weit. Es wurde einen oder zwei Tage dauern, seiner tatsachlichen Flugrichtung mit Computerhilfe zu folgen, falls einem Observatorium aufgefallen war, da? er seine ursprungliche Richtung nicht eingehalten hatte. In diesem Fall wurde er wenig Zeit haben, sich zu verstecken. Jeder Kreuzer, der in ein paar Tagen die Strecke zurucklegte, zu der er einen Monat brauchte, konnte ihn einholen.
Deshalb war es notig, da? er moglichst schnell ein Versteck fand. Einen Planeten, wo er sein Schiff verbergen konnte, wo ihn kein Kreuzer aufstobern konnte — au?er, einige Bewohner des Planeten hatten etwas gegen ihn. Vielleicht fand er ganz zufallig einen geeigneten Planeten, aber die Entfernung, die er in seiner Gnadenfrist von einem Monat zurucklegen konnte, war begrenzt. Und innerhalb dieser Strecke lagen sehr wenige Sonnen. Er holte ein paar heliozentrische Karten hervor und studierte sie.
Er hatte sein Ziel schon vor seinem Abflug bestimmen sollen.
Und vor allem hatte er sich informieren sollen, wie er es finden konnte. Sonst hatte er seine Aktionen auch immer ganz minuzios geplant und hohnisch auf weniger vorsichtige Kollegen herabgeblickt, deren mangelnde Vorsicht sie hinter Schlo? und Riegel gebracht hatte. Er verstand nicht, warum er bei seinem interstellaren Flug nicht das gleiche Prinzip angewandt hatte.
Aber er hatte es eben nicht getan, und mit dieser Tatsache mu?te er sich abfinden.
Die Liste, die sich bei den Karten befand, erwies sich als sehr hilfreich. Bei jedem stellaren System war die Anflugroute beschrieben, ebenso war die Entfernung von anderen Systemen angegeben. Er suchte die Systeme heraus, die seiner Flugroute, wenn er geradeaus weiterflog, am nachsten lagen.
Da gab es zwolf Sonnen in sieben Systemen, die nicht mehr als ein Lichtjahr von seinem Kurs entfernt lagen. Er war uberrascht, da? so viele Systeme in Frage kamen. Naturlich waren die meisten Sonnen „tote“ Sterne, die nur aus allernachster Nahe auszumachen waren. Sechs davon hatten planetarische Systeme, und auf allen Planeten herrschten Temperaturen, die unter dem Gefrierpunkt von Quecksilber lagen.
Das war ein ungluckseliger Zufall. Es bedeutete, da? er im Schiff bleiben mu?te, wenn er auf einem dieser Planeten uberleben wollte, und wertvolle Energie fur Warme und Licht verbrauchen mu?te. Dann sandte er unweigerlich Strahlung aus, die jedem Kreuzer auffallen mu?te. Er mu?te einen Platz finden, wo es innerhalb des Schiffes einigerma?en warm blieb, ohne da? er Energien einsetzen mu?te. Ohne Licht konnte er auskommen, wie er glaubte.
Dieses Problem hatte einen Piloten mit auch nur bescheidenen Erfahrungen kaum beunruhigt. Er hatte das Schiff in eine Umlaufbahn um einen Stern bringen konnen. Aber unglucklicherweise bestanden gewisse Relationen zwischen der Schwerkraft eines Sternes, dem Radius der gewunschten Umlaufbahn und der Geschwindigkeit, in der sich das Schiff befinden mu?te, um in die Umlaufbahn zu geraten. Und diese Relationen kannte La Roque nicht. Wenn er es versuchte und dabei einen Fehler beging, konnte das unliebsame Folgen haben. Zum Beispiel konnte er in eine Umlaufbahn geraten, in der er von Suchschiffen entdeckt wurde. Seine Stirn uber den buschigen schwarzen Brauen runzelte sich besorgt, wahrend er durch das All raste.
Der Lichtfleck in seinem Sichtfenster verbla?te, als die Sonne immer mehr nach achtern geriet. Er begann die Einsamkeit des Raumes zu fuhlen, und die Erde schien in unerreichbare Fernen geruckt.
Nach zwei Tagen erreichte er das erste der sieben Systeme.
Sogar aus der geringen Entfernung eines halben Lichtjahrs sah er es nicht. Die Karte beschrieb es als Doppelsonnensystem, und beide Sterne waren kuhl genug, da? sich in ihren Atmospharen Wolken aus festen und flussigen Substanzen bildeten.
Keine der Sonnen sandte sichtbare Strahlen aus. Das Mittel ihrer Kreisbahnen war elliptisch. Die Sonnen hatten das Periastrum vor etwa zwolf Jahren passiert.
Trockene Daten. Aber sie brachten La Roque auf eine Idee.
Wenn er sich dem Mittel der beiden Kreisbahnen anpa?te, konnte es ihm gelingen, in eine elliptische Umlaufbahn zu kommen. In der Nahe der toten Sterne konnte er unsichtbar bleiben… Aber noch bevor er den Gedanken zu Ende denken konnte, hatte er das System passiert.
Blieben noch vier einzelne Sonnen. Jeder vernunftige, normale Mensch hatte nun ohne zu zogern das nachste System gewahlt.
Aber La Roque wahlte das entfernteste, was vielleicht mit seiner Spielernatur zusammenhing. Denn es bestanden einige Zweifel, ob er das System erreichen wurde, bevor ein Suchschiff in seine Nahe kam.
Von seiner derzeitigen Position aus konnte er das System nicht direkt anfliegen. Seine Kenntnisse von Geometrie und Trigonometrie waren so gering, da? er sich gezwungen sah, seinen jetzigen Kurs beizubehalten, bis er an eine Stelle kam, von der aus er mit Hilfe der Heliozentrischen Karte die genaue Entfernung zu dem System feststellen konnte. Dann wurde er eine bestimmte Zeitlang fliegen und sein Ziel erreichen.
Die Zeit kroch dahin. Die Sterne glitten an ihm vorbei. Die meiste Zeit schlief er. Au?er den Karten, einigen astrographischen und planetographischen Planen und den Geldscheinen, die seine Flucht von der Erde verursacht hatten, hatte er nichts zu lesen. Letztere hielten seine Moral fur eine Weile hoch.
Der Flug auf einem Schiff zweiter Ordnung war nicht schwierig. Man mu?te nur das Ziel einstellen, bevor man den Konverter einschaltete. Das Schiff kam von seinem einmal eingeschlagenen Kurs nicht ab. Das tat es nur, wenn man die Konverter ausschaltete und den Kurs neu einstellte. Tatsachlich beschrieb das Schiff einen Bogen, was auf die Energie der Ge neratoren zuruckzufuhren war, aber der Bogen war so weit, da? man den Flug als geradlinig betrachten konnte.
Die drei Sternensysteme, die La Roque als Zufluchtsstatten abgelehnt hatte, flogen vorbei. Jedesmal war er versucht, abzubiegen und seine Flucht zu beenden, aber er bekampfte die Versuchung. Tage wurden zu Wochen, zu drei Wochen, und der Vorsprung, den er vor dem Gesetz hatte, schmolz zusammen.
Noch sieben Lichtjahre bis zu dem Versteck seiner Wahl.
Endlich kam er zu der Stelle, an der er seinen Kurs andern mu?te. Er stellte alle Sichtfenster an. Der helle Stern im Ruckfenster war zweifellos die Erdensonne. La Roque hielt nach Deneb Ausschau, aber Cygnus war durch eine parallaktische Variation von neun Parsek so verzerrt, da? es ihm unmoglich war, seinen Alphastern mit Sicherheit zu erkennen. Orion war erkennbar, da er sich mehr oder weniger in gerader Linie von ihm entfernt hatte. Er beschlo?, sich an Rigel zu orientieren.
Er schaltete die Konverter aus, schwang das Schiff herum, bis die Sonne in einem Mittelfenster erschien. Glucklicherweise war Rigel im selben Fenster zu sehen. Er kontrollierte die Steuerung, bis Rigel im richtigen Winkel zu seinem neuen Kurs stand, und schaltete die Konverter wieder ein.
Er hatte noch acht Stunden und drei?ig Minuten zu fliegen, bis er sein Ziel erreicht haben wurde. Besorgt fragte er sich, ob die Gefahr eines Zusammensto?es bestand. Das war nicht uberraschend.
Ein Flugneuling macht einen Punkt auf die Karte, wenn er seine Position bestimmen soll. Ein Pilot, der zum zweitenmal fliegt, malt einen Kreis, und der erfahrene Navigator legt seine Handflache auf die Karte und sagt: Hier mu?ten wir sein. Und der Punkt, auf den sich La Roque verlie?, konnte leicht in gefahrlicher Nahe von Meteoren sein.
Erwartungsvoll starrte er auf das vordere Sichtfenster. Eine halbe Milliarde Meilen vor ihm sollte eine rotgluhende Kugel sein. Naturlich war sie nicht da.
Sekundenlang war er sehr verwirrt. Offensichtlich hatte sich in seine Berechnungen ein Fehler eingeschlichen. Es mu?te nicht unbedingt ein gro?er Fehler sein. Er hatte bereits die spektrobolometrische Kurve des Sternes erreicht und steckte jetzt die passenden Schablonen in den Sucher, stellte die Radiometer auf die Strahlungen der gesuchten Sonne ein. Keine Sonne mit einer solchen spektrobolometrischen Kurve konnte von seinen Geraten in einer gro?eren Entfernung als ein paar Milliarden Meilen aufgespurt werden. Naturlich war die Galaxis voller verloschender Sterne, aber dazwischen befand sich genug leerer Raum, und da wurde er wohl auch „seinen“ Stern finden.
La Roque begann mit der Arbeit. Er mu?te den Raum rings um sich untersuchen, alle zehn Millionen Meilen, das hie?, alle zwei Minuten anhalten, und innerhalb von zehn Sekunden konnten ihm dann seine Instrumente sagen, wo er sich jeweils befand.
Er begann sich einzureden, da? das Gluck gegen ihn war — nicht nur gegen seine Flucht, sondern auch gegen sein Uberleben.
Es war ein Fehler gewesen, etwas zu unternehmen, von dessen Gefahren und Risiken er keine Ahnung hatte. Jetzt suchte er schon seit Stunden den Raum ab, ohne genau zu wissen, wo er sich befand, wo sein ersehntes Versteck war.
Seine Geduld erlahmte, und immer unwiderstehlicher wurde der Drang in ihm, seine Instrumente zu zertrummern. Nach zwei Stunden Schlaf fuhlte er sich ein wenig besser. Doch nach weiteren zehn Stunden war er nicht mehr fahig, einzuschlafen.
Und dann hatte er unverdientes Gluck. Einer der Radiometer reagierte nach all den Stunden blinder Suche. Seine beginnende Hysterie wich einer Welle der Erleichterung. Er anderte den Kurs, bis er im Vorderfenster mit blo?em Auge die Quelle der Strahlen, die sein Radiometer aufgespurt hatte, sehen konnte.
Es war unvorteilhaft, da? er sie mit blo?em Auge sehen konnte. Andernfalls hatte er noch ein paar gluckliche Minuten erlebt. Aber jetzt stie? er erbitterte Fluche aus, die einem Matrosen alle Ehre gemacht hatten. Denn er sah nicht einen einzelnen Stern, wie in der Karte eingezeichnet, sondern zwei rote Doppelsonnen.
Das astrographische Beobachtungsschiff hatte offensichtlich nur beilaufig reagiert, als es funfzig Milliarden Meilen an dem System vorbeigeflogen war und der Radiometer gezuckt hatte.
Gro?e? Gewicht? Nebensterne? Planeten? Wen kummerte das schon!
La Roque, naturlich.
Die Sterne waren kleine Rote Zwerge und standen dicht beieinander.
Ihre Temperatur war so niedrig, da? sich in ihrer Atmosphare Wolken aus festen Kohlenstoffteilchen gebildet hatten.
Der gro?ere Stern ma? vielleicht hunderttausend Meilen im Durchmesser, der andere war nur ein wenig kleiner. Ihre Mittelpunkte waren etwa eine halbe Million Meilen voneinander entfernt, und ihre Kreisbahn dauerte acht Stunden. Auf beiden Sternen zeigten sich beachtliche Erhebungen.
Diese Fakten hatten vielleicht einen Astronomen interessiert, der sein Leben der Erforschung Roter Zwergsterne gewidmet hat. La Roque waren sie egal. Er fragte sich, wie er in eine stabile Umlaufbahn nahe genug bei diesem System geraten konnte, um, ohne seine Energiereserven anzugreifen, dem Erfrierungstod zu entgehen. Die Bahn, die er fur die eine Sonne errechnet hatte, konnte er sich jetzt naturlich aus dem Kopf schlagen.
Der Gedanke, zu einem der anderen Systeme zuruckzukehren, die auf der Karte als Einzelsystem eingezeichnet waren, bewegte ihn nur kurz. Die nervenaufreibende Suche hatte ihm die Energie genommen, sich noch einmal auf eine so weite Reise zu wagen.
Doch dann fiel ihm etwas ein. Er hatte einmal ein Erlebnis auf Hektor gehabt, einem der Trojanischen Asteroiden. Verschiedene Umstande hatten ihn gezwungen, dort fur einige Zeit zu bleiben. Ein freundlicher Mitgefangener hatte ihm einmal gesagt, wo Hektor war und warum er auch dort blieb. Er befindet sich stabil in der dritten Ecke eines gleichseitigen Dreiecks, dessen andere Punkte die Sonne und Jupiter bilden. Und obwohl er Millionen Meilen im Umkreis seines Festpunkts schwankte, zwingt ihn die Schwerkraft doch immer wieder an seinen ursprunglichen Standort zuruck.
La Roque blickte zu den Zwillingssonnen. Konnte sein Schiff mit ihnen den dritten Punkt eines gleichseitigen Dreiecks bilden?
Und was noch wichtiger war, konnte es diesen Punkt auch halten?
Es mu?te einfach. Seine Instrumente zeigten die Energiekurven an, die von den Sonnen ausgingen. Auf seiner Karte las er, wie diese Kurven in Oberflachentemperaturen umgesetzt wurden.
Er konnte die Entfernung zwischen den Mittelpunkten der Sonnen messen, ebenso die Entfernung seines Schiffes von diesen Mittelpunkten. Eine halbe Million Meilen von der Oberflache eines Sternes entfernt, dessen Radius funfzigtausend Meilen betrug und der eine Temperatur von tausend Grad ausstrahlte, mu?te die Temperatur etwa drei?ig Grad sein. Die Gegenwart der beiden Sterne erhohte die Warme zwar, aber das Schiff war isoliert.
Es schien also, als sei der Trojanische Punkt der beste Platz fur ihn. Er konnte ihn leicht finden. Wo die Linien, die von den Mittelpunkten der beiden Sterne in einem Winkel von sechzig Grad abgingen, zusammentrafen, an diesen Punkt mu?te er sich begeben. Er veranderte seine Position, bis die beiden Sonnen auf gleicher Hohe vor ihm lagen. Da sie sich in Bewegung befanden, mu?te er den Kurs immer wieder leicht andern, als er auf sie zuflog. Bald erkannte er, da? er seine Geschwindigkeit verringern mu?te, um sich der Geschwindigkeit anzupassen, mit der die Sonnen ihre Kreise zogen.
Er erreichte seinen Trojanischen Punkt und drosselte die Geschwindigkeit noch mehr. Er stellte die Alarmanlage ein, die ihn vor dem Nahen eines Suchschiffs warnen sollte, und dann spurte er plotzlich die Reaktion auf all die Aufregungen der vergangenen Tage. Er schlief beinahe sofort ein.
Es war unmoglich zu sagen, wie lange er geschlafen hatte. Er war geistig und seelisch erschopft. Vielleicht hatte er stundenlang geschlafen. Es dauerte Minuten, bis das Lauten der Alarmglocke