spruhen, bei Hong Lan und Isandro leisteten sie ganze Arbeit.
Das Madchen hatte viele Verehrer, aber einem Mann wie Isandro war sie noch nie zuvor begegnet. Er sah gut aus, war intelligent und liebenswurdig. Sie war sich so sicher, dass sie den Rest ihres Lebens mit ihm verbringen wollte, dass sie sogar ihrer Mutter davon erzahlte. Einen gro?eren Fehler hatte sie kaum machen konnen. Ein Auslander – und noch dazu ein Schwarzer! Was hatte sich das Madchen dabei blo? gedacht? Ihre Mutter war am Boden zerstort; ihr Vater schaumte vor Wut. Niemand durfte erfahren, dass seine Tochter wahnsinnig geworden war. Sie verlegten Hong Lan in ein anderes Krankenhaus, aber die Schande blieb an ihnen haften. Die Schwarzen mussten verschwinden. Unser Freund Dr. Santiago wurde mit dieser Aufgabe betraut.«
Als er die Ubersetzung horte, wischte der Kubaner sie mit der arroganten Handbewegung eines Musketiers beiseite. Siri schuttelte lachelnd den Kopf und fuhr fort.
»Zu seinem Gluck war dem Doktor kurz zuvor ein boses Missgeschick widerfahren. Ein paar Kinder hatten in den Tunnels gespielt, deren Betreten ihnen ausdrucklich verboten war, und dabei einen eigenartigen Altar entdeckt. Sie erzahlten ihren Eltern davon, die den Vorgang unverzuglich den Behorden meldeten.
Wie Sie sich vermutlich denken konnen, werter Genosse Lit, handelte es sich um denselben Altar, von dem ich Ihnen im Sheraton de Laos erzahlt habe. Er diente als Schauplatz kleiner Opferungen und boser Hexenfluche. Er war Dr. Santiagos personlicher Tempel, der Schrein, an dem er seine Magie praktizierte und seine Zaubertranke braute. Dr. Santiago tragt seine Amulette nicht zum Schutz gegen andere Vertreter seiner zweifelhaften Zunft. Er ist ein gluhender Anhanger des Endoke-Kults. Sie sind seine Amtskette. Der Altar hatte mit den Pflegern nichts zu tun, aber indem er sie der Hexerei bezichtigte, scheinbare Beweise vorlegte und Geruchte uber ihr angebliches Treiben in Umlauf brachte, gelang es ihm, die Leute gegen die beiden aufzuhetzen. Die Vietnamesen glaubten nur zu gern, dass Isandro ihre Tochter verhext hatte.
Fur die Jungs war Dr. Santiago ein verstandnisvoller Landsmann, ein netter alter Onkel. Er versicherte ihnen, er sei von ihrer Unschuld uberzeugt, aber die offentliche Meinung lasse ihm leider keine andere Wahl, als sie nach Kuba zuruckzuschicken. Es lief alles wie am Schnurchen. Eines schonen Tages ruckte der Oberst mit Soldaten an, um die beiden festnehmen und gewaltsam nach Hanoi schaffen zu lassen. Hatten sie sich gefugt und Vietnam verlassen, ware alles in Butter und die Geschichte damit zu Ende gewesen. Aber Isandros Liebe zu Hong Lan war starker als sein Uberlebenswille. Und Odon wollte seinen Freund auf gar keinen Fall im Stich lassen.
Sie flohen, bevor man sie in ein Flugzeug verfrachten konnte, und gelangten auf verschlungenen Pfaden zuruck nach Houaphan. Es muss eine beschwerliche Reise voller Gefahren gewesen sein. Es gab niemanden, der ihnen helfen konnte – und noch dazu uberall Soldaten, die sie vermutlich fur amerikanische GIs gehalten hatten. Trotz allem schafften sie es. Nach ihrer Ruckkehr versteckten sie sich dort, wo man sie am wenigsten vermuten wurde, in der alten Prasidentenhohle. Dann holten sie Hong Lan zu sich. Es war keine Entfuhrung. Nachdem Isandro ihr Bescheid gegeben hatte, dass er wieder da war, planten sie gemeinsam ihre Flucht aus dem Krankenhaus.
Zu diesem Zeitpunkt wussten Isandro und Hong Lan bereits, dass ihr Krebs unheilbar war und sie hochstens noch zwei Monate zu leben hatte. Sie wollte ihre letzten Tage nicht mit einer Mutter verbringen, die sie mit Verachtung strafte und ihr taglich vorwarf, den Namen der Familie in den Schmutz gezogen zu haben. Nein, Hong Lan wollte mit dem Mann zusammen sein, den sie liebte. Diese letzten Wochen sollten die glucklichsten ihres Lebens werden.«
Dtui geriet ins Stocken, denn sie kampfte mit den Tranen.
»Wahrend er auf die Jagd ging«, fuhr Siri fort, »und die Schmerzen seiner Geliebten zu lindern versuchte, sammelte Isandro seine Gedanken. Da die drei in der Hohle festsa?en und wenig anderes zu tun hatten, fuhrten sie vermutlich viele Gesprache. Sie wussten, dass der Altar im Sheraton einen Besitzer haben musste. Au?er ihnen gab es in Houaphan nicht sehr viele Kubaner. Auch hatte Hong Lan ihnen wahrscheinlich erzahlt, dass es Santiago gewesen war, der die beiden Jungs bei ihrem Vater angeschwarzt hatte. Oder sie erinnerten sich an das Gerucht, dass eine hubsche junge Krankenschwester, die in ihrem Heimatdorf verlobt war, sich in Santiago verliebt hatte. Niemand begriff, weshalb sie so begierig schien, mit dem alten Arzt ins Bett zu steigen.«
Santiago lachte, als er die Ubersetzung horte, und fragte Siri, warum er so eifersuchtig sei. Ob er sich nicht vorstellen konne, dass junge Frauen den Kubaner attraktiv fanden?
Siri uberhorte die Bemerkung. »Vielleicht erinnerten sie sich aber auch an den kubanischen Buchhalter, der an einer Halsentzundung erkrankt war. Und dass sie die Notwendigkeit bezweifelt hatten, wegen einer solchen Lappalie einen Luftrohrenschnitt durchzufuhren. Dann fiel ihnen ein, dass er nach Havanna ausgeflogen worden war, bevor er die Bucher des Doktors einer vollstandigen Prufung hatte unterziehen konnen.«
Santiago hatte derweil heimlich, still und leise eine Schreibtischschublade geoffnet, in der ein kleines Holzkastchen mit dem farbenprachtigen Emblem der Hunan Tea Company lag. Das graue Pulver darin hatte monatelang Zeit gehabt, den Zauber zu empfangen und in sich aufzunehmen.
»Vielleicht hatten sie aber auch von Ihrem bedauerlichen Zusammentreffen mit dem Doktor gehort, Genosse Lit«, fuhr Siri fort.
»Ich glaube nicht …«, murmelte der Sicherheitschef nervos.
»Keine falsche Scheu, Genosse«, sagte Siri. »Sie haben hier und heute nicht das Geringste zu befurchten. Vertrauen Sie mir.«
Und tatsachlich gaben ihm Siris Worte Selbstvertrauen. Das fortwahrende Grinsen des alten Kubaners erregte seinen Zorn. Er holte tief Luft und setzte zu einer Geschichte an, die er bislang niemandem erzahlt hatte.
»Wir hatten eine unserer zahlreichen Meinungsverschiedenheiten«, begann Lit. »Dr. Santiago hatte die Gesamtleitung des Projekts inne, und die vietnamesischen Soldaten waren verargert, weil er vom Bauen nichts verstand. Einige seiner Entscheidungen hielten sie fur regelrecht gefahrlich. Ich wei? noch …«
»Nur zu.«
»Ich wei? noch, dass ich ihm mit dem Finger vor der Nase herumfuchtelte, um ihm klarzumachen, dass er sich in einem wichtigen Punkt irrte. Er starrte mich an und sagte, diesen Finger wurde ich nie wieder benutzen. Ich solle mich huten, seine Fahigkeiten zu unterschatzen. Ich lachte ihn aus und ging, aber als ich am nachsten Morgen wach wurde, war der Finger schon taub. Nach ein paar Tagen fing er an zu verkummern. Ich wusste, dass er dahintersteckte. Ich wusste nicht, wie er es angestellt hatte, aber von diesem Tag an ging ich ihm aus dem Weg. Auch ich habe Geschichten uber seine Hexenkunste gehort.«
»Tja, jetzt wissen Sie’s«, sagte Siri. »Und da sind Sie nicht der Einzige. Auch Isandro wusste Bescheid. Er war vermutlich nicht sonderlich begeistert, als ihm klar wurde, dass der Doktor sie verleumdet und ihnen dieses ganze Elend eingehandelt hatte.«
»Wenn die beiden Jungs mit schwarzer Magie aber doch nichts zu schaffen hatten«, fragte Lit, »woher stammten dann die Kratzer auf Odons Brust?«
»Ja, ich gebe zu, es hat ein Weilchen gedauert, bis ich dahinterkam. Vor allem der Umstand, dass Odons Leichnam die Male aufwies, Isandros hingegen nicht, verwirrte mich. Dann uberlegte ich, was den Jungs ihr Wissen um Santiagos kleines Hobby eigentlich brachte. Wenn sie beispielsweise drohten, ihn zu verraten und einen Brief an die Projektleiter in Havanna zu schreiben, in dem sie darlegten, was ihr hiesiger Vertreter so im Schilde fuhrte, was konnte Santiago ihnen dann als Gegenleistung bieten? Womit wir bei den Todesfallen waren. Sie alle wussten, dass Hong Lan nicht mehr lange zu leben hatte. Aber Isandro konnte den Gedanken, sie zu verlieren, nicht ertragen. Ihre Seelen sollten bis in alle Ewigkeit vereint sein. Odon erzahlte Isandro von einem alten Palo-Brauch. Ein alteres Ehepaar aus einem Dorf in der Nahe seiner Heimatstadt hatte sich vergiftet. Dann hatte ein Schamane ihre Seelen im Tod vereint.«
Santiago fragte Dtui, woher der Doktor all das wisse.
»Ich habe mich gestern Abend angeregt mit Odon unterhalten«, antwortete Siri lachelnd. »Sagen Sie ihm, er wurde sich wundern, wie gut sich zwei Manner, die keine gemeinsame Sprache sprechen, mit Hilfe von Handen und Fu?en und einem spitzen Stock zu verstandigen wissen.«
Genusslich ubersetzte Dtui seine Worte.
Der Leichenbeschauer fuhr fort. »Die Kubaner dachten, wenn Santiago wirklich ein so gro?er Priester sei, musse er mit dieser Zeremonie vertraut sein. Vielleicht wurde er sich ja bereiterklaren, sie zu vollziehen, als Gegenleistung fur ihr Schweigen. Aber Santiago weigerte sich, sie zu vollziehen. Er willigte jedoch ein, Odon darin zu unterweisen. Die Kratzer gehorten wahrscheinlich zu den Vorbereitungen des Rituals. Aber vielleicht ist der gute Doktor ja so freundlich, uns die Zeremonie zu erlautern, damit wir uns ein genaueres Bild davon machen konnen,