit sagen sollen?«
»Nein. Eigentlich nicht. Das wird sich schon irgendwie regeln.«
»Was dann?«
Sie blieb stehen und stemmte die Hande in die Huften. »Ich habe ein ungutes Gefuhl, was diesen Fall angeht.«
»Ich auch.«
»Gut. Sie zuerst. Was bereitet Ihnen Kopfzerbrechen?«
»Wahrscheinlich mehr oder weniger dasselbe, was Ihnen Kopfzerbrechen bereitet. Gehen wir alles noch einmal durch.« Sie setzten sich nebeneinander auf einen schattigen Felsblock. »Ich wei?, es sieht ganz danach aus, als sei die Geschichte hiermit zu Ende, aber ich kann mich des Verdachts nicht erwehren, dass uns ein wesentlicher Teil der Handlung entgangen ist.«
»Mir geht’s genauso. Meine weibliche Intuition piesackt mich schon seit geraumer Zeit. Vor allem die Mutter macht mir Sorgen. Ihre Tochter ist verschwunden, aber sie zieht in aller Seelenruhe nach Vietnam, als ware nichts gewesen. Und als die Leiche schlie?lich gefunden wird, kommt sie noch nicht mal zur Beerdigung. Zur Beerdigung ihrer einzigen Tochter. Das klingt mir nicht nach einem besonders herzlichen Mutter-Tochter-Verhaltnis.«
»Vielleicht hat sie den Tod ihres Mannes nicht verkraftet.«
»Aber gerade das schwei?t die Hinterbliebenen doch besonders eng zusammen. Nein. Zwischen den beiden ist irgendetwas vorgefallen. Da habe ich nicht den geringsten Zweifel. Steckt Odon eigentlich immer noch in Ihnen?«
Die Frage uberraschte Siri. Er hatte den aufsassigen Geist vollig vergessen. »Ich glaube kaum. Ich wei? es nicht. Ich habe nichts mehr gespurt, seit wir die Leiche gefunden haben. Ich habe in den vergangenen vierundzwanzig Stunden nicht ein einziges Mal mit den Fingern geschnippt. Ich war ohnehin nie wirklich besessen, ich habe lediglich seine Gegenwart gefuhlt – seinen Einfluss. Und auch das will mir irgendwie nicht recht einleuchten. Wenn Odon und Isandro tatsachlich so bose waren, wie standig behauptet wird, warum habe ich davon dann nichts gemerkt? Warum habe ich ihre Macht nicht ein einziges Mal gespurt? Ich wei? auch nicht. Ich frage mich …«
»Was?«
»Ich frage mich, ob wir vielleicht nur das sehen, was wir sehen sollen.«
»Und was machen wir jetzt?«
»Wir konnten nach Vientiane zuruckfahren und feierlich verkunden, dass Inspektor Maigret und seine rechte Hand erneut ein heimtuckisches Verbrechen geklart haben, obwohl wir insgeheim wissen, dass dem nicht so ist …«
»Ich bin fur die zweite Alternative.«
»Das dachte ich mir.«
Dr. Sounsak – der junge Arzt, der das vietnamesische Hausmadchen angeblich von einem Affenfotus entbunden hatte – war als einer von wenigen Laoten in die zwielichtigen Machenschaften der Kubaner verwickelt gewesen. Wahrend man ihn in ein Krankenhaus in der Provinz Savannakhet versetzt hatte, lebte Fraulein Bong, die junge Dame, mit der er damals liiert gewesen war, noch immer in dem Dorf bei Kilometer 8, wie das Kuchenpersonal des Gastehauses begeistert kolportierte.
Siri und Dtui hatten eine Theorie entwickelt – ein alternatives Szenario fur die ratselhaften Vorgange des vergangenen Jahres. An dieser Hypothese hangelten sie sich nun entlang, lie?en die Ereignisse Revue passieren und klopften sie auf ihre Wahrscheinlichkeit hin ab. Fraulein Bong war eine stammige, sonnengegerbte Frau, der die jahrzehntelange Feldarbeit einen krummen Rucken beschert hatte. Sie trafen sie auf dem Reisfeld an, wo sie Schosslinge pflanzte. Sie lie? sich nur widerwillig auf ein Gesprach ein. Ihr war bei diesem Thema offensichtlich nicht ganz wohl.
Dtui ging es ahnlich. »Ist dieses Feld auch sicher?«, fragte sie.
»Nicht mehr und nicht weniger als jedes andere, Tantchen«, erwiderte Fraulein Bong. Prompt explodierte Dtui. Die Fetzen flogen nach allen Seiten. »Tantchen?« Die Frau war mindestens zehn Jahre alter als sie. War sie im Lauf der letzten Woche so sehr gealtert? Nachdem sie sich einigerma?en gesammelt hatte, musste sie feststellen, dass weder Siri noch die Frau uberhaupt bemerkt hatten, dass sie in die Luft gegangen war. Sie versuchte es mit Fassung zu tragen.
»Konnten Sie vielleicht einen Moment Pause machen und mit uns sprechen?«, sagte Siri. »Ich bekomme langsam einen steifen Hals.«
»Wir mussen fertig werden, bevor der gro?e Regen kommt«, sagte Fraulein Bong. »Da habe ich fur sinnloses Geschwatz keine Zeit.« Sie hoffte wohl, sich die Gro?stadter mit derlei Unhoflichkeiten vom Hals halten zu konnen.
»Na schon.« Siri lie? sich auf einem Erdwall nieder. »Dann erzahlen Sie uns doch einfach vom Genossen Sounsak.«
»Da gibt’s nichts zu erzahlen.«
»Sie hatten ein Verhaltnis mit ihm, als …«
»Wir waren verlobt«, fiel sie ihm ins Wort.
»Verzeihung. Sie waren mit dem Genossen Sounsak verlobt, als er im Krankenhaus ein seltsames und wenig erfreuliches Erlebnis hatte.«
»Ach ja? Was denn fur eins?«