Drei?ig-Hutten-Dorfes und sah, was aus ihrem Land hatte werden konnen, wenn es uber sich selbst hatte bestimmen durfen.

Die Dorfkinder hatten sogleich erkannt, dass Panoy noch nicht wieder ganz gesund war, und bezogen sie behutsam in ihre Spiele ein. Die Leute nickten und lachten uber einfache Dinge. Sie kamen mit Su?igkeiten und Getranken fur die nette Krankenschwester, die dieses Kind des Dorfes den Fangen des Todes entrissen hatte. Obwohl alle beschaftigt waren, wirkten sie ungemein entspannt. Sie alle hatten Zeit fur ein Schwatzchen mit Dtui, und wenn ihnen keine Frage einfiel, setzten sie sich einfach zu ihr und hielten ihre Hand.

Als sie so dasa?, fiel ihr plotzlich etwas auf. Wie in jedem anderen Dorf tummelten sich das Vieh, die Babys und die Hunde in ein und demselben Staub. Die Huhner pickten den ganzen Tag nach den vielen tausend Ameisen, die zusammen kaum eine Kalorie enthielten. Das Spielen im Dreck starkte das Immunsystem der Kinder, doch der Spielkamerad eines kleinen Jungen lie? Dtui stutzen. Ein so sonderbares Wesen hatte sie noch nie gesehen. Aus der Ferne sah es aus wie ein kleines schwarzes Schwein. Aber es war irgendwie anders als andere Schweine. Statt Fu?en hatte es Pfoten. Und es besa? zwar einen Ringelschwanz, doch der wedelte hin und her. Obwohl es eigentlich hatte grunzen oder quieken mussen, klaffte es den kleinen Jungen an und hatte sichtlich Spa? an ihrem Spiel.

Sie hatte einfach fragen konnen. Oder naher treten, um sich zu vergewissern, dass das Ferkel Schlamm an den Fu?en und noch dazu eine schwere Erkaltung hatte, doch stattdessen entschloss sie sich zu gehen. Obwohl sie sich in einem animistischen Dorf inmitten eines offiziell agnostischen Landes befand, hielt sie zuvor kurz Zwiesprache mit Buddha. Sie versprach, sich nie wieder uber die Gesetze der Natur lustig zu machen. Sie habe ihre Lektion gelernt.

Sie kusste Panoy auf die Wange, in der Gewissheit, dass das Madchen sich im Falle eines Wiedersehens wohl nicht an sie erinnern wurde. Sie dankte allen, obgleich niemand so recht wusste, wofur, und verlie? das kleine Dorf. Ihr Mutterinstinkt war erwacht, und sie wunschte sich nichts sehnlicher als einen Ehemann und eine eigene Familie.

Fur den Genossen Lit gab es nur einen Grund, weshalb Dr. Siri und Schwester Dtui sich noch immer in Vieng Xai aufhielten, obwohl das Ratsel des Kubaners in Beton gelost war. Seit er seinen Bericht eingereicht hatte, war er mit den Sicherheitsvorkehrungen fur das Konzert beschaftigt gewesen. Tags zuvor hatte er im Gastehaus vorbeigeschaut, doch niemand wusste, wo die beiden steckten. Als er es gegen Abend ein zweites Mal versuchte, waren sie noch immer nicht zuruck. Eigentlich hatte er sich auf das bevorstehende Gro?ereignis konzentrieren sollen, aber er konnte an nichts anderes denken als an Schwester Dtui.

Er war zu dem Schluss gelangt, dass Dr. Siri sich bereit erklart hatte, als ihr Zeuge zu fungieren, wenn sie Lits Heiratsantrag annahm. Siri hatte angerufen und ihn gebeten, sie mit dem Jeep abzuholen. Er ubertrug seinem Stellvertreter die Aufsicht uber die letzten Vorbereitungen in der Konzerthohle und fuhr mit pochendem Herzen zum Gastehaus. Als er seine Zukunftige auf der Vortreppe stehen sah, wo die Morgensonne das naturliche Rouge ihrer Wangen besonders gut zur Geltung brachte, stockte ihm der Atem. Was hatte er fur eine gro?artige Wahl getroffen.

Doch als Siri und Schwester Dtui in seinen Jeep stiegen, war von Hochzeitsvorbereitungen mit keinem Wort die Rede. Siri bat ihn, sie nach Xam Neua zu bringen. Was ihm unter den gegebenen Umstanden gar nicht passte, aber der Doktor versicherte ihm, es handele sich um eine au?erst dringliche Angelegenheit, die keinen Aufschub dulde. Da die beiden beharrlich schwiegen, traumte er im Stillen von einer Fahrt zum Zentralmarkt, um gute nordlaotische Seide fur Dtuis Hochzeitskleid zu kaufen, und einem Besuch bei einer Wahrsagerin, die ihnen einen gunstigen Termin fur die Trauung nennen wurde. Vielleicht war das so Sitte. Da er noch nie geheiratet hatte, konnte er das schwerlich wissen. Aber er war so zufrieden mit sich, dass er den Tag nicht mit Jammern und Klagen verderben wollte.

Er schopfte erst Verdacht, als der Doktor ihn auf das Gelande des provisorischen Krankenhauses lotste und ihn bat, vor dem Buro des Direktors zu halten.

»Und jetzt?«, fragte er.

»Jetzt besuchen wir Dr. Santiago.«

Lit war emport. »Wie bitte? Warum haben Sie mir nicht gleich gesagt, dass Sie hierher wollten?«

»Waren Sie dann auch gekommen?«

»Ich … ich habe keine Ahnung, was ich hier soll.«

»Nein? Wie ware es mit Rache nehmen?«

»Ich wei? nicht, wovon Sie reden.«

»Das wissen Sie sogar sehr gut. Sie haben schon viel zu lange Angst vor Dr. Santiago, Genosse Lit. Es ist hochste Zeit, ihm die Stirn zu bieten.«

»Sie irren sich.«

»Ach ja? Wurden Sie uns dann freundlicherweise erklaren, was mit Ihrem Finger geschehen ist?«

»Ich, ah …« Er musterte Dtui im Ruckspiegel. Wie wurde sie darauf wohl reagieren? Wurde sie den Respekt vor ihm verlieren? Ihr Gesicht verriet keinerlei Regung. Siri kletterte aus dem Jeep und zeigte auf den Schlussel im Zundschloss. Die zuversichtliche Miene des Doktors gab Lit neuen Mut. Einen Moment lang glaubte er tatsachlich, aus dem Schatten des verfluchten Kubaners heraustreten zu konnen. Er stellte den Motor ab und stieg aus.

Santiago blickte nicht von seinen Papieren auf, als die drei ungebetenen Besucher in sein Zimmer kamen, doch er lachelte und sagte etwas zu Dtui.

»Er hat Sie bereits erwartet«, erklarte sie Siri. Sie trat beiseite. Ihre Rolle bei diesem Gesprach beschrankte sich auf die der Dolmetscherin. Sie wurde Siris Fragen nach bestem Wissen und Gewissen ubersetzen und versuchen, die Antworten des Kubaners richtig zu verstehen. Falls es zu einer Auseinandersetzung kam, wurde sie sich brav heraushalten. Darauf hatten sie sich geeinigt.

Santiagos Augen funkelten missbilligend, als Lit das Buro betrat. Wieder sagte er etwas.

»Dr. Santiago findet es sehr mutig, dass Sie sich in seine Nahe wagen. Er fragt, ob Ihr Freund, der Magier – das sind Sie, Doc -, Ihnen das notige Selbstvertrauen gegeben hat, um nach all der Zeit hier aufzukreuzen. Aber er warnt Sie: Dr. Siri wird Ihnen keine gro?e Hilfe sein.«

Ein fahler Schatten huschte uber Lits Gesicht, und allmahlich ahnte Siri, welche Macht Dr. Santiago uber andere Menschen besa?.

»Wenn er uns ohnehin alle zur Holle schickt«, sagte Siri lachelnd, »hat er doch sicher nichts dagegen, wenn ich ihm meine Theorie rasch auseinandersetze. Sagen Sie ihm, er durfe mich gern korrigieren.«

»Er will wissen, ob das wirklich notig ist«, sagte Dtui.

»Ich mochte den Doktor um Nachsicht bitten und ersuche hiermit hoflichst um ein paar Minuten seiner kostbaren Zeit«, begann Siri. »Genosse Lit, wie Sie aus schmerzlicher Erfahrung wissen, ist Dr. Santiago weit mehr als nur ein glanzender Chirurg. Er ist namlich auch und vor allem ein erfahrener Endoke-Priester. Viele Leute haben den Eindruck, dass er in dieser finsteren Kunst uberaus bewandert ist. Bei Durchsicht der einschlagigen Unterlagen werden Sie feststellen, dass seine Versetzung auf diesen gottverlassenen Au?enposten nichts mit seinen fachlichen Fahigkeiten zu tun hat, die ich mit keinem Wort in Abrede stellen mochte. Es war seine letzte Chance – die einzige Arbeit, die er finden konnte. Er wurde aus seinem eigenen Land geworfen, weil er eine Gefahr darstellte. Nicht wahr, Doktor?«

Dtui versuchte, den Faden nicht zu verlieren. Sie erklarte Siri, der Doktor wolle ihn nicht unterbrechen.

»Das glaube ich gern. Weil er genau wei?, dass wir jetzt zum interessanten Teil der Geschichte kommen.« Siri lehnte sich auf seinem Stuhl zuruck und sah in die spottischen Augen seines alten Freundes. »Denn, Genosse Lit, als Odon und Isandro in dieses Land kamen, hatten sie von der Geisterwelt nicht die geringste Ahnung. Sie waren tuchtige, arbeitsame junge Manner, die einem aufstrebenden Dritte-Welt-Land ihr Konnen zur Verfugung stellen wollten. Sie lernten unsere Sprache und gaben sich alle Muhe, unsere Kultur zu verstehen. Sie waren nicht etwa deshalb so beliebt, weil sie die Leute verhexten, damit diese wurden wie sie selbst. Nein, sie waren beliebt, weil sie schlicht und einfach nette Jungs waren.

Einer dieser Jungs, Isandro, lernte im Krankenhaus eine Patientin kennen, die wunderschone Tochter eines vietnamesischen Obersts. Sie hie? Hong Lan, und in den beiden Monaten, die sie im Krankenhaus bei Kilometer 8 lag und sich von ihrer schweren Krankheit erholte, verliebten sich die beiden. An ihrer Beziehung war nichts Ungehoriges. Das Madchen war krank, und er war ihr Pfleger. Sie sprachen uber Gott und die Welt und kamen sich naher, und welche Chemikalien auch immer dafur verantwortlich sein mogen, dass in einer Beziehung die Funken

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